Fehlende Gleichstellung in Dortmunds Konzerthallen Warum treten weniger Frauen als Männer auf?

Warum treten weniger Frauen als Männer in Dortmunds Konzerthallen auf?
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Das FZW ist nach den Westfalenhallen der größte Konzert-Ort Dortmunds. Doch schaut man sich den Veranstaltungsplan des FZW an, fällt auf: Bei den neun geplanten Konzertterminen bis zum Ende des Jahres steht keine einzige Frau auf der Bühne. Zwar hatte man mit der Sängerin Alice Merton Anfang November noch eine Größe zu Gast, doch dann erstmal lange nichts. Erst im Februar kommt mit der Sängerin Stefanie Heinzmann wieder eine Künstlerin ins FZW. Doch womit hängt das zusammen?

Felix Japes arbeitet seit elf Jahren im FZW, seitdem zählt das Booking, das Anwerben von Künstlerinnen und Künstlern mit zu seinen Aufgaben. Mittlerweile ist er Leiter der Konzert- und Eventabteilung der Konzerthalle.

„Wir müssen ein stückweit gucken, was uns angeboten wird“, erzählt Felix Japes. Das FZW sei kein Ort, den die erfolgreicheren Acts automatisch oder auf Anfrage besuchten. Eher ein Ort, den sie anfahren würden, wenn er zur Route der Tour passe, so Japes. Alice Merton war zum Beispiel unterwegs, um ihr aktuelles Album zu promoten.

Insgesamt gebe es aber einfach weniger erfolgreichere Künstlerinnen, die regelmäßig durch Deutschland tourten, obwohl das Angebot in den letzten Jahren gewachsen sei. Doch woran liegt das?

Felix Japes ist seit elf Jahren mit dem Booking beim FZW in Dortmund betraut.
Felix Japes ist seit elf Jahren mit dem Booking beim FZW in Dortmund betraut. © Anna Schneegans

Von vielen Künstlerinnen hört man, dass im Bereich der Populärmusik immer noch viel Ungleichbehandlung stattfinde. Speziell Instrumentalmusikerinnen würde per se erstmal weniger zugetraut als ihren männlichen Kollegen.

Dazu kämen immer wieder sexistische Bemerkung wie „Ausziehen“-Zurufe auf Konzerten oder Bemerkungen wie „für eine Frau spielst du aber gut“, wie die Mitglieder der Berliner Punkband „24/7 Diva Heaven“ in einem Interview mit dem NDR berichten. Dazu kommt, dass ein Großteil der Entscheidungsträger der Plattenindustrie nach wie vor männlich ist.

Die Studie „Inclusion in the Recording Studio“ (z. Dt. „Inklusion im Aufnahmestudio“) der amerikanischen Universität von Südkalifornien in Los Angeles hat untersucht, wie viele Musikerinnen an den 900 populärsten Songs der Jahre 2012-2020 beteiligt waren. Dazu hat sie die US-amerikanischen Billboard-Jahrescharts betrachtet.

An den 900 erfolgreichsten Titeln waren zu 21,6 Prozent Interpretinnen beteiligt, bei den Songschreibern lag der Anteil der Frauen bei 12,6 Prozent - der Anteil der beteiligten Musikproduzentinnen lag bei lediglich 2,6 Prozent.

Verteilung im Jazz

Waldo Riedl, künstlerischer Leiter des Dortmunder Jazzclubs Domicil, kennt ähnliche Verteilungen im Bereich der Jazzmusik. „Wir versuchen sehr darauf zu achten, unser Programm auszubalancieren“, erzählt er. „Das gelingt leider nicht immer, von 50:50-Frauen- und Männeranteil sind wir und fast alle anderen Clubs sowieso weit entfernt.“

Das hätte schon rein quantitative Gründe, so Riedl. „Der Anteil der Frauen im Jazz ist nicht wirklich hoch. Er liegt ungefähr bei ungefähr 20 Prozent. Davon sind dann nochmal rund 90 Prozent Sängerinnen. Würden wir auf der Bühne 50 Prozent Frauen und 50 Prozent Männer anstreben, wäre das Programm auf Dauer arg einseitig.“

Generell sei man im Domicil allerdings darauf bedacht, Frauen in alle künstlerischen Bereiche einzubinden. Gerade im Bereich der Instrumentalmusik sei dies aber schwieriger.

Instrumentalistinnen

Ilona Haberkamp ist Saxophonistin und professionelle Musikerin aus Dortmund. Seit Ende der 1980er-Jahre verdient sie ihren Lebensunterhalt mit Konzerten, vor allem im Bereich der Jazz-Musik. Außerdem gibt sie Musik-Unterricht. Mit dem „Lillith-Quartett“ spielt sie dazu in einem rein weiblich besetzten Saxophon-Quartett. Der Mangel an Instrumentalistinnen hat für sie mehrere Gründe.

„In Deutschland wurde die Rolle der Frau stark durch die Nationalsozialisten und den Zweiten Weltkrieg geprägt“, erzählt die Saxophonistin. „Im Dritten Reich sollte die Frau Mutter und Hausfrau sein. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es Männermangel und die Frauen übernahmen auch handwerkliche Berufe, um Lücken zu füllen. Musikerin im Unterhaltungsbereich zählte nicht unbedingt zu den anerkannten Lebensentwürfen.“

Ilona Haberkamp ist professionelle Saxophonistin seit mehr als 30 Jahren.
Die Dortmunderin Ilona Haberkamp ist professionelle Saxophonistin seit mehr als 30 Jahren. Ihrer Auffassung nach liegt der geringere Anteil von Instrumentalistinnen im Jazz nicht nur an der Ungleichbehandlung. © Kurt Rade

Bis heute seien diese Rollenbilder nicht komplett ausgeschlichen, da es über die Jahrzehnte weniger weibliche Vorbilder als männliche gegeben hätte, die die jungen Frauen hätten inspirieren können, so die 65-Jährige.

In ihrem Beruf als Musiklehrerin beobachte sie aber auch, dass Frauen und junge Mädchen von sich aus bestimmte Instrumente wählten. „Querflöte, Saxophon, Geige, Cello und Klavier - das sind die Instrumente, für die sie sich immer wieder begeistern.“ Instrumente wie Schlagzeug oder Bass würden am wenigsten Interesse hervorrufen.

Unsicherer Lebensentwurf

Nicht nur Interesse spiele eine Rolle: Wolle man Trompete, Posaune oder Tuba auf einem professionellen Level spielen, sei dies auch eine Frage der körperlichen Konstitution. „Für diese Instrumente muss man eine hohe Spannung aufbauen. Das ist ein richtiger Kraftakt, der Männern leichter fällt“, sagt Ilona Haberkamp.

Trotzdem sei es so, dass in der Jugend ähnlich viele Jungen und Mädchen anfingen ein Instrument zu lernen. Selbst an den Universitäten sei die Verteilung noch ähnlich. Wenn es dann darum ginge, den Schritt in die Professionalität zu wagen, seien es im Jazz deutlich weniger junge Frauen als Männer, die diesen Weg wählten. Das führe dann zu Verteilungen wie in der „WDR Big Band“. Hier gibt es mit der Saxophonistin Karolina Strassmayer lediglich eine Musikerin.

Nach den Erfahrungen, die Ilona Haberkamp gemacht hat, läge dies aber nicht zwingend daran, dass Frauen auf dem Weg in die Professionalität mehr Steine in den Weg gelegt würden.

„Jazzmusiker ist einfach ein sehr unsicherer Lebensentwurf, der nicht sonderlich familienfreundlich ist. Zwischendrin bist du dann erstmal vier Wochen auf Tour und dein restliches Leben liegt brach. Manchmal kommen einen Monat lang kaum Einnahmen rein. Ich glaube, dass sich auch deshalb weniger Frauen für eine solche Profikarriere entscheiden“, überlegt sie.

Mehr Frauen im Klassikbetrieb

Im Bereich des klassischen Musikbetriebs gibt es wiederum mehr Frauen. Schaut man auf das Programm des Dortmunder Konzerthauses, dann stehen bis zum Ende des Jahres mit Martha Agerich, Zuzana Ferjenčíková und Noa Wildschut noch drei Solistinnen auf der Bühne. Dazu kommen die Musikerinnen der Orchester und Ensembles.

In der Klassik ist der Anteil der Musikerinnen von Grund auf höher als im Pop oder Jazz. Vierzig Prozent sind es laut einer Studie des Deutschen Musikinformationszentrums.

„Der Anteil an hochqualifizierten Musikerinnen gerade in den Orchestern ist schon seit vielen Jahren immer größer geworden, weil es auch immer mehr top ausgebildete Absolventinnen an den Musikhochschulen gab und gibt, die Orchesterstellen besetzen, auch als Konzertmeisterin oder Stimmführerin“, erklärt Heiko Schmitz, Pressesprecher des Dortmunder Konzerthauses.

10.000 Orchesterstellen

Deutschland hat eine Orchesterlandschaft mit 149 mit öffentlichen Geldern finanzierte Ensembles. Insgesamt sind das ungefähr 10.000 Stellen im Orchesterwesen. „In diesem Bereich gibt es für diejenigen, die eine Stelle ergattern, eine relativ sichere berufliche Perspektive. Da sich immer noch mehr Frauen als Männer um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie kümmern, sind die Stellen für viele professionelle Musikerinnen entsprechend attraktiv, zumal auch in Teilzeit gearbeitet werden kann“, so Schmitz.

Die Verantwortlichen von FZW, Domicil und Konzerthaus betonen, dass sie darauf achten, möglichst viele Musikerinnen zu verpflichten. „Wir sind allerdings auch ein wirtschaftlicher Betrieb, das heißt, wir müssen uns ein wenig nach der Reichweite der Artists richten“, erklärt Felix Japes vom FZW. Trotzdem sei man sich der eigenen Verantwortung, Künstlerinnen zu fördern, bewusst.

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