In der Schule, erzählt Christian Graf, habe er nur wenig Hilfe bei der Berufswahl bekommen. „Da hieß es immer nur: Mach den höchsten Schulabschluss! Bei der Berufsberatung hieß es dann: Mach eine Ausbildung! Man wusste gar nicht mehr Bescheid“, sagt der 18-Jährige.
Er hat seinen Weg gefunden, macht jetzt ein Duales Studium und will Sozialarbeiter werden. Was er aber Heike Bettermann, der Chefin der Arbeitsagentur in Dortmund, während der Jugendkonferenz in der Dasa in Dorstfeld erzählt, erklärt einen Trend: Ausbildung ist bei Jugendlichen nicht so gefragt.
„Trotz des steigenden Fachkräftebedarfs bleiben zu viele Ausbildungsplätze unbesetzt“, stellt Heike Bettermann in ihrer Jahresbilanz zum Ausbildungsmarkt fest. „Obwohl die Chancen besser sind als je zuvor, entscheiden sich die jungen Menschen oftmals gegen eine qualifizierte Berufsausbildung und für Alternativen wie den weiteren Schulbesuch oder ein Studium. Wir spüren ein deutlich schwindendes Interesse an der Dualen Berufsausbildung.“
Kein Vor-Corona-Niveau
Allein die Handwerkskammer meldet, dass 65 Ausbildungsstellen auf ihrer Lehrstellenbörse nicht besetzt sind. Und die Industrie- und Handelskammer zu Dortmund (IHK) zählt zwar 2570 neue Ausbildungsverträge und damit ein Plus von 8,7 Prozent gegenüber 2021. Das Vor-Corona-Niveau von 2019 ist aber längst noch nicht wieder erreicht.
„Hat die Duale Ausbildung ein Image-Problem?“, fragt Agentur-Chefin Heike Bettermann einige Jugendliche in der DASA. „Ich habe mehrere Freunde“, sagt Christian Graf, „die haben lange umsonst studiert, irgendwann ihr Studium abgebrochen und dann eine Ausbildung gemacht. Ich finde, es muss nicht jeder Betriebswirtschaftslehre studieren.“
„Ja“, sagt Heike Bettermann, „in der öffentlichen Wahrnehmung sind berufliche und akademische Bildung leider noch nicht gleichgestellt.“ Dabei, so macht sie deutlich, verdienen Akademiker oft nicht mehr als Facharbeiter. „Eine Studie des Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung zeigt, dass beruflich Qualifizierte finanziell gegenüber Akademikern oftmals sogar die Nase vorn haben.“
Ausbildung nur Plan B
Schon mit Beginn der Corona-Pandemie verschärfte sich 2020 die Lage auf dem Ausbildungsmarkt. Keine Praktikumsmöglichkeiten, keine Berufsberatung in den Schulklassen. Viele Schulabgänger entschieden sich für eine Verlängerung ihrer Schullaufbahn - etwa am Berufskolleg.
Heute ist die Situation unverändert. Für viele Jugendliche ist eine Ausbildung nur der Plan B, wenn es mit dem Studium nicht klappt.
Man fragt sich: Wo sind all die jungen Menschen, die doch irgendwann das Ende der Schullaufbahn erreichen oder das Studium wieder abbrechen? Die Experten fragen sich das auch. „Genau wissen wir es nicht“, sagt Heike Bettermann. Viele würden in Helfertätigkeiten bleiben und im jeweiligen Unternehmen bestenfalls einen kleinen Aufstieg erreichen.
„Fast jeder fünfte junge Erwachsene in NRW“, weiß Jutta Reiter, die Vorsitzende des DGB Dortmund, „verbleibt dauerhaft ohne jede berufliche Qualifikation.“ Sie fordert eine Ausbildungsgarantie.

Dabei sind in Dortmund die Chancen auf einen Ausbildungsplatz so gut wie lange nicht mehr. Während die Zahl der Bewerber rückläufig ist, ist die Ausbildungsbereitschaft bei den Unternehmen trotz der wirtschaftlich unsicheren Zeit ungebrochen.
In der Berufsgruppe „Hotel und Gaststätten“ wurden in der IHK-Region gut 40 Prozent mehr neue Ausbildungsverträge geschlossen als 2021. In klima-relevanten Berufen wie „Anlagenmechaniker(-in) Sanitär, Heizung, Klima“ gab es dagegen 28 Vertragsabschlüsse weniger. Und es sind 11 Lehrstellen noch unbesetzt.
Gewerkschafterin Jutta Reiter appelliert in diesem Zusammenhang an die jungen Anhänger der Klimaschützer „Fridays for future“, ganz praktisch zur Klimagerechtigkeit beizutragen und sich bei der Handwerkskammer für einen Ausbildungsberuf zu melden.
Maike Fritzsching, IHK-Geschäftsführerin für Berufliche Bildung und Fachkräftesicherung, will das Ausbildungsmarketing stärken. „Zusammen mit der Handwerkskammer sowie den Arbeitsagenturen, den Jobcentern und den Wirtschaftsförderungen in der Region haben wir die Kampagne ‚Stabile Zukunft’ ins Leben gerufen, die Lust auf eine Ausbildung machen soll.“
Die IHK-Expertin sagt, man nehme vor allem Studienabbrecher und Studienzweifler in den Blick. „30 Prozent beenden ihr Studium nicht“, erklärt sie. Und Olesja Mouelhi-Ort hofft auf den Erfolg eines Projekts mit der Fachhochschule Dortmund: „Wir versuchen Studium und Duale Ausbildung miteinander so zu verheiraten, dass wir eine Durchlässigkeit beider Bildungssysteme erreichen und Studienzweifler sich über die Praxis in Richtung Handwerk orientieren.“
Lust auf Ausbildung machen
Agentur-Chefin Heike Bettermann betont: „Klimawandel, Energiewende, nachhaltiges Wirtschaften und globale Gerechtigkeit - bei all diesen Herausforderungen spielt die Duale Berufsausbildung eine gewichtige Rolle. Zum Beispiel der Dachdecker oder die Dachdeckerin baut etwa Sonnenkollektoren und photovoltaische und windenergetische Elemente in Dach- und Wandflächen ein, oder der Elektroniker oder die Elektronikerin sind die Fachkräfte für Smart Home und Künstliche Intelligenz. Die beruflichen Perspektiven sind richtig gut.“
Mut macht das der 18-jährigen Elina Weigel, die gerade ihren Realschulabschluss nachholt. „Ich möchte dann eine Ausbildung machen“, sagt sie und hat auch Freundinnen gesprochen, die gerade eine Lehre machen. „Die sind zufrieden und halten viel von einer Ausbildung.“
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