Am Mittwoch (10.1.) ging der Prozesstag im Fall des bei einem Polizeieinsatz getöteten Mouhamed Dramé weiter. Seit dem 19. Dezember müssen sich fünf Polizeibeamte wegen des tödlichen Einsatzes am 8. August 2022 in der Dortmunder Nordstadt vor dem Landgericht verantworten.
Am ersten Prozesstag hatte Richter Thomas Kelm eine wichtige Einschränkung bekannt gegeben: Was die Angeklagten bisher zu dem Vorfall zu Protokoll gegeben haben, ist nach Ansicht des Richters nicht verwertbar und dürfte damit auch nicht in den Prozess einfließen. Denn die Beamten seien nach dem Einsatz „nur“ als Zeugen vernommen und nicht gleich als Beschuldigte belehrt worden.
Gegen dieses „Beweisverwertungsverbot“ wehren sich nun Lisa Grüter und Prof. Dr. Thomas Feltes, die als Anwälte der Nebenklage die Familie Dramé vertreten, in einer Presseerklärung.
Thema am zweiten Prozesstag
Am zweiten Prozesstag war dies noch einmal Thema. Das weckte durchaus Emotionen. Der Richter betonte, die Aussage nur im Rahmen der Belehrung der Beschuldigten getroffen zu haben. Das „Beweisverwertungsverbot“ sei noch nicht angeordnet.
Dennoch ist nach Einschätzung vieler Prozessbeteiligter davon auszugehen, dass es kommt. Und damit die Strategie der Beweisführung beeinflussen könnte.
Feltes und Grüter kritisierten die aus ihrer Sicht unklaren Aussagen am Mittwoch als „unsaubere Verhandlungsführung“. Dies sei einem Verfahren dieser Größenordnung und Bedeutung nicht angemessen. Weitere Erkenntnisse über diese Frage sind am 17. Januar zu erwarten.
Aussagen könnten angepasst werden
Was kritisiert die Nebenklage genau? In der Erklärung von Grüter und Feltes heißt es: „Ein Beweisverwertungsverbot wurde den Angeklagten die Möglichkeit geben, ihre im Eindruck der Tatnacht getätigten Aussagen mit dem Wissen der heutigen Ermittlungsergebnisse bewusst oder unbewusst anzupassen und eine vorher nie geäußerte Notwehr- oder Nothilfesituation zu behaupten.“

Nach Auffassung von Lisa Grüter handelt es sich um „für die Beweisführung entscheidende Angaben“ der angeklagten Polizeibeamtinnen und -beamten.
Auch Thomas Feltes, der sich relativ kurzfristig vor Prozessbeginn noch als Vertreter der Nebenklage angeschlossen hatte, zeigte sich überrascht von der Überlegung des Richters.
Denn das Bundesverfassungsgericht und der Bundesgerichtshof hätten sich mehrfach zu solchen Beweisverwertungsverboten geäußert und klargestellt, dass nicht jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsregeln zu einem Beweisverwertungsverbot führe.
Besondere Pflicht des Rechtsstaates
„Vielmehr muss das Gericht zwischen den Rechten der Beschuldigten und dem Strafanspruch des Staates und dem Interesse an einer effektiven Strafverfolgung abwägen“, sagt Thomas Feltes. Er sieht gerade bei angeklagten Polizeibeamten eine besondere Pflicht des Rechtsstaates, Straftaten aufzuklären. Dazu müssten alle vorhandenen Beweismittel herangezogen werden.

Lisa Grüter sagt: „Aus unserer Sicht liegt kein bewusster und willkürlicher Verfahrensverstoß vor, der die Unverwertbarkeit der Angaben zur Folge haben muss.“
Alle angeklagten Beamtinnen und Beamten seien in ihrer damaligen Rolle als Zeugen vorschriftsmäßig belehrt worden, dass ihnen ein Auskunftsverweigerungsrecht auf Fragen zustehe, bei deren Beantwortung sie in Gefahr einer Strafverfolgung geraten. Als Polizeibeamte würden sie zudem die rechtlichen Vorgaben kennen. „Sie belehren darüber ja jeden Tag selbst potenzielle Verdächtige von Straftaten“, sagt Rechtsanwältin Grüter.
„Besondere Warnfunktion“
Die am Tattag gegründete Mordkommission habe noch am selben Abend den Dienstgruppenleiter vernommen, heißt es in der Pressemitteilung. Am Folgetag seien dann die übrigen Angeklagten mit Ausnahme des Schützen Fabian S. vernommen worden. Zum damaligen Zeitpunkt habe sich ein Tatverdacht ausschließlich gegen den Schützen gerichtet.
Dass sie als Beschuldigte gelten, hätten die heute Angeklagten erst am 19. August 2022 durch eine Verfügung der Staatsanwaltschaft erfahren. Lisa Grüter sieht in der Vernehmung durch Beamte der Dienststelle Recklinghausen eine „besondere Warnfunktion“ für die vernommenen Polizeibeamten.
Sie führt dazu auch ein Urteil des Bundesgerichtshofs an: „Wer bei Beginn der Vernehmung auch ohne entsprechende Belehrung gewusst hat, dass er nicht auszusagen braucht, ist nicht im gleichen Maß schutzbedürftig wie derjenige, der sein Schweigerecht gar nicht kannte.“
Kritik an Ermittlungen
Außerdem greifen die beiden Anwälte noch einmal eine Kritik auf, die schon kurz nach dem Fall geäußert worden ist: nämlich, dass Polizeibeamte aus Recklinghausen gegen Polizeibeamte aus Dortmund ermittelten.
Man merke, dass Hemmungen bestanden, Kollegen einer Straftat zu verdächtigen, heißt es in der Mitteilung. So sei lange unter dem Arbeitstitel „Fahrlässige Tötung“ oder „Körperverletzung mit Todesfolge“ gearbeitet worden. Tatbestände, die nach Auffassung von Feltes und Grüter nach mehreren Treffern aus einer Maschinenpistole „nicht nahe liegen“.
Bilanz des 2. Prozesstages im Video
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel ist am 10.1. (Mittwoch) um aktuelle Informationen vom zweiten Prozesstag ergänzt und aktualisiert worden.
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