DEW-Skandale setzen Westphal bis heute unter Druck Der nächste Höhepunkt steht kurz bevor

Sehen sich DSW21 und Ex-Chefin Heike Heim 2025 vor Gericht wieder?
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Im Mai 2024 berichtete unsere Redaktion erstmals über massive Beschwerden von Gas- und Stromkunden der „DEW-Billigtochter“ stadtenergie. Das noch junge Unternehmen hatte eine rein digitale Vertriebsstruktur, war deutschlandweit tätig – und torkelte dem wirtschaftlichen Abgrund entgegen. Bei der Aufstellung des Jahresabschlusses 2023 hatte ein neu eingesetzter Geschäftsführer „Unregelmäßigkeiten“ entdeckt, die sich in der Folge zu einem handfesten und bundesweit vielbeachteten Skandal ausweiteten.

Wirtschaftsprüfer und Datenanalysten fanden nach wochenlanger Aufarbeitung heraus, dass bei der DEW-Tochter bis zu 70.000 Kunden mit überhöhten Abschlägen und Abrechnungen hinter die Fichte geführt worden sein sollen. Der Gesamtschaden des Skandals betrug 74 Millionen Euro – für die DEW als Mutter von stadtenergie geradestehen muss. Der gesamte Gewinn aus 2023 war auf einen Schlag weg: aufgefressen und aufgezehrt durch die betrügerischen Machenschaften der eigenen Unternehmenstochter. Ein bis dato einmaliger Vorgang.

Im Zuge unserer Berichterstattung kam neben dem Skandal um stadtenergie eine weitere Affäre ans Licht, die es ebenfalls in sich hat und bis heute auf die restlose Aufklärung wartet:

Vom DEW-Aufsichtsrat beauftragt hatten Wirtschaftsprüfer die Energie-Einkaufsstrategie von DEW im turbulenten Krisenjahr 2022 überprüft. Und waren zum Ergebnis gekommen, DEW habe sich unter Führung der damaligen Chefin Heike Heim für gleich drei Jahre zu exorbitant hohen Preisen mit Energie eingedeckt. Dabei seien „Pflichtverletzungen“ begangen worden.

Aufsichtsrat warf Heim raus

Heim wird beispielsweise zur Last gelegt, die vom DEW-Aufsichtsrat begrenzte Risikosumme beim Energieeinkauf um ein Vielfaches überschritten und das Gremium entgegen der Regeln darüber nicht informiert zu haben. DEW habe die bis dato eingespielte Praxis der Beschaffung verlassen und auf ein anderes Einkaufssystem umgestellt.

Die Entscheidungen seien im DEW-internen Risikokomitee getroffen worden; einem kleinen Kreis, dem die damalige DEW-Chefin Heim vorgesessen haben soll. Der DEW-Aufsichtsrat sei über all die Vorgänge nicht ins Bild gesetzt worden.

Die Konsequenz: Heim,zwischenzeitlich zur Vorstandsvorsitzenden des Stadtkonzerns DSW21 aufgestiegen, musste ein Jahr nach ihrem Karrieresprung wieder gehen: Am 10. Juli 2024 entschied der DSW21-Aufsichtsrat, ihren Vertrag fristlos zu kündigen. Heim reagierte mit einer Kündigungsschutzklage beim Dortmunder Landgericht. Sie bestreitet die Vorwürfe.

Der Prozess vor dem Landgericht bekommt hohe Bedeutung: Der Ausgang der Verhandlung könnte richtungsweisend für die Frage sein, ob DSW21 bzw. die Energietochter DEW ihrerseits ein Verfahren gegen ihre frühere Chefin anstrengen können - wegen Schadenersatz.

Die Wirtschaftsprüfer hatten bei der Untersuchung der DEW-Beschaffungspolitik einen möglichen Schaden von „bis zu 100 Mio. Euro“ zu Lasten von DEW hochgerechnet. Wie hoch die Verluste am Ende wirklich sind, kann aktuell niemand seriös sagen. Das Problem: DEW muss die 2022 für drei Jahre teuer beschafften Mengen zu den heutigen, niedrigeren Preisen wieder loswerden – das Jahr 2025 ist davon auch noch betroffen.

Wer war bei DEW informiert?

Hinzu kommt, dass sich DEW 2022 laut der Wirtschaftsprüfer für die besonders ernergieintensiven Monate von November bis März zehn Prozent mehr Energie gekauft hat als die eigene Bedarfsprognose hergab. "Offenbar ging man bei DEW davon aus, dass die Energiepreise auf absehbare Zeit hoch blieben und immer mehr Kunden von strauchelnden Billig-Anbieten in die Grundversorgung von DEW wechseln würden", wie es bereits vor Monaten in Aufsichtsratskreisen hieß.

Vor allem eine Frage dürfte bei der Verhandlung vor dem Landgericht im Mittelpunkt stehen: Ist die fristlose Kündigung des Dienstvertrages von Heike Heim in Ordnung? Hat die frühere DSW21- und DEW-Managerin tatsächlich "Pflichten verletzt" und den Aufsichtsrat nicht in die veränderte Beschaffungsstrategie eingebunden?

Die Energiepreise spielten damals verrückt. Sie schossen bisweilen um das Zehnfache in die Höhe, teilweise wurde der Handel sogar ausgesetzt. Was war zu der Zeit intern los bei DEW? Welche Prognosen gab es für Dortmunds Energiebedarf? Wie treffsicher waren diese Prognosen? Wer wusste im Hause DEW vom drastischen Überschreiten des Risikolimits?

In dem Zusammenhang tauchte in der Analyse der Wirtschaftsprüfer eine E-Mail von Peter Flosbach auf, dem technischen Geschäftsführer von DEW: Flosbach, selber nicht in die Beschaffung involviert, war wegen einer internen Entscheidung stutzig geworden. Er wies seine damalige Chefin Heim ausdrücklich in einer E-Mail auf die Überschreitung des Risikorahmens hin: „Eine Risikomeldung an den Aufsichtsrat ist m. E. in jedem Fall sinnvoll, wenn nicht sogar erforderlich“, heißt es in seinem Schreiben. Wie Heim darauf reagierte, ist unklar.

Kanzlei prüft Regressforderung

Inzwischen hat DEW die Dortmunder Wirtschaftskanzlei Aderhold beauftragt, die Einkaufspolitik und die Rolle der damaligen DEW-Chefin im Detail zu beleuchten. Ihr Gutachten soll als mögliches Fundament für eine Schadenersatzklage gegen Heim dienen. Dabei muss Wirtschaftsanwalt Lutz Aderhold nachweisen, dass Heim tatsächlich gegen Regeln verstoßen hat - und diese Verstöße den Schaden verursacht haben, den DEW befürchtet. Dabei muss auch die Höhe des Schadens benannt werden.

In der Ratssitzung am 25. September 2024 legte Aderhold, wohl auf Bitten von OB Thomas Westphal, überraschend eine erste Stellungnahme seines Gutachtens vor – und belastete Heim damit schwer: Sie habe seinerzeit „ohne Wissen und Mitwirkung“ der beiden anderen Geschäftsführer beschlossen, „sämtliche Risikoleitplanken“ nicht länger anzuwenden.

Der Aufsichtsrat habe „keinen Verdacht schöpfen können, dass Heim „unter Verstoß gegen alle internen Risikorichtlinien und Informationspflichten im großen Stil (…) mit dem damaligen Chefeinkäufer Spekulationsgeschäfte im Energiehandel vonahm", ließ sich Aderhold von Wesphal gegenüber den versammelten Ratsvertretern zitieren. Und: „Eine Berichterstattung darüber an den Aufsichtsrat hat es nach unseren Recherchen nicht gegeben.“

Der Vorgang war ungewöhnlich. Zumal Aderhold sein Gutachten zu dem Zeitpunkt noch gar nicht abgeschlossen hatte. Seine Stellungnahme zum damaligen Zeitpunkt sollte wohl dazu dienen, neben dem Aufsichtsrat als Gremium insgesamt auch OB Westphal zu entlasten: Westphal, gleichzeitig Aufsichtsratsvorsitzender von DEW, war unter Druck geraten.

Er musste sich immer drängenderen Fragen stellen, wie es sein könne, als Aufsichtsratschef über die geänderte Beschaffungsstrategie von und die überzogene Risikogrenze ei DEW nicht informiert gewesen zu sein.

OB: "Nicht aktiv involviert"

Bislang ließ der OB mehrfach durchblicken, er habe von all dem nichts gewusst. In der jüngsten Ratssitzung (Donnerstag, 15.12.), hakte die CDU mit einem kleinen Fragenkatalog erneut nach. Antwort von OB Westphal: Er sei in Sachen Beschaffungspolitik „nicht aktiv involviert“ gewesen. Der CDU war das ein bisschen zu dürftig - im Februar 2025 soll der Rat ausführliche Antworten zu lesen bekommen.

Während Heim ihrem Prozess um die Kündigungsschutzklage erst noch entgegensieht, hat ein anderer seine öffentliche Verhandlung hinter sich: Am 4. Dezember 2024 trafen sich die von DEW beauftragten Anwälte und der Ex-Prokurist der Tochter stadtenergie vor dem Dortmunder Arbeitsgericht. Der ehemalige Manager der DEW-Tochtergesellschaft gilt als Hauptfigur im Abrechnungsbetrug.

Er soll „tief in die Systeme eingegriffen“ und massenweise Kundendaten gefälscht haben. Etwa, indem er die zwischenzeitliche Senkung der Mehrwertsteuer für Gas von 19 auf 7 Prozent nicht an die Verbraucher weitergereicht habe. Er wurde 2024 an die Luft gesetzt, sein Vertrag gekündigt. Der Ex-Pokurist klagte.

Die Verhandlung vor dem Arbeitsrichter gab einen ersten Vorgeschmack auf die Komplexität der Ereignisse – ein Urteil konnte erstmal nicht gesprochen werden. Gleichzeitig sieht sich der Ex-Prokurist von stadtenergie einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren wegen Betrugs ausgesetzt, in dessen Zuge seine Wohnung und sein Auto durchsucht worden sind. Zu einer Anklageerhebung ist es bislang aber nicht gekommen.

Es bleiben Millionenschäden

Das zusätzliche Drama: Der finanzielle Schaden (74 Mio.) bei DEW schlägt wie in einem Domino-Effekt bis auf den Hauptgesellschafter DSW21 durch. Zum ersten Mal ging DSW21 leer aus – aus dem Geschäftsjahr 2023 konnte DEW keinen einzigen Euro überweisen. 2024 soll es Prognosen zufolge kaum besser werden.

Das Ende vom Lied: Die DEW-Tochter stadtenergie, von Heim damals „als digitales Schnellboot“ geadelt, hat die Neukundennahme längst eingestellt und dürfte wohl in absehbarer Zeit vom Markt verschwinden.

Schon steht der nächste Höhepunkt der beiden Dortmunder Skandalgeschichten an: Am Montag, 10. März 2025, könnte es im Landgericht zu einem Wiedersehen diverser Akteure kommen – dort wird dann ab 10 Uhr über Heims Klage gegen ihren fristlosen Rauswurf als DSW21-Chefin verhandelt. Und nicht wenige fragen sich, was dabei herauskommen könnte? Werden womöglich neue Aspekte zutage gefördert, die niemand auf dem Radar hat und noch einmal ein anderes Licht auf die Ereignisse werfen?

Die Richter in der zuständigen Kammer werden vorher viel zu lesen haben.

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 26. Dezember 2024.

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