Schon in den 1970er- und 1980er-Jahren machte die Universität Dortmund mit ihrer Forschung auf sich aufmerksam.

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So spionierte die Stasi die Universität Dortmund aus

rnSerie „Stasi in Dortmund“

Die Uni Dortmund war noch jung. Aber für die Stasi war sie schon den 1970er- und 80er-Jahren ein beliebtes Spionageziel. Dabei hatte man es nicht nur auf Forschungsergebnisse abgesehen.

Dortmund

, 26.02.2020, 11:05 Uhr / Lesedauer: 4 min

Den Ruf Dortmunds als Wissenschaftsstadt wollen die Imagewerber der Stadt seit vielen Jahren etablieren. In der DDR hatte Dortmund den guten Ruf offenbar schon vor Jahrzehnten. Denn sie ließ die 1969 gegründete Universität gründlich ausspähen.

Sie stand damit in einer Reihe mit vielen anderen Hochschulen. 25 westdeutsche Hochschulen listet die Stasi in einer Dienstanweisung auf, mit der verschiedene Diensteinheiten mit der „operativen Bearbeitung“ von Universitäten und Hochschulen beauftragt werden. Dortmund war der Dienststelle Frankfurt/Oder zugeteilt.

Die Liste ist Teil der Dienstanweisung 5/71 über die „systematisch operative Bearbeitung von Universitäten und Hochschulen im Operationsgebiet“. „Es gab ein ausgeprägtes Interesse der Staatssicherheit an den bundesdeutschen Universitäten. Sie wurden einerseits als wichtiger Sammelpunkt zukünftiger Eliten betrachtet, andererseits aber auch als Hort politischer Indoktrination, den es zu gewinnen galt“, erklärt die Historikerin Dr. Sabine Kittel, die an der Universität Münster über viele Jahre die Aktivitäten der Stasi an westdeutschen Hochschulen erforschte.

„IM“ mit Perspektive

Die Dienstanweisung 5/71 in der Fassung vom 1. August 1974 plante die „Schaffung von stabilen operativen Stützpunkten in den Universitäten und Hochschulen zur laufenden Gewinnung von Perspektiv-IM (IM= Informelle Mitarbeiter, d. Red.) für die Hauptobjekte des Feindes“.

„Perspektiv-IM“ waren nur eine Kategorie von Zuträgern, die die Stasi in den Unis gewinnen und nutzen wollte. Sie sollten von „Stützpunkt-IM“ schon während des Studiums angeworben werden - in der Hoffnung, dass sie später beruflich Karriere machten und an strategisch wichtigen Stellen in Wirtschaft, Verwaltung und Politik Informationen sammeln konnten.

Rekrutierungstipps der Stasi

Gelockt wurden sie mit „moralischen und materiellen Stimuli“ - gemäß den Rekrutierungstipps, die Mitarbeiter der Staatssicherheit auf rund 100 Schreibmaschinen-Seiten für Schulungszwecke zusammengetragen hatten.

Neben dem Ziel, Informelle Mitarbeiter in bundesdeutsche Behörden, Parteien oder Unternehmen einzuschleusen, verfolgte die Stasi aber auch unmittelbare Interessen an den Universitäten. Denn die DDR wollte sich dort erzielte Forschungsergebnisse zu Nutze machen.

„Die DDR hatte mit ihrer Währung nicht die Chancen, Patente und Verfahren weltweit aufzukaufen. Und dafür war Dortmund ja ein richtiges Leckerland“, erklärt Stasi-Forscher Dr. Helmut Müller-Enbergs.

Video - Geheimdienst-Experte Dr. Helmut Müller-Enbergs über Die Arbeit von Stasi-Spionen an westdeutschen Universitäten:


Das zeigen auch die Recherchen von Haluka Meier-Borst und Katrin Ewert. Sie haben an der Uni Dortmund Wissenschafts-Journalismus studiert und sich ausgiebig mit der Geschichte ihrer Hochschule in den Zeiten deutsch-deutscher Auseinandersetzungen befasst.

Interesse an Uni-Forschung

Dabei machten sie sogar einen ehemaligen IM im Ruhrgebiet ausfindig, der unter dem Namen „Baron“ seinen Arbeitgeber Krupp, aber auch die Uni Dortmund ausspionierte.

Er lieferte, wie die Stasi-Akten zeigen, etwa Informationen zu neuartigen Beschichtungsverfahren, die an der Physik-Fakultät entwickelt wurden.

Doch die Stasi hatte es nicht nur auf Erkenntnisse in der Elektrophysik abgesehen, fanden Haluka Meier-Borst und Katrin Ewert heraus: „An der Uni Dortmund interessierte sie sich vor alllem für Raketenantriebe und Industrieroboter.“

Das Institut für Robotertechnik an der Uni Dortmund sorgte unter der Leitung von Prof. Dr. Eckhard Freund in den 1980er-Jahren mit seinen Forschungsarbeiten immer wieder für Aufsehen. Auch die Stasi interessierte sich für die Forschungsergebnisse.

Das Institut für Robotertechnik an der Uni Dortmund sorgte unter der Leitung von Prof. Dr. Eckhard Freund in den 1980er-Jahren mit seinen Forschungsarbeiten immer wieder für Aufsehen. Auch die Stasi interessierte sich für die Forschungsergebnisse. © RN-Archiv Menne

Einer der Informations-Lieferanten wurde als Perspektiv-IM unter dem Namen „Schreiber“ geführt. Er wurde wohl erst im Herbst 1988 - also gut ein Jahr vor dem Mauerfall - erstmals in den Stasi-Akten verzeichnet, lieferte als junger Wissenschaftler aber reichlich Material.

„Binnen eines Jahres gehen beeindruckende 57 Informationen auf ihn zurück“, berichtet Helmut Müller-Enbergs. „Dabei ging es um die Problematik integrierter Schaltungen, den Einsatz von Lasern zur Nachrichtenübertragung, den Einsatz optischer Wellenleiter in der optischen Nachrichtentechnik, den Einsatz von Industrierobotern und um Schichtverbundsysteme als Schutz gegen Korrosion.“

Der Physiker „Wieland“ lieferte als sogenannte Objekt-Quelle Forschungsergebnisse vom Lehrstuhl für Hochfrequenztechnik der Universität. Ein Hochschullehrer unter dem Decknamen „Eiche“ wurde als Kontaktperson verzeichnet. Er wurde als Quelle von einer Bekannten aus der DDR genutzt, die IM der Stasi war.

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Wer sich hinter den Decknamen verbarg, bleibt wohl weitgehend im Dunkeln. Auch Nachforschungen an der TU blieben ohne Ergebnis. Dort kennt man zwar die Recherchen von Müller-Enbergs. „Die Identitäten der Personen, die dort im Zusammenhang mit der Universität Dortmund genannt sind, konnten unseres Wissens jedoch nicht ermittelt worden, weil entsprechende Akten vernichtet wurden“, teilt die Pressestelle der TU auf Anfrage mit. „Uns liegen auch keine weiteren Informationen dazu vor.“

Kontakt zum Verfassungsschutz

Auch Zeitzeugen, die in den 1980er Jahren in den technischen Fakultäten der Uni gearbeitet haben und befragt wurden, hätten keine Informationen zu Industriespionage durch die Stasi liefern können.

Alt-Rektor Prof. Dr. Velsinger, der von 1978 bis 1990 Rektor der Universität war, kann sich dunkel erinnern, dass der damalige und inzwischen verstorbene Kanzler als Chef der Uni-Verwaltung wegen möglicher Stasi-Spionage zwischenzeitlich wohl Kontakt zum bundesdeutschen Verfassungsschutz oder Bundesnachrichtendienst hatte. Mehr ist ihm allerdings nicht bekannt.

Politische Bewegungen im Blick

Immerhin stand auch die Fakultät Raumplanung, aus der Velsinger stammt, im Fokus der Stasi. Wenn auch aus ganz anderen Gründen als aus Interesse an Forschungsergebnissen.

Denn die Stasi interessierte sich auch für politsiche Bewegungen an westdeutschen Unis, insbesondere linke Gruppierungen, von denen es in den bewegten 70er-Jahren einige gab - unter anderem an der Fakultät Raumplanung. Einige wurden als mögliche Unterstützer für die DDR ausgemacht, andere wie etwa maoistische Gruppen waren den DDR-Oberen eher supekt. Auch sie wurden deshalb beobachtet.

Dossier zur Uni Dortmund

In einem eigenen Dossier wurde alles zur Uni Dortmund gesammelt, was auch nur halbwegs verwertbar war. Das reichte von allgemeinen Informationen wie den Öffnungszeiten der Studierendenvertretung AStA, das Vorlesungsverzeichnis und Wahltermine des Studierendenparlaments bis zu den Namen von Professoren, die die HVA für Feinde hielt.

Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR schätzte die westdeutschen Hochschulen dezidiert als „Zentren des Feindes“ ein, erklärt Sabine Kittel. „Diese galt es zu ergründen, zu überwachen und nötigenfalls auch zu bekämpfen.“

„Stützpunkte des Feindes“

Unter dem Titel „Stützpunkte des Feindes“ findet sich in der Stasi-Akte zur Uni Dortmund ein eigenes Kapitel, fanden Katrin Ewert und Haluka Maier-Borst heraus. Auf der „Feindes“-Liste stand etwa der erste Uni-Rektor Martin Schmeißer, weil er enge Beziehungen zur Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Fonds der chemischen Industrie unterhielt.

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Andere Dortmunder Hochschullehrer wie die Physik-Professoren Konrad Kleinknecht und Manfred Wolff waren der Stasi suspekt, weil sie Vertrauensprofessoren der Studienstiftung des Deutschen Volkes waren.

Unter Beobachtung standen auch Wissenschaftler wie der Pädagoge Prof. Hartmut Vogt, der in seinen Forschungen das Schulsystem der BRD und der DDR verglich. Er bekam bei der Stasi eine eigene Personenakte.

Viele Informationen im Uni-Dossier wurden augenscheinlich von ganz normalen Bürgern und Studenten gesammelt, „die wohl dem Sozialismus zum Sieg verhelfen wollten“, wie Haluka Maier-Borst vermutet. Spätestens mit dem Fall der Mauer 1989 hatte sich das erledigt.

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