Kerstin* (32) glaubte, sie muss perfekt sein, um geliebt zu werden Wie Paartherapeutin Birthe Kottmann ihr half

Von Birthe Kottmann
Kerstin* (32) dachte, sie ist es nicht wert, geliebt zu werden:
Lesezeit

Eine Klientin, nennen wir sie Kerstin, 32 Jahre alt, die ich schon einige Zeit in der Einzeltherapie begleite, mag sich oft selbst nicht so richtig, vor allem hadert sie auch immer wieder mit ihrem Körper. Sie machte schon lange viel davon abhängig, wie zufrieden sie mit ihrer Figur war, zum Beispiel, ob sie sich mit Freundinnen traf, ob sie vor anderen etwas aß, ob sie mit tanzen oder schwimmen gehen sollte, was sie anziehen könnte, und natürlich vor allem, wie andere sie wohl bewerten.

Und so fragt sie sich schon lange, wie das geht mit der Selbstliebe. Sie hat viele Bücher zu dem Thema gelesen, einige Online-Workshops, Yoga und Mediation probiert, sowie ihre Achtsamkeit trainiert und noch so einiges mehr. Wenn sie sich nur oft genug sagt, dass sie sich selbst liebt, ist es bald Wirklichkeit und dann folgt vielleicht auch irgendwann eine feste Beziehung, die sie sich wünscht - das war ihre Vorstellung. Irgendwie half ihr das alles aber bisher nicht nachhaltig.

Wir arbeiteten viel mit ihrer Biografie und wie sie eigentlich zu den Überzeugungen und Gedanken über sich selbst kam, sie sei es nicht wert, so geliebt zu werden wie sie ist, ohne sich selbst erst optimieren zu müssen, bevor sie jemand anderes lieben kann.

Kerstin fühlte sich nicht gut genug

Sie erinnerte sich während einer sogenannten Aufstellungsarbeit daran, dass eine enge Bezugsperson ihr früh in der Jugend wiederholt rückmeldete, dass ihr Körper nicht schlank/schön genug sei.

Das hat sie geprägt und Kerstin hatte dies als „Glaubenssatz“ abgespeichert und fühlte und dachte seither über sich, sie sei „nicht richtig“ oder „nicht gut genug“ so wie sie war - und somit auch nur wenig liebenswert. Das hatte weiterhin zur Folge, dass sie sich im Jugend- und Erwachsenenalter nie in ernsthafte (romantische) Beziehungen begab, aus Angst, diese Entwertung wieder zu erleben.

Wir arbeiteten viel an ihren alten Mustern und über die Zeit gelang es ihr, sich immer mehr von der früheren Überzeugung zu lösen und sich im Hier und Heute meistens schon „ganz gut“ und auch durchaus liebenswert zu sehen.

Seit einigen Wochen trifft sie jemanden und versucht, ganz bei sich zu bleiben, und nicht aus Angst, vielleicht irgendwann mal Ablehnung zu erleben, (so wie früher als junges Mädchen) und aus Selbstschutz, vorschnell wieder zurückzuziehen.

Wie geht Selbstliebe?

Selbstliebe ist ein großes und irgendwie nur schwer greifbares Wort, oder? Was heißt denn das eigentlich? Und sollen wir das immer - an jedem Tag unseres Lebens tun? Wie soll das gehen?

Dieses Wort wird seit einigen Jahren in den sozialen Medien fast inflationär genutzt, um Kurse, Workshops, Coachings und vieles mehr zu verkaufen.

Selbstliebe klingt so groß - dabei muss man sich bestimmt nicht immer und zu jeder Zeit und unbedingt zuerst selbst lieben, um von anderen geliebt zu werden, oder eine Beziehung zu führen.

Allerdings ist es natürlich hilfreich, wenn Sie sich selbst mögen oder zumindest ganz okay finden. Sie Ihren eigenen Wert kennen, und um die eigenen Grenzen wissen. Das ist wichtig! Und trotzdem ist das ist schon für viele Menschen wirklich schwierig - wie für Kerstin.

Birthe Kottmann ist systemische Einzel,- Paar- und Familientherapeutin in freier Praxis in Dortmund. Der Schwerpunkt ihrer therapeutischen Arbeit liegt darin, Menschen dabei zu begleiten, ihre Muster und Prägungen zu verstehen, zu reflektieren und sich dann so entwickeln, dass sie erkennen, was ihre eigenen Bedürfnisse, Wünsche und vor allem ihre eigenen Grenzen sind. Dabei zeigen sich häufig frühe Bindungs- und Entwicklungsthemen, die uns zu dem Menschen machen, der oder die wir heute sind. In ihrer Kolumne gibt sie Alleinstehenden und Singles Tipps, wie man mit Einsamkeit, Stress erzeugenden und übergriffigen Kommentaren und den Erwartungen der Gesellschaft, nun endlich doch den oder die Richtige zu finden, umgeht. Mehr Infos und Kontakt unter www.birthekottmann.de.

Neue Kolumne „Beziehungsweise“: Drei Paartherapeuten erklären uns die Liebe

Warum ich nichts vom Begriff „toxische Männlichkeit“ halte: Paartherapeut Benedikt Bock erklärt

Lydia (36) will niemals heiraten: Obwohl sie an Romantik glaubt