Hätten die Verantwortlichen im Jahr 2000 Heike Regener gefragt, gäbe es heute den Phoenix-See nicht. „Als ich davon hörte, dachte ich: Jetzt sind die total bekloppt geworden“, sagt die 62-Jährige, nippt an ihrem Kaffee und blickt lächelnd auf das Wasser. Es ist einer dieser Sommertage (Anmerkung der Redaktion: Dieser Text erschien erstmals im August 2024), an denen die Temperatur über die 30-Grad-Marke geklettert ist. Fünf Kilometer weiter nordwestlich in der Innenstadt von Dortmund ächzen sie jetzt. Dort hat sich die Hitze wie ein dickes Kissen über den Westenhellweg gelegt. Hier am See weht dagegen eine laue Brise. Jogger drehen leichtfüßig ihre Runden, und ein Pärchen knutscht im Tretboot. „Wie im Urlaub“, sagt die selbstständige Gästeführerin und blinzelt in die Sonne. Die Kaffeepause am Ufer – da, wo 160 Jahre lang Stahl gekocht, Eisen gegossen und gewalzt worden war – lässt sie für einen Moment vergessen, dass ihr Terminkalender randvoll und der letzte freie Tag schon lange her ist.
Nicht nur Heike Regener hat der See mit dem versöhnt, was mit dem Wort Strukturwandel nur unvollständig beschrieben ist. In Hörde, wo nicht nur die Wiege der Dortmunder Stahlindustrie stand, sondern auch ihr Sterbebett, hat sich ein regelrechter Strukturbruch vollzogen: von der Schwerindustrie zur Mikrotechnologie, vom produzierenden Gewerbe zur Dienstleistung, von rußgrauen Häusern zu strahlend weißen Villen – vom gemiedenen Bitterfeld des Westens zum begehrten Erholungsgebiet mit mediterranem Charme. Eine Entwicklung, die europaweit Aufmerksamkeit erzielte und 2018 mit dem deutschen Städtebaupreis honoriert wurde.
Selbst kritische Beobachter bescheinigen der Stadt knapp 25 Jahre nach dem einstimmigen Beschluss zur 180-Grad-Wende, „dass alle Erwartungen erfüllt, wenn nicht sogar übertroffen“ wurden. Das stellt etwa Prof. Dr. Susanne Frank von der TU Dortmund in einer 2024 veröffentlichten Abhandlung fest. Aber auch etwas anderes: dass sich trotz allem die Angst vor Gentrifizierung hartnäckig halte – Anlass für immer neue, oft hitzige Diskussionen. Unterwegs im neuen In-Quartier zeigt sich, warum das so ist. Und was sich für andere Dortmunder Quartiere im Umbruch daraus lernen lässt.
Rudolf Platte und der Makler
Ausgerechnet Rudolf Platte. Ihm ist der Weg zur schicken Uferpromenade gewidmet. Diesem schlaksigen Schauspieler, der in alten Schwarz-Weiß-Filmen so überzeugend wie kaum ein anderer den kleinen Mann von der Straße verkörpert hat: schüchtern, verdruckst, immer etwas zu kurz gekommen und dabei urkomisch. Zumindest für das Publikum seiner Zeit. Alexander Bayer (26) gehört nicht dazu.
Der Immobilienmakler, dessen Büro ganz vorne am Rudolf-Platte-Weg liegt, keine 200 Meter vom Kai entfernt, wurde erst geboren, nachdem der beliebte Volksschauspieler schon 14 Jahre lang tot war. Gestorben war er 1984, als ruinöser Wettbewerb die internationale Stahlkrise gerade ihrem nächsten Höhepunkt entgegen taumeln ließ und die H-Bahn auf dem noch jungen Dortmunder Universitätscampus Fahrt aufnahm. Platte hätte besser einen besorgten Arbeiter verkörpern können als einen aufstrebenden Akademiker. Eher einen, der in einer sanierungsbedürftigen Altbauwohnung wohnt als in einem Penthouse mit Seeblick, von denen Alexander Bayer schon eine ganze Reihe vermittelt hat.

Die Karriere des jungen Mannes ist eng verknüpft mit der des Sees. „Wer ganz vorne am See wohnen will, muss inzwischen mit etwa 8000 Euro pro Quadratmeter rechnen“, sagt er. Unter einer Million Euro sei da bei den großzügig geschnittenen Wohnungen ganz vorne am Wasser kaum etwas zu machen. Insbesondere die Nordseite des Sees zählt inzwischen zu den teuersten Wohnlagen der Stadt. Zum Vergleich: Der durchschnittliche Quadratmeterpreis für Eigentumswohnungen in Dortmund lag im zweiten Quartal 2024 bei 2587 Euro.
Hohe Immo-Wertsteigerung
Wohl dem, der kurz nach der Fertigstellung der ersten der rund 2000 neuen Wohneinheiten rund um den See zugegriffen hat. Damals war ein 140-Quadratmeter-Penthouse für 550.000 Euro zu bekommen. Heute kaum unter einer Million. Betongold glänzt am See – der Krise auf dem deutschen Immobilienmarkt zum Trotz. Die Verknappung des Angebots durch den allgemeinen Einbruch des Neubaugeschäfts wird das noch verstärken.
Dass sich die wohlhabenden Eigentümer dennoch trennen von ihren Wohnungen in der Dortmunder 1a-Lage, führt Bayer, der junge Immobilienmakler, vor allem auf Gründe jenseits des Marktgeschehens zurück: „Paare trennen sich, beruflich verändert sich etwas.“ Dass die Reichen und Schönen des Sees überdrüssig werden könnten, sieht er nicht. Gerade bei Sportlern seien die Wohnungen mit Whirlpool und Spa-Bereich gerade am Nordufer begehrt, sagt Bayer, der als Wasserballer selbst ein Sportinternat in Hannover besucht hat. Nicht nur BVB-Spieler, sondern auch Kicker anderer Bundesligavereine lebten hier.
Im Wettlauf um die Mieten
Aber auch Leute wie Heike Regener. Die Tochter eines Feuerwehrmannes und Enkelin eines Bergmannes hatte wenige Jahre nach der Flutung des Sees 2010 für eine Zeit lang Am Remberg gewohnt. „Eine komplett sanierte Wohnung auf zwei Etagen mit Blick über den See bis ins Sauerland für zwölf Euro pro Quadratmeter.“ Zu Stahlwerk-Zeiten wäre das „der reine Wahnsinn“ gewesen. Damals lag nicht der Zugang zum Wasser vor der Haustür, sondern das Werkstor zum riesigen Stahlwerk für die Beschäftigten aus Hörde-Nord. Aber nach dem Wandel vom Revier zur Riviera sei das „völlig in Ordnung“. Ohnehin: „Gäste aus Stuttgart, Frankfurt und Köln lachen mich immer aus, wenn ich von unseren Sorgen vor Mietsteigerungen erzähle“, sagt Regener. Spitzenpreise am See von bis zu 20 Euro kalt kennen sie zu Hause aus weniger exklusiven Wohngegenden.

Laut Immoscout 24 betrug die durchschnittliche Dortmunder Kaltmiete im zweiten Quartal 2024 8,12 Euro pro Quadratmeter, also weniger als der Bundesdurchschnitt (8,48 Euro). Hörde, der einst gemiedene Stadtteil, mischt inzwischen mit einer Durchschnittsmiete von 8,60 Euro in der Liga der gefragten teureren Stadtteile im Süden mit. Am anderen Ende der Skala: Scharnhorst mit 7,32 Euro. Zum Vergleich: In Stuttgart liegt der Mietpreis bei 14,29 Euro, in Frankfurt bei 13,80 Euro und in Köln bei 12,04 Euro. München schießt den Vogel ab mit 18,85 Euro.
Dass es woanders schlechter ist, war noch nie ein Argument, das Susanne Neuendorf gelten ließ. Die Rechtsanwältin ist Geschäftsführerin im Dortmunder Mieterbund. „Wir haben einen wachsenden Mangel an günstigem Wohnraum, insbesondere für Familien.“ Für fünf Personen mehr als 1000 Euro Miete aufzubringen, sei für viele nicht möglich. Auch die vom Jobcenter definierte Angemessenheitsgrenze liegt bei 930 Euro – weit unter dem, was am See aufgerufen wird. Meistens zumindest.
Die Genossenschaft Sparbau bietet auf der Südseite des Phoenix-Sees einige frei finanzierten Wohnungen noch unter der Durchschnittsmiete an: „Etwas um die 6 Euro“, sagt Vorstand Franz-Bernd Große-Wilde. Es gibt auch öffentlich geförderten Wohnungsbau: allerdings zu einem Anteil, der weit unter der 2021 eingeführten 30-Prozent-Quote liegt: keine 100 von 2000 Wohneinheiten. „Ich bin froh, dass es überhaupt noch zu sozialem Wohnungsbau kam“, sagt dazu Hördes Bezirksbürgermeister Michael Depenbrock (CDU). In den Ursprungsplänen sei das gar nicht vorgesehen gewesen. „Etwas, das heute nicht mehr so passieren würde“, ist sich Markus Roeser sicher, der wohnungspolitische Sprecher des Mietervereins Dortmund und Umgebung.
„Sehe keine Gentrifizierung“
„Phoenix-See-Effekt“: Davon sprechen alle: Anwohner, Politiker, Vermieter und die Interessensvertreter der Mieterinnen und Mieter. Sie meinen damit, dass das Wohnen in Hörde ungeahnte Attraktivität gewonnen hat und sich das auch auf dem Markt niederschlägt. Von Gentrifizierung sprechen sie indes kaum. Alle anderen umso mehr. Längst ist der Fachbegriff ein Allgemeinplatz geworden: ein Gespenst, das schon umherging, als noch kein Tropfen Emscherwasser in dem bis zu 4,60 Meter tiefen See war. Inzwischen ist das größte Regenrückhaltebecken der Stadt, das der See ja auch ist, längst voll. Das Gespenst ist immer noch da.
Zu Recht? Bezirksbürgermeister Depenbrock schüttelt den Kopf. „Ich sehe hier keine Gentrifizierung“: keinen nennenswerten Wegzug der ursprünglichen Bevölkerung. Im Gegenteil: „Viele haben profitiert.“ Weil ein beliebtes Ausflugsziel jetzt fast vor ihrer Haustür liegt. Oder weil ihre vor Jahrzehnten günstig erworbene Immobilie mit unverbaubarem Blick auf die graue Werksmauer plötzlich eine erhebliche Wertsteigerung gefunden hat. Oder weil die lange stagnierende bis schrumpfende Bevölkerung überdurchschnittlich wächst: in ganz Dortmund um 4,9 Prozent in den vergangenen Jahren, in Hörde rund um das Doppelte. „Zugezogen“, sagt Depenbrock, „sind keine Arbeiter wie früher“. Und damit keine typischen SPD-Stammwähler. Ob es damit zu tun hat, dass mit ihm 2020 erstmals ein CDU-Mann Bezirksbürgermeister wurde? Depenbrock lächelt: „Ich hoffe doch, dass das eher mit meiner politischen Arbeit zu tun hat.“

Keine Gentrifizierung am Phoenixsee: Ist diese Einschätzung des Politikers im Licht der Wissenschaft haltbar? Dr. Christian Krajewski hat zusammen mit Studierenden der Universität Münster bereits 2016 das „Neue Wohnen am See“ untersucht. Ein Ergebnis: „In der Umgebung des Sees haben Bestandsinvestitionen und Gebäudesanierungen zugenommen. Einsetzende Verdrängungsprozesse alteingesessener Bewohner im Sinne einer Gentrifizierung lassen sich bisher nicht feststellen, zumal Mietpreisanstiege auf wenige Straßenzüge beschränkt bleiben.“
„Quartiersmelancholie“
Daran hat sich bis heute nicht viel verändert, wie Krajewskis Kollegin Prof. Dr. Susanne Frank von der TU Dortmund feststellt. Seit 2011 führt die Raumplanerin mit ihrem Team eine aufwändige Langzeitstudie zur Frage durch, wie sich das Phoenix-Projekt entwickelt und auf seine Umgebung ausstrahlt. Bislang, stellt Frank fest, gebe es, wenn überhaupt, nur schwache empirische Belege für eine Neubau-Gentrifizierung in Alt-Hörde. Luxussanierungen, überdurchschnittliche Mietsteigerungen, Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, Aufwertung von Gewerbestrukturen – all das lasse sich nicht beobachten. Dafür etwas anderes: „Quartiersmelancholie.“
So nennt Frank die im Stadtteil vorherrschenden „komplizierten Gefühle der zustimmenden Traurigkeit“. Einerseits begrüßten die Menschen vor Ort die Entwicklung, seien geradezu stolz darauf. Andererseits gebe es unverarbeitete Trauer angesichts des doppelten Verlustes, den die Industriearbeiter und ihre Familien erlitten haben. Sie verloren nicht nur ihre Arbeit, sondern auch ihre prägende Rolle – Status, Bedeutung und Anerkennung – im Stadtteil.
Norbert Baumgart (68) ist einer, der das nicht so emotional sieht. Seit 44 Jahren hat er seinen Betrieb in Hörde. Immer an der gleichen Stelle: erst Hermannstraße 181, benannt nach dem Gründer des Stahlwerks, inzwischen Phoenixseeallee. Dadurch habe sich für ihn genauso wenig verändert wie durch die Namensänderung des Werks: Ob Hoesch oder ab 1997 Thyssenkrupp: „Wir haben immer für die lackiert.“ Bis zum Schluss. Dann begann die für ihn schwierigste Zeit: Leerstand und zunehmende Verwahrlosung vis-à-vis. „Gut, dass das kein Dauerzustand blieb.“

Wenn er heute über die umbenannte Straße hinweg schaut, kann er zwischen den nagelneuen Häuserfluchten unten den See erahnen. Aber für solche Betrachtungen fehlt ihm meistens die Zeit. „Ich könnte schon in den Ruhestand wechseln, aber mir macht die Arbeit Spaß.“ Seinem Sohn Stefan, der mit ihm das Unternehmen führt, ebenso. Auf die Idee, dichtzumachen und das alte Gewerbegrundstück zu verkaufen, das nicht einmal 250 Meter Luftlinie von der Wasserkante entfernt liegt, würde er deshalb nie kommen. „Ich habe doch meine ganzen langjährigen Kunden hier.“ Und seine Zweigniederlassung auf der anderen Seite des Sees: eine Bootswerft, die einzige in Dortmund. Diesen Betriebszweig hatte Baumgart, der begeisterter Wasserski-Fahrer ist, schon immer. „Aber schön, dass sie uns damals den passenden See dazu gebaut haben“, sagt er und lacht.

Noch ein letzter Schluck Kaffee. Dann ist Heike Regeners Pause, der Kurzurlaub vom Alltag, vorbei. Gleich wird sie 1,5 Kilometer weiter die nächste Besuchergruppe um die erhaltene Hochofenanlage herum führen und erzählen, wie einst die Eliasbahn das glühende Eisen von Phoenix-West quer durch die Stadt nach Phoenix-Ost fuhr und Stahlarbeiter es dann weiterverarbeiteten. Vielen wird die Fantasie fehlen, sich das vorzustellen. Genauso wie ihr 2000, als sie von der Sache mit dem See hörte. „Wie gut, dass andere damals mehr Fantasie hatten als ich“, sagt sie, als sie aufsteht. „Und dass sie auch den Mut hatten, sie Wirklichkeit werden zu lassen“.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 22. August 2024.