Mit 23 Jahren kam Lidia Kalinina nach Deutschland. Heute ist sie 42 Jahre alt und heißt Lidia Seeber. An der Rudolf Steiner-Schule an der Mergelteichstraße in Brünninghausen unterrichtet sie ihre Muttersprache. Die Waldorfschule bietet Russisch als zweite Fremdsprache bereits ab der 2. Klasse an.
Lidia Seeber liebt die Sprache und die Kultur ihres Heimatlandes. Etwas, das sie gerne ihren Schülerinnen und Schülern vermitteln möchte. Trotz oder gerade wegen des Krieges, den Russland in der Ukraine begonnen hat. Nein, sagt die 42-Jährige nachdenklich, auch sie habe sich so etwas nicht vorstellen können.

Sollte man nun Russisch lehren und lernen unter diesen Gegebenheiten? Lehrerin und Schüler haben da eine ganze klare Meinung: „Ja“, sagen sie. Und sie alle begründen es ähnlich. Lidia Seeber erinnert sich: „Als der Krieg ausgebrochen ist, da habe ich mit der 11. Klasse darüber gesprochen, wie ihre Einstellung zu der Sprache ist.“ Es sei schnell klar geworden, dass sie zwischen der Sprache und der politischen Situation klar unterscheiden. Sie persönlich wolle ihre Sprache gerne weiterhin an die Kinder weitergeben. „Das ist jetzt noch viel wichtiger als vor ein paar Jahren“, sagt Lidia Seeber.
„Irgendwann endet doch mal alles, dann muss man wieder reden“, erklärt sie. Und wenn man jetzt das Russische aufgebe, sei das nicht gut. Sich zu verstehen, die Sprache zu sprechen, sich auch auf einer emotionalen Ebene annähern zu können, das sei doch wichtig.
Krieg ist „krass“
Auch die zwölfjährige Anna aus der 7b positioniert sich klar: „Ja, okay, ich lerne Russisch, aber das heißt ja nicht, dass ich so bin wie die Leute da.“ Das sei schon „krass“ mit dem Krieg, aber mit der russischen Sprache könne sie ja auch Ukrainern helfen, die auch an ihrer Schule unterrichtet würden.
Mitschülerin Alma (13), auch aus der 7b, denk ähnlich: „Nur weil ich das lerne, muss ich ja nicht so sein.“ So sein wie die Menschen in Russland, die den Krieg zu verantworten haben. Die 13-Jährige sagt aber auch: „Ich habe schon erst überlegt, ob ich zu Französisch wechsele, aber ich finde die russische Sprache schön.“ Sie hat sich zum Weitermachen entschlossen.
20 ukrainische Schüler
Etwa 20 ukrainische Schüler werden derzeit in der Rudolf-Steiner-Schule unterrichtet, berichtet Andrea Küpper, Mitglied des geschäftsführenden Vorstandes der Schule. Junge Ukrainer, die von der russischsprachigen Lidia Seeber profitieren, denn man kann sich verständigen. Inzwischen gibt es sogar eine ukrainische Lehrkraft an der Schule. Und die jungen Ukrainer sitzen auch im Russisch-Unterricht bei Lidia Seeber.
Manche der ukrainischen Schüler, die in den ersten Kriegswochen zum Beispiel auch von der Waldorfschule in Kiew kamen, sind schon wieder zurück in der Heimat. Sie gingen vor einigen Wochen, als das Leben in der ukrainischen Hauptstadt wieder ruhig schien. Aber noch immer sind 20 Schülerinnen und Schüler – vornehmlich aus den Regionen um Charkiw, Odessa und Kiew – da. Auch in der Klasse des 13-jährigen Neo aus der 8b. „Wir haben drei aus der Ukraine“, sagt er. Die hätten inzwischen schon richtig gut Deutsch gelernt.
In San Francisco
Russisch-Lehrerin Lidia Seeber hat Englisch und Deutsch studiert – lebte danach ein Jahr in den USA, in San Francisco. Dann ging sie nach Deutschland, um ihr Deutsch zu perfektionieren. Sprache ist also etwas, das in ihrem Leben immer eine wichtige Rolle gespielt hat. Etwas, das immer wichtig war für die Frau, die im Nordwesten Russlands, in Wologda, geboren wurde und in St. Petersburg aufwuchs. Nun soll, so hofft sie, die Sprache helfen bei einer Verständigung nach diesem Krieg.
In ihrem Freundeskreis funktioniert das jedenfalls gut. Dazu gehöre nur eine Russin aus Moskau, zum großen Teil seien es aber Ukrainer und auch Menschen aus Kasachstan. Sie sprechen Russisch miteinander, wie vor dem Krieg auch. Lidia Seeber weiß: Viele russische Familien sind zerstritten über den Krieg, ihre Freunde aber verstehen sich.
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