Jugendhilfe
Profi-Pflegefamilie aus Dortmund: „Ich bin stolz, dass wir so viele sind“
Im Familie-sein sind diese Dortmunder Profis: Acht Personen, sechs Kinder und zwei Erwachsene, leben in einer besonderen Konstellation zusammen. Sie möchten andere motivieren, das auch zu wagen.
Im Dortmunder Stadtbezirk Mengede lebt eine achtköpfige Familie. Hinter der Tür eines unscheinbaren Einfamilienhauses wohnen Nadine und Stefan mit ihren sechs Kindern im Alter zwischen 4 und 17 Jahren. Im Folgenden werden die Familienmitglieder auf Wunsch und zum Schutz vor negativen Konsequenzen ausschließlich mit Vornamen benannt.
Denn die Konstellation ist - von außen betrachtet - ungewöhnlich.
Nadine und Stefan haben drei leibliche Kinder, drei weitere sind Pflegekinder. Sie führen das Leben einer Großfamilie. Davon zeugen die Einträge im übervollen Familienkalender. Und die Tatsache, dass „immer einer da ist“, wie es die älteste Tochter Josefa (17) formuliert.
Dieses Haus im Dortmunder Westen ist eine von mehreren „Profipflegestellen“ Städtischen Instituts für erzieherische Hilfen (SIEH). Durch das Institut erhält die Familie eine intensive, Fachberatung, Begleitung und Unterstützung.
Pflegekinder benötigen Unterstützung
Alle drei Pflegekinder leben mit Einschränkungen in Folge einer fetalen Alkoholstörung, die hirnorganische Beeinträchtigungen, Entwicklungsstörungen und extreme Verhaltensauffälligkeiten hervorgerufen hat.
„Sie haben mehr als ein Päckchen zu tragen“, sagt Mutter Nadine. Doch es ist zu spüren: Unter diesem Dach halten alle zusammen und wissen, wie sie sich Hilfe suchen. So hat die Familie schon herausfordernde Zeiten überstanden.
„Meine Devise war schon immer ,geht nicht, gibt’s nicht´ und ,mit dem Kopf durch die Wand ´. Ohne Stress kann ich scheinbar nicht“, sagt die 38-Jährige.
Zum herausfordernden Teil gehört auch der Umgang mit den Herkunftsfamilien der Pflegekinder. Altersentsprechend stellen sie sich immer wieder Fragen zu dem Thema. „Wir drängen es nicht auf, verheimlichen es aber auch nicht und versuchen, den Gedanken einer Vorbestimmtheit zu vermitteln“, sagt Nadine.
Die Kinder sind dauerhaft hier untergebracht, weil die leiblichen Eltern aus unterschiedlichen Gründen nicht die Verantwortung für sie übernehmen können und dürfen.
So organisiert die Familie ihren Alltag
Die Mutter arbeitet als Lehrerin, Vater Stefan übernimmt die Organisation zu Hause. „Eine Familie dieser Größe erfordert eine gewisse Struktur“, sagt er. Für Frühstück, den Weg zu Schule und Kindergarten, die Hausaufgaben und das Zu-Bett-Gehen gebe es klare Abläufe.
„Wir machen keinen Unterschied zwischen eigenem Kind und Pflegekind“, sagt er. Jeder hat ein eigenes Zimmer, was auf 168 Quadratmetern einer architektonischen Meisterleistung gleichkommt.
Der Umgang miteinander wirkt sehr respektvoll und aufmerksam. Die Größeren achten auf die Kleineren. Geschwister-Kabbeleien sind da natürlich eingeschlossen.
„Ich bin sehr stolz darauf, dass wir so viele sind.“
„Klar nervt es manchmal, wenn man lernen will und immer möchte jemand spielen“ , sagt Josefa. „Aber ich bin sehr stolz darauf, dass wir so viele sind. Es ist auch schön, wenn immer jemand da ist.“ Ihre Brüder nicken bestätigend. Es komme vor, dass manche negativ auf die besondere Konstellation reagieren. „Damit lernt man umzugehen“, meint Josefa.
Immer jemand da zum Spielen: Alltag in einer Dortmunder Profi-Pflegefamilie. © Dortmund-Agentur/Roland Gorecki
Vater Stefan lächelt kurz, als er hört, wie seine Kinder denken. „Das macht mich wiederum stolz. Es ist schon so: Wenn unsere Horde im Urlaub den Strandweg runtergelaufen kommt, dann sind das tolle Erlebnisse.“
Der Zusammenhalt hat aus Elternsicht allerdings auch eine andere Ebene. „Wenn ich mal streng war, dann raufen sie sich zusammen und bilden Allianzen. Aber das soll ja auch so sein.“
Indem sie ihre Türen für einige Stunden öffnet, möchte die Familie auch für die Arbeit des SIEH werben. Denn es gibt einen großen Bedarf an solchen Familien.
Laut Institutsleiterin Sabine Winterkamp blieben Kinder länger in Bereitschaftspflegefamilien oder Schutzstellen als noch vor wenigen Jahren. Die Corona-Pandemie habe zusätzlichen Bedarf geschaffen. Aber auch das beschleunigte Eingreifen der Jugendhilfe in prekären Situationen sei eine Ursache dafür.
Profi-Pflegefamilien werden dringen benötigt
38 solcher Profi-Pflege-Plätze gibt es bisher im SIEH, das durch das Jugendamt der Stadt Dortmund getragen wird. Bis zu 70 sollen es in näherer Zukunft werden, so Sabine Winterkamp. „Wir schließen eine Lücke zwischen der Heimunterbringung und der Pflegefamilie“, sagt sie.
Die Arbeit als Profi-Pflegefamilie wird finanziell honoriert. Interessentinnen und Interessenten müssen aber einige Grundvoraussetzungen erfüllen. Eine Person im Haushalt muss über eine sozialpädagogische Qualifikation verfügen. Zudem sollte die Möglichkeit bestehen, dass ein Elternteil vollständig zuhause ist. Bewerber durchlaufen eine umfangreiche Eignungsprüfung.
„Es muss eine Bereitschaft da sein, das Familienleben auch für andere zu öffnen“, sagt Sabine Winterkamp. Denn es gibt regelmäßigen Kontakt mit dem Personal der städtischen Jugendhilfe, Pädagogen und auch den Herkunftsfamilien.
Die Unterstützung des SIEH hilft Nadine, Stefan und ihren sechs Kindern bei vielen Fachfragen. Aber sie hilft auch bei ganz einfachen Dingen.
Sie entlastet die Eltern. Vater Stefan sagt: „Manchmal merken wir dann erstaunt: Ach, wir haben ja Zeit und niemand ist da. Wir schöpfen dann Kraft daraus, im Sommer mal eine Stunde auf der Terrasse zu sitzen.“
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