Vor mehr als sieben Jahren hat die Stadt Dortmund einen ersten Masterplan zur Entwicklung des ehemaligen Werksgeländes Hoesch Spundwand und Profil GmbH (HSP) vorgestellt. Ende 2016 vereinbarte die Stadt einen regelmäßigen Arbeitskreis mit der Thelen Gruppe, dem Eigentümer des Areals – Ziel sei es, das Vorhaben gemeinsam voranzutreiben, heißt es in der Machbarkeitsstudie von Februar 2020. Drei Jahre später werden Risse in dieser partnerschaftlichen Zusammenarbeit deutlich.
Offensichtlich gab es – eventuell von vorneherein? – unterschiedliche Auffassungen zwischen der neugewählten Stadtspitze und den Lenkern der Thelen Gruppe zum Projekt. Ungeklärt ist auch, welche Fakten im Detail das Land NRW bewogen haben, die Ansiedlung der Fachhochschule als „unwirtschaftlich“ zu beurteilen. Diese Einstufung beraubte „Smart Rhino“ seiner Einzigartigkeit und seines Ankerpunkts. Daher ist es zwischen den verbliebenen Partnern jetzt auch noch strittig, wie künftig ohne FH weitergeplant werden soll – befinden wir uns nun in der „Stunde Null“ (Investor Christoph Thelen) oder kann man auf vorherige Pläne zurückgreifen, wie es Oberbürgermeister Thomas Westphal ankündigte?
Die Unterschiede in der Herangehensweise wurden jeweils im Gesprächen mit unserer Redaktion deutlich. 14 Tage nachdem das Aus für das bisherige Smart Rhino-Projekt in einer gemeinsamen Erklärung von Fachhochschule, Wissenschaftsministerium und Stadt Dortmund verkündet wurde, erklärte sich OB Thomas Westphal in einem Hintergrundgespräch. Zeitgleich sprachen wir in Essen mit Christoph Thelen, Geschäftsführer der gleichnamigen Gruppe, über Wohl und Wehe des Projekts. Wenn man beide Äußerungen vergleicht, wird klar: Es gibt unterschiedliche Auffassungen zu Vergangenheit und Zukunft des Projekts.
Suche nach Alternativen
Da ist zum einen die faktisch relativ einfache Frage: Spielte die Gründung einer Entwicklungsgesellschaft eine Rolle und wenn ja, wie hat sich Thelen dazu verhalten?
Oberbürgermeister Thomas Westphal hatte erläutert, dass es im Dezember 2022 dazu einen Termin mir ihm zwei NRW-Staatssekretären und der Thelen Gruppe gegeben habe. Zu diesem Zeitpunkt war das Projekt schon in einem schwierigen Fahrwasser. Ein laut Stadt Dortmund spätestens für Anfang 2022 geplanter Kabinettsbeschuss, der eine Anmietung der FH durch das Land möglich gemacht hätte, ließ auf sich warten. Angeblich suchte man nach Alternativen – eine davon, die Gründung einer Entwicklungsgesellschaft aus Thelen Gruppe, Sparkasse und evtl. dem Land NRW, sei dort erörtert worden. Thelen sei nicht abgeneigt gewesen.
Das sieht Christoph Thelen anders: Auf die Frage, ob sein Unternehmen für eine gemeinsame Entwicklungsgesellschaft zur Verfügung gestanden hätte, sagte der geschäftsführende Gesellschafter: „Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen und Projektanalysen sind immer davon ausgegangen, dass es um ein Mietmodell ging. Das hat sich im Projektverlauf auch nie geändert.“ Man sei variabel gewesen, ein Teilverkauf sei aber „von vorneherein ausgeschlossen“ gewesen. Auch Ende 2022 habe die Antwort darauf gelautet: „Nein.“

Unterschiedliche Auffassungen wurden auch zum künftigen Verlauf der Planungen deutlich.
Oberbürgermeister Thomas Westphal kündigte an, dass man für die Entwicklung des Geländes auf jene Pläne zurückgreifen wolle, die es vor der Idee der FH-Ansiedlung gegeben habe.
Da hat Investor Christoph Thelen andere Vorstellungen vom weiteren Hergang. Er will unvoreingenommen an die neuen Planungen fürs alte Areal herangehen. „Wir müssen jetzt die Uhren auf Null stellen“, sagte er unserer Redaktion. „Das muss man wirklich neu denken“, fordert er.
Der Oberbürgermeister will den Stand des Projekts also lediglich gut fünf Jahre zurückdrehen – FH und IHK kamen 2018 mit an Bord. Der Investor will offenbar grundsätzlicher über die Mischung auf dem Gelände nachdenken.
Gut, dass Thelen in der Hoffnung auf eine baldige Realisierung schon zahlreiche Aufräum- und Dekontaminierungsabeiten geleistet hat. Denn beide Überlegungen könnten Zeitplan und Charakter des Projekts verändern.
Nach den Planungen aus 2017, auf die sich Thomas Westphal bezieht, sollte unter anderem im südlichen Teil des HSP-Areals ein kleiner See mit Grüngürtel und angrenzenden Freizeit- und Wohnflächen entstehen. Bis zu 800 Wohneinheiten waren vorgesehen.
Die Machbarkeitsstudie entwarf 2020 für das ganz Gelände – also mit FH, H-Bahn, Gewerbe und Wohnungen – folgenden Zeitplan: Der Bebauungsplan sollte 2023 vor der Sommerpause des Stadtrats – also jetzt – beschlossen sein, drei Jahre später sollten Ende 2026 erste Gebäude der Fachhochschule bezugsfertig sein.
Der Zukunftsgarten für die Internationale Gartenausstellung sollte 2027 pünktlich zur Eröffnung der IGA fertig sein. Ende 2029 – achteinhalb Jahre nach der ersten Befassung des Rats mit dem Bebauungsplan – wäre das Projekt mit der kompletten Erschließung für den Nahverkehr abgeschlossen gewesen.
„Steuerungsgruppe im Rat“
Thomas Westphal hat Anfang Juli 2023 die Einrichtung „einer Steuerungsgruppe der Fraktionen des Rats“ angekündigt. Sollte sich der Rat schon 2024 mit einen Bebauungsplan befassen, könnten analog zum Zeitplan der Machbarkeitsstudie frühestens 2030 erste Gebäude dort stehen.
Das setzt aber voraus, dass der Bebauungsplan politisch nicht umstritten ist. Da es sich aber um ein gescheitertes Vorzeige-Projekt eines SPD-Oberbürgermeisters unter Beteiligung einer schwarz-grünen Landesregierung handelt, ist dies kaum zu erwarten.
Entsprechende Wortmeldungen aus der Stadtpolitik gab es bereits: Ingrid Reuter, Fraktionssprecherin der Grünen forderte, dass „ein Großteil Wohnen“ realisiert wird. Dieser Auffassung ist auch die SPD. Linke-Fraktionschef Utz Kowalewski hofft wie Westphal, dass sich der Investor an den ursprünglichen Planungen orientiert.
FDP und CDU erwarten vom OB „konkrete Ergebnisse“ bzw. „konkrete Entwicklungsperspektiven“. Viel (Zünd-)Stoff für politische Debatten.

Die Fehler des Landes
Konkretes hätte man sich auch von der NRW-Landesregierung gewünscht. Wissenschaftsministerin Ina Brandes (CDU) hatte das Aus wegen Unwirtschaftlichkeit mitverkündet, sich aber nur zu den „neuen Möglichkeiten“ am Hafen zitieren lassen. Dabei spielten drei Ministerien und ein landeseigener Dienstleister durchaus eine wichtige Rolle beim Aus für das Smart Rhino-Projekt.
Federführend war das Wissenschaftsministerium, beteiligt waren das Bau-, das Finanzministerium und der Bau- und Liegenschaftsbetrieb (BLB), ein Immobiliendienstleister im Besitz des Landes NRW.
Ursächlich für das Urteil, das Vorhaben, die FH auf dem HSP-Gelände anzusiedeln, sei „unwirtschaftlich“, war ein sogenanntes Mietausgabenbudgetierung-Verfahren. Klingt kompliziert und langwierig, ist auch so. Und das sogenannte MAB-Verfahren könnte zum Nachteil der Stadt Dortmund gewesen sein.
Denn dieses MAB-Verfahren führte wohl dazu, dass Smart Rhino 2022 zwischen den Ressorts in Düsseldorf versanden konnte und sich nicht – wie in früheren Jahren – das Landeskabinett um den jeweiligen CDU-Ministerpräsidenten damit befassen musste.
Während Dortmund 2018 schon plante, führte NRW im gleichen Jahr das MAB-Verfahren ein. Damals wurde „die starre Bau- und Mietliste, die zuvor einmal pro Jahr vom Kabinett beschlossen wurde, abgeschafft“, wie es in einer Antwort auf eine Anfrage des FDP-Politikers Dirk Wedel im Februar 2023 heißt.

Für das Dortmunder Mega-Projekt bedeutete das: Die Wirtschaftlichkeit einer etwaigen Anmietung der FH-Räume bei der Thelen Gruppe wurde zwar – wie im Juni 2021 durch das Land zugesagt – im MAB-Verfahren geprüft. Aber dann passierte erst einmal: nichts.
Allerdings wurde der „Schlussbericht zur Wirtschaftlichkeitsbetrachtung nach MAB-Verfahrensleitfaden“ bereits Ende Januar 2022 vorgelegt, wie ein Sprecher des Wissenschaftsministeriums unserer Redaktion mitteilte. Aber: „Bis zum Ende der vergangenen Legislatur im Juni 2022 sind die Ressorts zu keinem abschließenden Ergebnis hinsichtlich des Schlussberichts gekommen. Daher hat eine Kabinettbefassung nicht stattgefunden.“
Die Basis: geheime Zahlen
Die Anfrage unserer Redaktion, den Schlussbericht einzusehen, wurde abschlägig beschieden. Er sei „wegen der enthaltenen vertraulichen Geschäftsdaten Dritter“ nicht öffentlich. Also verkündeten Ministerin Brandes und OB Westphal ein Jahr später das Aus der FH-Ansiedlung auf dem Smart Rhino-Gelände - ohne, dass sich das Kabinett damit befasst hat und auf der Basis geheimer Zahlen.
Oberbürgermeister Thomas Westphal kennt natürlich die Zahlen. Beziehungsweise: Er kennt ganz viele unterschiedliche. „Wir haben eine ganze Reihe von Excel-Tabellen“, sagte er unserer Redaktion.
Allerdings variieren die Ergebnisse – die Zahlen des Landesbetriebs BLB seien immer andere gewesen. Das BLB war laut Auskunft des Wissenschaftsministeriums bis September 2021 an der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung beteiligt – also bis wenige Monate vor Abgabe des Schlussberichts.
Der Liegenschaftsbetrieb BLB war laut einem Ministeriums-Sprecher in diesem Zeitraum unter anderem an der Bedarfsplanung für die Räumlichkeiten der Fachhochschule auf dem Smart Rhino-Gelände beteiligt.
Der hohe Raum- und Flächenbedarf der FH war intern einer der wichtigsten Punkte, nach dem sich die Wirtschaftlichkeit der Ansiedlung richtete. Der Vorwurf: Die Hochschule habe zu groß geplant. Der BLB ist nach eigenen Angaben „Eigentümer der meisten Grundstücke und Gebäude des Landes“. Diese bewirtschaftet und vermietet der BLB an Landeseinrichtungen, -ministerien – Behörden und eben auch an Hochschulen.
2018 hatte er in Dortmund die Erweiterungsbauten der FH an der Emil-Figge-Straße errichtet und übergeben. Auch für die etwaige Bündelung der FH-Standorte, die jetzt am Hafen stattfinden soll, wird der Landesbetrieb ins Spiel gebracht.
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