
© Felix Guth
Silent Sinners: Feiern im Keller unter der Möllerbrücke
Legenden des Dortmunder Nachtlebens
Klein, eng, niedrige Decken, stilsicher abgerockt: Das Silent Sinners erfüllt alle Kriterien eines legendären Keller-Clubs. Unter der Möllerbrücke feiert das studentische Dortmund seit 2006 – allerdings nicht mehr so wild wie in früheren Zeiten.
Wenn man so möchte, hat das Silent Sinners mitgeholfen, ein Stück neuere Dortmunder Stadtkultur im Kreuzviertel zu entwickeln. Erst „möllern“, also das gemeinsame Aufhalten auf der Möllerbrücke mit einem Kaltgetränk, zwischendurch vielleicht noch in den Westpark oder in eine Kreuzviertel-Kneipe. Und dann, meist gegen 1 Uhr: Landung im „Sinners“. Tanzen ist hier eine Nahkontakt-Sportart, schon der Größe wegen.
Um sich mit Clubbetreiber Sebastian Noetzel (34) zu unterhalten, ist das natürlich nicht die richtige Uhrzeit. Dafür braucht es einen Diskobesuch um 13 Uhr. Aus dem gleißenden Sonnenlicht geht es am mittlerweile völlig überklebten und übermalten Eingangsschild vorbei die Kellertreppe hinunter in die Dunkelheit.

Der Kassenbereich des Silent Sinners. © Felix Guth
Der Gast ist sofort mittendrin im Partygeschehen
Links die Kasse, rechts die Garderobe, dann stolpert der Besucher in den Hauptraum des ehemaligen Jazz-Clubs. Nachts ist man hier sofort mitten in der Party. Tagsüber mitten im Gespräch, das das Rauschen der S-Bahn und das Einkaufstreiben im Supermarkt als Kulisse hat.

Blick ins Innere, ohne Publikum. © Felix Guth
Als die meisten seiner Schulfreunde ihr Studium begannen, hat Sebastian Noetzel im Mai 2006 im Alter von 22 Jahren das Silent Sinners eröffnet. „Mir fehlte damals im Kreuzviertel eine Möglichkeit zum Tanzen. Nightlife hatte mich schon immer fasziniert. Und dann ergab sich die Möglichkeit, diese Räume zu übernehmen“, sagt Sebastian Noetzel.
Auf große optische Effekte verzichtete er bewusst. „Ich mochte schon immer Clubs, die eher zurückgenommen sind. In denen nicht der DJ oder der Laden als solcher das Phänomen sind, sondern in denen es um die Leute und um die Party geht.“

Sebastian Noetzel bei der Eröffnung des Silent Sinners im Mai 2006. © Felix Guth
Das Kreuzviertel ist das lebendigste Viertel der Stadt
Komm, wie du bist – das alte 90er-Grunge-Motto von Kurt Cobain hat Noetzel in den Tanzkultur-Kontext übertragen. Bis heute fährt er gut damit. „Das Ausgehen im Kreuzviertel funktioniert immer noch gut. Hier ist viel Bewegung drin. Es gibt kein Viertel, das das liefern kann“, sagt er. „Auch, wenn ich viele, die mit Anfang 20 ins Sinners gekommen sind, jetzt mit Kindern auf dem Spielplatz treffe.“
Noetzel ist selbst Vater einer Tochter, außerdem noch Betreiber der Kneipe Kumpel Erich an der Lindemannstraße – er schaut trotzdem an jedem Wochenende im Sinners vorbei. An den ungewöhnlichen Schlafrhythmus eines Clubbetreibers hat sich sein Körper schon gewöhnt.
Das Dortmunder Nachtleben hat sich verändert
Dass sein Laden noch da ist, ist keine Selbstverständlichkeit in diesem unsteten Geschäft. „Bewährtes gut machen“, laute seine Devise. Den Trend zu Eurodance-Trash der 90er-Jahre hat das Silent Sinners so früh erkannt wie niemand sonst in der Stadt. Dass Hip-Hop in der Musikkultur eine wichtigere Rolle als früher spiele, spiegele sich auch im Sound der Abende wider. Zugleich kämen Indie-Rock-Party-Formate immer wieder.
Zuletzt gab es die ersten Partys an der Möllerbrücke mit einer Altersbeschränkung nach unten. Die Studentenmusik der 90er- und 00er-Jahre hat heute ein Ü40-Publikum. „Man wächst mit seinem Publikum“, sagt Sebastian Noetzel.
In den fast zwölf Jahren seit der Eröffnung hat Sebastian Noetzel viele Veränderungen im Dortmunder Nachtleben miterlebt. Seit einigen Jahren wandele sich etwa die studentische Ausgehkultur. „Das Studium ist durch das Bachelor/Master-System anstrengender geworden. Die Studenten gehen seltener und ausgewählter aus“, sagt der 34-Jährige.
Studenten entscheiden sich öfter für Netflix als fürs Nachtleben
Netflix statt Nightlife, weil schon in jungen Jahren der Druck so hoch ist - das ist eine Entwicklung, die auch Club-Betreiber spüren. „Dem Dortmunder Nachtleben ging es schon mal besser“, meint Sebastian Noetzel. Er bedauert, dass es weniger spezialisierte Clubs und keine Spartenpartys mehr gibt.
Doch am Ende treibt Noetzel, wie viele der Dortmunder Nachtleben-Enthusiasten, vor allem eines an, immer weiterzumachen: Die magischen Momente des Nachtlebens, die in jedem Club etwas anders, aber doch immer gleich intensiv sind.
Der größte Moment: Arme hoch zu „Mr. Brightside“
Im Silent Sinners kann Sebastian Noetzel diesen Moment genau benennen. Wenn alle bei Mr. Brightside von The Killers - dem Song, der hier in in zwölf Jahren am häufigsten gelaufen ist - die Hände in die Luft reißen, merke er immer wieder, worum es hier eigentlich geht. „Darum seine Sorgen und Ängste an der Garderobe abzugeben. Darum, dass für einen Abend alles schön ist.“
Seit 2010 Redakteur in Dortmund, davor im Sport- und Nachrichtengeschäft im gesamten Ruhrgebiet aktiv, Studienabschluss an der Ruhr-Universität Bochum. Ohne Ressortgrenzen immer auf der Suche nach den großen und kleinen Dingen, die Dortmund zu der Stadt machen, die sie ist.
