Raub- und Kolonialkunst im Museum Sollte man sie einfach zurückgeben?

Raub- und Kolonialkunst im Museum: Warum man sie nicht einfach zurückgeben kann
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Eine Bronzestatuette der Isis, ungefähr 650-330 vor Christus - eine vergoldete Mumienmaske aus der frühen Ptolemäerzeit, ungefähr 300-250 vor Christus, das Modell einer Totenbahre, 2500-2200 vor Christus. Das ist nur eine kleine Auswahl der antiken Ausstellungsstücke, die sich in der Dauerausstellung „Altes Ägypten“ im Hammer Gustav-Lübcke-Museum befinden. Insgesamt 1500 antike Exponate aus Ägypten hat die Stadt Hamm in ihrem Besitz - zu Recht?

Wie die Stücke ihren Weg aus dem Land des Nildeltas in die westfälische Stadt gefunden haben, ist meist ungeklärt. Nicht unwahrscheinlich ist es, dass es sich zum Teil um Raubkunst handelt. Wahrscheinlich ist dies bei Kulturgütern, die zur Zeit der britischen Herrschaft über Ägypten in den Jahren 1882 bis 1922 außer Landes gebracht wurden.

Doch wie fand eine der größten alt-ägyptischen Sammlungen Nordrheinwestfalens ihren Weg nach Hamm? Denn die Frage nach der Herkunft der Funde ist in der Debatte um Raubkunst eine der wichtigsten, wie Jalina Tschernig, Ägyptologin und Kuratorin der Ausstellung „Altes Ägypten“ im Gustav-Lübcke Museum, weiß.

Jalina Tschernig ist Sammlungsleiterin der Ausstellung „Altes Ägypten“ im Hammer Gustav-Lübcke-Museum. Sie ist Ägyptologin.
Jalina Tschernig ist Sammlungsleiterin der Ausstellung „Altes Ägypten“ im Hammer Gustav-Lübcke-Museum. Sie ist Ägyptologin. © Mahad Theurer

1886 herrschte Abenteuerlust in Hamm. Ägyptenbegeisterte Bürger gründeten einen Mumienverein. „Der Verein hatte es sich zur Aufgabe gemacht, eine echte ägyptische Mumie in die Stadt zu bringen“, erzählt Jalina Tschernig. Vorausgegangen war Anfang der 1880er-Jahre ein großer Fund von über 40 Mumien in der Totenstadt Deir el-Bahari.

Die Mumien, hauptsächlich von verstorbenen Pharaonen und hohen Würdenträgern, waren gemeinsam mit ungefähr 6000 Artefakten in einem Sammelgrab untergebracht, das sie gegen Grabräuber schützen sollte. Der Fund erregte großes Aufsehen und trat eine Welle weltweiten archäologischen Interesses an Ägypten los. Auch in Hamm.

„Über Aktienverkäufe wurde das notwendige Geld erwirtschaftet, um eine Mumie vor Ort zu kaufen. Die wurde dann samt Sarkophag in einer Hammer Kneipe ausgestellt. Für 50 Pfennig konnte man sie bestaunen“, erzählt Jalina Tschernig.

Die erste ausgestellte Hammer Mumie fiel einem Bombenangriff Ende des zweiten Weltkriegs zum Opfer.
Die erste ausgestellte Hammer Mumie fiel einem Bombenangriff Ende des zweiten Weltkriegs zum Opfer. © Gustav-Lübcke-Museum

1887 ging die Mumie in den Besitz des frischgegründeten Hammer Museumsvereins über und bildete die Grundlage der ägyptischen Sammlung, die über die nächsten Jahrzehnte anwuchs. Treibende Kraft dieser Sammlung war der Kunst- und Antiquitätensammler Gustav Lübcke, der dem städtischen Museum 1917 seinen gesamten Bestand vermachte.

„Bei den Fundstücken aus der Sammlung von Gustav Lübcke lässt sich leider sehr schwer nachvollziehen, wie sie in seinen Besitz gekommen sind. Da gibt es wenig Dokumentation. Das Museum war zu Beginn quasi ein Ein-Mann-Projekt und die Buchführung wenig sorgfältig“, erzählt Museumsdirektor Thomas Schmäschke. Die Nachverfolgung heutzutage erfolge hauptsächlich über alte Inventarbücher, in denen zwar ein Großteil der vorhandenen Stücke vermerkt sei - allerdings häufig ohne genauere Informationen zur genauen Herkunft.

„Das ist die Aufgabe, der wir uns aktuell widmen“, erzählt Schmäschke. „Wir versuchen, so gut es geht, Transparenz in die Herkunft unserer Stücke zu bringen.“ Über die Ergebnisse dieser Provenienzforschung (Herkunftsforschung) könne man dann in den Dialog mit den Herkunftsgesellschaften treten, indem man beispielsweise die ägyptische Botschaft kontaktiere, um herauszufinden, ob es ein Interesse an der Rückführung der Objekte gibt.

In den Inventar-Büchern des Gustav-Lübcke-Museums suchen die Verantwortlichen aktuell nach Hinweisen zu der Herkunft der altägyptischen Ausstellungsstücke.
In den Inventar-Büchern des Gustav-Lübcke-Museums suchen die Verantwortlichen aktuell nach Hinweisen zu der Herkunft der altägyptischen Ausstellungsstücke. © Mahad Theurer

Ein Fall, bei dem die genaue Herkunft eines der Hammer Ägypten-Exponate bestimmt werden konnte, sei jedoch noch nicht aufgetreten. Anhand einer Abbildung in einem Auktionskatalog aus dem Jahr 1896 konnte allerdings der Weg einer koptischen Textilie aus dem Besitz des Museums zurückverfolgt werden - allerdings nur bis zum Vorbesitzer. Gustav Lübcke hatte sie von dem Künstler Paul Henckels aus Solingen bei einer Auktion 1896 in Köln erstanden.

Aktuell könne also nicht nachvollzogen werden, ob sich eines der Hammer Ausstellungsstücke zu Unrecht auf deutschem Boden befindet, so Schmäschke. Denn es seien nicht alle altägyptischen Artefakte, die in europäischen Museen ausgestellt werden, geraubt worden. Zu Zeiten Gustav Lübckes gab es auch einen florierenden Handel mit ägyptischen Artefakten, wie Jalina Tschernig erzählt.

Touristen hätten das Land bereist und alles Mögliche, das ihnen alt oder wertvoll erschien, erworben. Dazu kam zur Kolonialzeit die auf die Briten zurückzuführende Regel der Fundteilung. Diese erlaubte es Ausgräbern, die Hälfte ihres Fundes zu behalten und außer Landes zu bringen. Diese Praxis wird heute auch kritisch gesehen.

Der Streit um die Büste der Nofretete, die heute im Neuen Museum auf der Berliner Museumsinsel ausgestellt wird, ist genau um diese Regelung entbrannt. 1912 hatte der deutsche Archäologe Ludwig Borchardt die Büste, die als einer der größten ägyptischen Kunstschätze gilt, in der Nähe des mittelägyptischen Ortes Tell el-Amarna bei Ausgrabungen entdeckt.

Die Büste der Nofretete gilt als einer der größten ägyptischen Kunstschätze. Aktuell ist sie im Neuen Museum auf der Berliner Museumsinsel ausgestellt.
Die Büste der Nofretete gilt als einer der größten ägyptischen Kunstschätze. Aktuell ist sie im Neuen Museum auf der Berliner Museumsinsel ausgestellt. © picture alliance / dpa

Bereits 1924 forderte ägyptische Altertumsverwaltung den rund 3500 Jahre alten Kopf der verstorbenen Pharonengemahlin zurück. Die Deutschen beriefen sich damals darauf, dass das Ägyptische Museum in Kairo aus demselben Fund bereits ein Altarbild, das das Königspaar Echnaton und Nofretete mit dreien seiner Kinder zeigt, als seinen Anteil erhalten hatte.

Heutzutage wird die Regelung der Fundteilung infrage gestellt. „Diese Regelung erfanden die Protektoratsmacht England und die Franzosen, denen die Antikenverwaltung unterstand [...] Niemand sollte sich auf das Recht der Kolonialmächte von damals berufen. Wir halten ja auch die Enteignungen durch die Nationalsozialisten nicht für legal, obwohl das einst geltendes Recht war“, erklärte beispielsweise der Afrikaforscher und Historiker Jürgen Zimmerer in einem Interview mit dem Spiegel.

Trotzdem - die Büste der Nofretete steht auch heute noch in Berlin.

In der Hammer Ägyptenausstellung steht lediglich eine Replik der Büste der Nofretete. Hier setzt man sich jedoch auch mit Enteignungen durch die Nationalsozialisten auseinander. 2019 gab die Stadt zwei Porzellanfiguren aus der Sammlung des Gustav-Lübcke-Museums an die Hamburger Erben der Hammer Jüdin Bertha Gerson zurück. Wie sich herausgestellt hatte, waren die Stücke in den Besitz des Museums gekommen, nachdem die jüdische Frau deportiert worden war.

Jan Giebel überprüft, ob Ausstellungsobjekte des Gustav-Lübcke-Museums im Zuge der Judenverfolgung durch die Nationalsozialisten in den Besitz der Stadt geraten sind.
Jan Giebel überprüft, ob Ausstellungsobjekte des Gustav-Lübcke-Museums im Zuge der Judenverfolgung durch die Nationalsozialisten in den Besitz der Stadt geraten sind. © Thorsten Hübner

Provenienzforscher Jan Giebel füllt heute eine Projektstelle aus, die speziell ins Leben gerufen wurde, um zu prüfen, ob noch mehr Stücke des Gustav-Lübcke-Museums durch die Enteignung von NS-Verfolgten in den Bestand der Stadt gekommen sind.

„So etwas zu prüfen, dauert sehr lang“, erklärt Museumsdirektor Thomas Schmäschke. „Um Aufschluss über die Herkunft der ägyptischen Stücke zu erhalten, würde man eigentlich eine weitere Projektstelle benötigen.“ Doch selbst dann sei es immer noch schwierig. Ein Großteil der Exponate sei über etliche Zwischenstationen nach Hamm gekommen.

Die Überprüfung der Herkunft diene zwar der absoluten Transparentmachung, manchmal müsse man aber aufrichtig sagen: „Wir wissen es nicht“, so Thomas Schmäschke. „Möglicherweise gibt es aber jemanden in der Herkunftskultur, der Informationen über den Ursprung eines Stückes hat. ‚Wir wissen es nicht‘ - ist kein Schlussstrich unter möglichen Forschungsbestrebungen - es ist nur ein ehrlicher und transparenter Umgang mit dem Wissensstand.“

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