Einer von mehreren riesigen Bergen mit Altreifen: Sie liegen auf einem Areal. Ein Anwohner sorgt sich um die Folgen eines möglichen Brandes.

© Uwe von Schirp

Riesige Altreifenlager: Bei einem Brand bedrohen Giftgase tausende Menschen

rnVerrufenes Gewerbeareal

Auf einem Gewerbeareal lagern riesige Berge Altreifen. Was ist, wenn die mal brennen, fragt ein besorgter Bürger. Er informiert die Stadt. Die schweigt lange. Nun gibt es eine klare Ansage.

Mengede

, 20.11.2021, 17:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Die Beobachtung war zufällig: Das oberste Parkdeck gibt den Blick frei auf ein Gewerbegelände. Zwischen Bauwagen und Baracken liegen riesige Mengen Altreifen. Es ist nicht ein Berg, sondern gleich mehrere. Der Großbrand in einem Bochumer Reifenhandel ist zu diesem Zeitpunkt gerade ein paar Tage her. In der Folge blieb die A40 ein paar Tage gesperrt.

„Was ist, wenn dort unten mal ein Feuer ausbricht?“, denkt der Mengeder Bürger beim Blick vom Parkdeck des Kaufland-Marktes über die Bahnlinie. Bei einem Brand auf dem Gelände der ehemaligen Baufirma Nickel+Eggeling (N+E) an der Dönnstraße wären große Teile von Nette und Mengede betroffen – je nach Windrichtung tausende Menschen.

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„Darf das sein?“, fragt sich der Bürger. „Sind diese Ablagerungen rechtens?“ Es ist die letzte August-Woche. Der Anwohner informiert Umweltamt, Bürgerbüro, Bezirksverwaltungsstelle und Oberbürgermeister Thomas Westphal per E-Mail über seine Beobachtung. Der Nachricht fügt er ein Foto bei, das er vom Parkdeck gemacht hat.

Anwohner sieht Hinweise als Bürgerpflicht

Der Anwohner hört nichts. Nur von Bezirksbürgermeister Axel Kunstmann habe es eine Empfangsbestätigung gegeben, schreibt er Wochen später an die Redaktion. Mittlerweile hat er sich unter anderem an das Büro für Anregungen, Beschwerden und Chancengleichheit gewandt.

Dessen Antwort verweist auf eine laufende Prüfung. Aber: „Es handelt sich hierbei um einen komplexen Vorgang, der nicht so einfach zu lösen ist.“ Im Umweltamt erfährt der Mengeder, dass seine Mail weitergeleitet wurde. Bei einem Anruf im Büro des Oberbürgermeisters hebt niemand ab.

Luftbilder, wie hier im Geoportal des Regionalverbandes Ruhr, dokumentieren das Durcheinander auf dem Gelände westlich der Dönnstraße und die großen Berge an Altreifen.

Luftbilder, wie hier im Geoportal des Regionalverbandes Ruhr, dokumentieren das Durcheinander auf dem Gelände westlich der Dönnstraße und die großen Berge an Altreifen. © RVR 2020 / aerowest

„Ich sehe meine Aktivität als Bürgerpflicht“, erklärt er Ende Oktober im Gespräch mit dieser Redaktion. Mittlerweile hat der Anwohner recherchiert. Luftaufnahmen bei Google-Earth und im Geoportal des Regionalverbandes Ruhrgebiet dokumentieren ebenfalls die Reifenberge.

Mit dem Fahrrad ist er in den Gewerbepark gefahren, um sich umzusehen. „Das war eine ganz merkwürdige Atmosphäre“, berichtet der Mengeder. „Es waren nur wenige Menschen da.“ Er habe sich in die Rolle der Feuerwehr versetzt. „Überall kam ich in Sackgassen, überall war etwas verdeckt.“

Areal ist seit Jahren im Fokus

Das ehemalige N+E-Gelände sorgt seit Jahren immer wieder für Schlagzeilen. Zunächst war es ein ehemaliges Säureharzbecken der Zeche Adolf von Hansemann, das den Boden im Westteil kontaminiert hatte.

Anwohner klagten vor zwei Jahren in der Bezirksvertretung über Störungen und Belästigungen durch die dort niedergelassenen Gewerbebetriebe. Zuletzt wiederholten sie im März diesen Jahres ihr Unbehagen über das Geschäftstreiben auf dem Areal. Kurz zuvor hatte ein riesiger Findling die Mauer an der Dönnstraße durchschlagen.

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Langfristig soll auf dem Gewerbeareal ein Neubaugebiet mit 370 Wohneinheiten, betreutem Wohnen und eine Kindertagesstätte entstehen. „Für das Projekt ist die Aufstellung eines B-Planes erforderlich“, erklärte die Stadt im Mai 2021 auf Anfrage dieser Redaktion. Aber: „Es ist derzeit nicht im Jahresarbeitsprogramm des Stadtplanungs- und Bauordnungsamtes vorgesehen.“

Mieter schwänzten Termin mit der Stadt

Nach drei Wochen hat die Stadt in der Reifenlager-Frage nun auf eine Anfrage dieser Redaktion Stellung bezogen. Der Unteren Abfallwirtschaftsbehörde (UAwB) im Umweltamt sei „die Situation sehr wohl bewusst“, schreibt Stadtsprecher Christian Schön. „Die Reifenlager auf der Fläche sind verschiedenen Personen/Betreibern zuzuordnen, die jeweils einzelne Parzellen auf dem Gelände nutzen.“

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Soweit mit diesen Reifen Handel getrieben werde, etwa für den Export nach Übersee, wären diese Altreifen allerdings nicht mehr als Abfall anzusehen. Deswegen habe vor wenigen Wochen eine Begehung des Geländes durch die UAwB und eine Überprüfung stattgefunden.

Obwohl die Stadt im Vorfeld den Eigentümer gebeten habe, für die Anwesenheit der Mieter zu sorgen, war dabei nur einer der Mieter anwesend. Dieser habe aber ordnungsgemäß den Nachweis des Reifenhandels und über die Entsorgung von nicht mehr brauchbaren Exemplaren erbracht.

Bauwagen, LKW, Autowracks - dazwischen Berge von Altreifen. So zeigt sich das ehemalige N+E-Gelände vom Parkdeck des Kaufland-Marktes.

Bauwagen, LKW, Autowracks - dazwischen Berge von Altreifen. So zeigt sich das ehemalige N+E-Gelände vom Parkdeck des Kaufland-Marktes. © Uwe von Schirp

Das Umweltamt habe den Eigentümer nun aufgefordert, eine aktuelle Liste der Mieter mit einer Zuordnung zu den jeweiligen Parzellen zur Verfügung zu stellen. „Sobald die Adressen vorliegen, werden die Betreffenden kontaktiert und weitere Begehungen/Prüfungen aus abfallrechtlicher Sicht durchgeführt“, schreibt Schön.

Stadt stellt dem Eigentümer ein Ultimatum

Mit Blick auf den Brandschutz erklärt der Stadtsprecher, dass für das Gelände die üblichen Vorschriften des Baurechts gelten und keine besonderen Brandschutzregeln zum Tragen kommen. Bei einer Brandverhütungsschau entdeckte Beanstandungen seien an das Bauordnungsamt weitergeleitet worden.

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Bezeichnend: Mehrfach sei das Bauordnungsamt vor Ort gewesen. Gemeinsam mit anderen Stadtämtern sei „dem Eigentümer aktuell noch einmal eine Frist gesetzt worden, eine Kontaktliste mit den Namen der einzelnen Parzellen-Nutzer einzureichen.“ Denn: Ordnungsrechtlich könne die Stadt nur gegen einzelne Nutzer vorgehen.

Christian Schön verweist aber auch auf die Zukunft des Geländes – mit dem Ziel, einen Bebauungsplan für die künftige Wohnnutzung aufzustellen: „Eine Fortführung dieses Planungsprozesses wird aber nur zustande kommen, wenn die Frist für das Einreichen der Kontakte-Liste eingehalten wird.“ Davon gehe die Bauaufsicht aus. „Falls es doch nicht dazu kommt, behält sie sich weitere Maßnahmen vor.“