Querdenker-Szene organisierte Traktor-Demo in Dortmund Wie Verschwörungstheoretiker die Bauernproteste kapern

Wie der Bauernprotest in Dortmund für Verschwörungsmythen gekapert wird
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Ein langer Auto-Korso, angeführt von zwei Traktoren, fuhr am Donnerstag, 28. Dezember, durch Dortmund. Ein weiterer – ohne Traktoren und etwas kleiner – folgte am Samstag, 30. Dezember. Dabei wurden bekannte Verschwörungsmythen rund um einen angeblichen Bevölkerungsaustausch, von korrupten Politiker-Eliten und mehr verbreitet.

Hinter dem Korso steckten nicht, wie man annehmen könnte, Landwirte, die wegen anstehender Subventionskürzungen derzeit vielerorts gegen die Bundesregierung demonstrieren. Sondern bekannte Personen der sogenannten Querdenken-Szene wie Michael Schele, der seit mehreren Jahren als einer der Köpfe der Szene in NRW gilt.

Demo-Korso fährt um die Kurve in Dortmund.
Bekannte Slogans aus der Verschwörungstheoretiker-Szene, Deutschland-Fahnen und AfD-Slogans waren bei den Autokorsos zu sehen. © Oliver Schaper

Angemeldet hatten die Demos nach Aussage der Polizei Dortmund je eine Privatperson. Dass es sich bei den Teilnehmenden um bekannte Personen aus der Szene der Querdenker und Coronaschutzgegner handelte, hätten die Einsatzkräfte im Vorfeld gewusst, hieß es auf Nachfrage unserer Redaktion. Statt der angemeldeten 20 Autos seien am Ende von der Polizei 48 gezählt worden. Bei der zweiten Demo waren es nach Schätzungen nur noch etwa 38.

Die Demos seien störungsfrei verlaufen, Gegenprotest habe es keinen gegeben. Ebenso seien laut Polizeisprecherin Nina Kupferschmidt keine illegalen Parolen gerufen oder auf Plakaten gezeigt worden.

Aufgerufen zur Teilnahme wurde in Telegram-Gruppen aus dem Anti-Corona- und Querdenken-Spektrum. „Gemeinsam für die Landwirtschaft!“, heißt es in einer Grafik, die so gestaltet ist wie schon die Optiken bei den früheren Anti-Corona-Autokorsos.

„Schwachköpfe, Radikale, Spinner“

Seit es bundesweit Proteste der Landwirte gegen die geplante Abschaffung der Agrardieselsubvention und der landwirtschaftlichen Kfz-Steuerbefreiung gibt, versucht die Szene, die Aufmerksamkeit für die Wut der Landwirte zu nutzen, um eigene politische Botschaften unter die Leute zu bringen. In den sozialen Medien kursierten unter anderem Bilder von Traktoren mit Galgen, an denen Puppen baumelten, die Ampel-Politiker darstellen sollen. Der Deutsche Bauernverband distanzierte sich bereits am 23. Dezember von solchen Vereinnahmungen durch extreme Randgruppen.

Man distanziere sich „aufs Schärfste von Schwachköpfen mit Umsturzfantasien, Radikalen sowie anderen extremen Randgruppen und Spinnern, die unsere Aktionswoche kapern wollen“, teilt der DBV auf Instagram mitteilt. Diese Aussage wurde von den Demonstranten in Dortmund aufgegriffen.

Der DBV sei nur ein weiteres Organ des Systems und ordne sich der Regierung unter, schallte es aus den Lautsprechern. Einer der Haupt-Redeführer war Schele in seinem bereits von früheren Anti-Coronaschutz-Korsos bekannten Pkw.

Landwirte distanzieren sich

Petra Drees-Hagen, Sprecherin des Kreisverbandes Ruhr-Lippe des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes (WLV), zeigt sich im Gespräch mit unserer Redaktion überrascht über die Demo: „Ich bin ganz ehrlich: Ich wusste von der Demo nichts und war sehr verwundert.“

Für ihren eigenen Verband sagt sie zu den aktuellen Bauernprotesten: „Wir haben zwar was geplant - allerdings erst ab dem 8. Januar.“ Das ist das vorgesehene Startdatum der bundesweit koordinierten Aktionen der Landwirte gegen die Entscheidungen der Ampel-Regierung in Sachen Haushaltseinsparungen. „Wir wollen mit Traktoren auf der B1 zwischen Unna und Geseke demonstrieren“, sagt Drees-Hagen.

Dieser Demozug des WLV solle eher einen demonstrierenden statt einen blockierenden Charakter haben, sagt die Sprecherin: „Daher haben wir uns auch gegen Dortmund als Veranstaltungsort entschieden.“ Dort würde man viel zu schwer durchkommen mit Traktoren und im Großstadtverkehr für mehr Chaos sorgen als gewünscht.

Grundsätzlich freuten sich die Landwirtinnen und Landwirte natürlich über Solidarität. „Allerdings distanzieren wir uns von Versuchen, diese Proteste für die eigenen Zwecke auszunutzen“, sagt sie. Parolen, die Umsturzfantasien und Verschwörungsmythen enthalten, lehne man strikt ab. „Leider kann man das nur schwer verhindern, dass so etwas passiert.“

Beim Verfassungsschutz bekannte Strategie

Die Taktik, eigene Demos auf andere Proteste aufzusetzen und in deren Windschatten mitzusegeln, sei bekannt, heißt es vom Bundesamt für Verfassungsschutz.

Nicht nur während der Coronapandemie, sondern auch etwa zu Beginn des Ukrainekrieges hätten sich Anhänger radikaler Ideologien verschiedenen Demos angeschlossen, um ihre eigenen Botschaften zu verbreiten. Der Verfassungsschutz hat dazu seit einigen Jahren den Phänomenbereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ eingerichtet.

Als Ausdruck einer solchen Delegitimierung definiert der Verfassungsschutz durch zum Beispiel „Verächtlichmachung gewählter Repräsentanten des Staates oder staatlicher Institutionen“ oder „Aufrufe zu Widerstandshandlungen gegen die staatliche Ordnung“. Gruppen mit entsprechenden Zielen nutzten demnach gerne Proteste, die sich sowieso gegen Regierungsbeschlüsse richten, um in diesem Umfeld ihre Botschaften zu platzieren.

Eine Radikalisierung der Bauernproteste liege nicht vor, wie ein Sprecher des Innenministeriums NRW, dem der Verfassungsschutz unterstellt ist, mitteilt. „Da es sich derzeit um einen klassischen Verteilungskonflikt handelt, richten sich die Proteste nicht gegen den demokratischen Rechtsstaat, sondern gegen politische Entscheidungen“, sagt er.

Jedoch „begrüßen rechtsextremistische Gruppierungen und Akteure die Proteste der Bauern und unterstützen sie verbal. Zum Teil knüpfen die Rechtsextremisten damit an eine ‚Blut und Boden‘-Ideologie an“. Vereinfacht ausgedrückt ist das eine Ideologie, die Landwirtschaft mit rassistischen Ideen verknüpft. Sie war ein zentraler Bestandteil der Ideen des Nationalsozialismus. Was die aktuellen Proteste der Querdenker-Szene angeht, sehe auch der Verfassungsschutz keinerlei positive Resonanz und auch keine Kooperation vonseiten der Landwirte in NRW.

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