Auf der Palliativstation des St.-Johannes-Hospitals werden Patienten betreut, bei denen keine Aussicht mehr auf Heilung einer lebensverkürzenden Krankheit besteht. © Felix Guth
St.-Johannes-Hospital
Weihnachten als Palliativ-Patient in Dortmund: Ein gutes Leben, bis das Ende kommt
Was, wenn es das letzte Weihnachten wäre? Für viele Patienten auf der Palliativstation des St.-Johannes-Hospitals ist das Realität. Auch für Peter Baer. Für ihn ist die Station ein Segen.
Wenige Tage vor Heiligabend geht Peter Baer (82) in langsamen Schritten zur elektronischen Tür der Palliativstation in der obersten Etage des St.-Johannes-Hospitals. „Junger Mann im Frühling“, ruft er dem Reporter zu, der gerade die Kamera auspackt. „Ein Bild von mir muss nicht sein. Ich könnte erklären warum. Aber das würde Monate dauern“, sagt er und lacht einmal kurz auf.
So viel Zeit hat er nicht. Der Zeitraum Monate hat für ihn eine andere Bedeutung als für die meisten anderen Menschen. Peter Baer wird sterben.
Dass er den Kampf gegen den Krebs nicht mehr gewinnen wird, wissen er und seine Lebensgefährtin Else Cremer seit knapp eineinhalb Jahren. Kurz vor Weihnachten im vergangenen Jahr hatte eine Ärztin ihm auf behutsame Weise deutlich gemacht, dass er seinen 82. Geburtstag im August 2019 wahrscheinlich nicht mehr erleben würde.
Jetzt sitzt er hier im Gemeinschaftsraum der Station und erzählt, wie er und Else Cremer Weihnachten in ihrem Zuhause in Hörde verbringen werden. Else Cremer sagt: „Das hätte er nicht geschafft, wenn es die Station nicht gegeben hätte.“
Die Palliativstation ist keine Sterbestation
Es gibt ein häufiges Missverständnis: Die Patienten kommen nicht zum Sterben auf die „Palli“, wie es in der Krankenhausflur-Zuruf-Sprache heißt. Natürlich haben Tod und Abschied hier eine andere Bedeutung. Jeder Patient hat bereits die Nachricht bekommen, dass seine Krankheit nicht mehr heilbar ist. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass niemand, der hier liegt, ein weiteres Weihnachtsfest erleben wird.
Keine normale Station: Im Gemeinschaftsraum gibt es ein Klavier, einen Plattenspieler und eine andere Einrichtung als sie im Krankenhaus üblich ist. © Felix Guth
Aber: Fast die Hälfte aller Patienten verlässt laut St.-Johannes-Hospital die Palliativstation nach einer Symptombehandlung. Die Patienten gehen nach Hause (35 %), wo sie ambulant palliativmedizinisch versorgt werden, sie gehen in ein Hospiz (21%), manchmal auch in ein Pflegeheim (5 %). Ein Drittel aller aufgenommen Patienten stirbt auf der Station.
„Wir sehen uns nicht als Endstation“, sagt Chefärztin Dr. Susanne Lindner. „Wir möchten ein Stück Lebensqualität zurückgeben durch ein Sicherheitsgefühl und Hoffnung, die realistisch ist.“
Mit diesem Ziel kümmert sich ein multiprofessionelles Team aus Ärzten, Pflegefachleuten, Sozialarbeitern, Psycho-Onkologen, Musiktherapeuten, Physiotherapeuten, Ehrenamtlichen und Seelsorgern um die Patienten.
„Die meisten glauben, Sterben ist ansteckend“
Peter Baer kam in einer Phase, in der er jeden Mut und verloren hatte. Er konnte nicht mehr essen, hatte starke Schmerzen. „Für die Ärzte und viele andere war er schon abgeschrieben“, sagt Else Cremer. „Er war schon tot, bevor er gestorben ist. Die meisten glauben, Sterben ist ansteckend.“
Chefärztin Susanne Linder habe das Paar am ersten Tag gefragt, was es von der Behandlung erwarte. „Ich habe gesagt, dass ich nicht möchte, dass man ihn einfach sterben lässt“, sagt Else Cremer.
Auf der Palliativstation wurden seine Schmerzen gelindert, irgendwann konnte er wieder Essen und Trinken. Vor allem aber erhielt Peter Baer wieder Sicherheit zurück. „Ich weiß, ich bin nicht alleine und es gibt jemanden, der mir alles erklärt“, sagt er.
Wenn es ihm gut geht, geht er nach Hause. Wenn es wieder schlimmer wird, kommt er auf die Station zurück. Und das ist auch genauso vorgesehen.
Das Gedenken an die Verstorbenen ist immer präsent
Auf dem Flur der Station steht eine kleine, von Steinen, Figürchen und Kerzen umrandete Stele, auf der ein Buch liegt. Die Verstorbenen oder ihre Angehörigen haben hier persönliche Worte hinterlassen.
Der Gedenkort ist eine ständige Erinnerung daran, dass die Hoffnung Grenzen hat. Aber das führt nicht dazu, dass hier eine gedrückte Stimmung herrscht.
Im Gegenteil: Es kann richtig wuselig zugehen. Im Gemeinschaftsraum steht ein Klavier, das Angehörige oder Patienten gerne bespielen. Ein Sohn hat einmal seine ganze Band zusammengetrommelt und ein kleines Konzert gegeben, erzählt die Stationsärztin.
Neben dem Piano steht ein Plattenspieler, auf dem viele Menschen Erinnerungen lebendig werden lassen. Zuletzt gespielt: „Alles wegen Hamburg und St. Pauli“, ein 60er-Jahre-Seemanns-Schlager von Conny Froboess.
Die Palliativstation gibt es seit 20 Jahren
Im Flur wabern in diesen Weihnachtstagen zwei große Helium-Luftballons vor sich hin, die zusammen die Zahl 20 bilden. Die Station mit sieben Betten wurde vor 20 Jahren, am 16. Dezember 1999, eröffnet. Seitdem sind mehr als 4000 Patienten palliativmedizinisch versorgt worden. Die Zahl der Anfragen sei steigend, heißt es aus dem St.-Johannes-Hospital. Ein weiterer Ausbau dieser Versorgungszweige sei geplant.
Gemeinsam mit den Malteser Hospizdiensten St. Christophorus war das katholische Krankenhaus das erste, das in Dortmund eine spezialisierte Palliativversorgung anbot. Seitdem haben sich starke Strukturen im stationären und ambulanten Bereich entwickelt. Seit 2011 gibt es das Palliativ- und Hospiznetz Dortmund, dem zahlreiche Pflegedienste, Hospize und Mediziner angehören.
Ein Teil des Teams der Palliativstation im St.-Johannes-Hospitals. Hier arbeiten 20 Menschen nahezu täglich mit Familien in Ausnahmesituationen. © Felix Guth
Die Ärzte und das Pflegepersonal auf der Palliativstation leisten eine Arbeit, die sich von normalen Abläufen in einem Krankenhaus unterscheidet. „Wir begegnen nur Familien in Ausnahmesituationen“, sagt Susanne Lindner. Es gebe Fälle, die belastender seien als andere. Denn hierher kommen nicht nur Menschen am Ende ihres Lebens, sondern auch junge Erwachsene, Familienväter und -mütter. Menschen mitten im Leben.
Dass die Gespräche mit diesen Menschen deshalb auch erfahrene Ärzte und Ärztinnen oder Krankenschwestern anrühren und manchmal Tränen fließen, sei deshalb nur menschlich. „Und kein bisschen unprofessionell“, wie Susanne Lindner betont. „Man muss dann nur wieder aufhören können zu weinen und darf die Belastung nicht mit nach Hause nehmen.“
Viele wünschen sich Normalität - auch in den letzten Tagen
Peter Baer steht aus seinem Stuhl auf. Das lange Sitzen bereitet ihm Schmerzen, das Sprechen ist anstrengend. Else Cremer hat noch Kraft, es ist ihr wichtig, dass andere von der Arbeit der Palliativstation erfahren. „Wir wissen, dass das Ende jeden Augenblick kommen kann. Aber auf dem Weg dahin sollte man doch weiter als Mensch wahrgenommen werden.“
Else und Peter gehen die letzten Schritte des Lebens gemeinsam. „Man kennt uns nur zusammen“, sagt die Frau mit dem wallenden, graublonden Haar. Seit 15 Jahren sind sie ein Paar. Beide sind 82, Else ist drei Monate älter. „Sie war etwas schneller“, sagt Peter Baer mit einem Lächeln und berührt die Hand seiner Partnerin leicht.
Es wirkt, als wären genau diese Zweisamkeit und das Vertrauen, das, was er braucht. Auf die Frage, ob er noch Wünsche habe, sagt er: „Wenn man so alt ist wie ich, was will man dann denn noch?“ Und Else Cremer antwortet auf die Frage: „Normalität. Mit allem, was dazu gehört. Auch Anmeckern. Wir wollen leben, bis er geht.“
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