Kinder dürfen ihr Anliegen nicht vortragen Skurrile Situation in Dortmunder Bezirksvertretung

Kein Rederecht für Overberg-Grundschüler in Mengeder Bezirksvertretung
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Elf Grundschüler wollten, unterstützt von zwei Lehrerinnen und einer Mutter, erstmals politisch aktiv werden. Die Spielgeräte auf dem Schulhof sind zwar zum Teil neu, aber kaputt. Und das seit Monaten. Glas liegt auf dem Schulhof, ein Gullideckel steht hoch. Das muss doch jemanden interessieren.

Für derlei Mängel ist die Einwohnerfragestunde in der Bezirksvertretung (BV) die richtige Beschwerdeinstanz. Kinder und Jugendliche sind selten Gäste in den Stadtbezirksparlamenten. Anders am Mittwoch (6.3.): Um kurz vor 16 Uhr nehmen die Sechs- bis Zehnjährigen auf den Besucherstühlen im Sitzungssaal des Amtshauses Platz – ruhig, neugierig und fast schon ein wenig ehrfurchtsvoll.

Ihre Lehrerinnen Lioba Haas und Anja Dobelmann sowie Mutter Ulrike Drucis begleiten sie. Vor der Amtshaustür erklären sie den Kindern, dass man in der Bezirksverwaltungsstelle zum Beispiel auch Ausweise beantragen kann.

Die Sitzung beginnt. Und nach den üblichen Regularien ruft Bezirksbürgermeister Axel Kunstmann den Tagesordnungspunkt 2 auf: die Einwohnerfragestunde. Er begrüßt die Gäste aus der nahegelegenen Overberg-Grundschule. Von Lioba Haas, der kommissarischen Schulleiterin, weiß er von der Situation auf dem Schulhof. Der Besuch der Delegation in der BV indes überrascht auch ihn.

Einverständnis reicht nicht aus

Lehrerin Anja Dobelmann stellt die Delegation vor: Die Kinder seien die Mitglieder des Schülerparlaments. Insgesamt 16 gehören dem Gremium an, erklärt Lioba Haas später auf Nachfrage unserer Redaktion – je zwei Klassensprecher der acht Klassen.

Anja Dobelmann leitet das Schülerparlament. Das Gremium ist quasi ein freiwilliger Vorläufer der Schülervertretung (SV). Das nordrhein-westfälische Schulgesetz sieht Schülervertretungen erst ab der 5. Klasse in den weiterführenden Schulen vor. Was nicht heißt, dass nicht auch Grundschülerinnen und -schüler schon Formen der Demokratie und Mitwirkung lernen können. Das zeigt dieser Nachmittag.

Sie habe Einverständniserklärungen der Eltern mitgebracht, erklärt Anja Dobelmann. Dass das nicht reicht, zeigt sich schnell, als BV-Geschäftsführerin Antje Klein zu den Besuchern nach hinten in den Saal geht. Für jedes Kind müsse zunächst einmal das Formular mit der Datenschutzerklärung ausgefüllt werden, erklärt sie. Diese Voraussetzung muss auch jeder erwachsene Bürger in der Mengeder Einwohnerfragestunde erfüllen.

Das Problem: Nicht alle Kinder kennen ihre Anschrift und die Begleiterinnen haben die Adressen auch nicht im Kopf. „Von Erstklässlern kann man das auch noch nicht erwarten“, betont Lioba Haas. Hinzu kommt: Von zwei Geschwister fehlen die Einverständniserklärungen. „Ich habe sie in meiner Schultasche und leider vergessen“, erklärt Anja Dobelmann. „Die reiche ich natürlich nach.“

Eingezäuntes Klettergerüst auf dem Schulhof der Overberg-Grundschule in Dortmund-Mengede.
Die Kinder der Overberg-Grundschule sind traurig über die Spielsituation auf ihrem Schulhof. © Uwe von Schirp (Archiv)

Antje Klein zeigt sich konsequent und ungnädig: ohne komplett ausgefüllte Formulare und Einverständniserklärungen der Eltern gibt es kein Rederecht. Im Ton der BV-Geschäftsführerin mangelt es nicht an Schärfe. Murmeln macht sich im Saal breit. Lioba Haas bittet Axel Kunstmann um Unterstützung. Der Bezirksbürgermeister kann nur darauf verweisen, dass für die Formalitäten die Geschäftsführerin verantwortlich sei.

Der sorgsam vorbereitete Besuch und das Lehrstück für Demokratie drohen zu platzen. Die Lehrerinnen überlegen, vor der nächsten Sitzung alle formalen Anforderungen zu erfüllen und dann mit den Kindern wiederzukommen. Bezirksvertreter vermitteln letztlich einen Kompromiss: Lehrerin Anja Dobelmann trägt das Anliegen der Kinder vor.

Dabei dürfen die Schüler allerdings nicht ausgedruckte Fotos und ihre gemalten Bilder vom Schulhof hochhalten. Lioba Haas hat zudem kein Rederecht. Die kommissarische Schulleiterin wohnt außerhalb von Dortmund. Axel Kunstmann und den Bezirksvertretern bleibt am Ende nur, den Kindern für den Besuch und ihr Interesse an der Bezirksvertretung zu danken. „Ziemlich daneben gegangen“, grummelt eine Stimme im Saal.

Stadt Dortmund nimmt Stellung

In einer Stellungnahme verweist die städtische Pressestelle am Donnerstagabend (7.3.) auf die Geschäftsordnung für Rat und Bezirksvertretungen sowie die nordrhein-westfälische Gemeindeordnung. Darin sind auch Einwohnerfragestunden geregelt. Frageberechtigt sind nur diejenigen, die in einer Gemeinde wohnen.

„Grundsätzlich ist es möglich, dass auch Minderjährige in der Einwohnerfragestunde ihre Anliegen vortragen“, schreibt Stadtsprecher Christian Stein. Voraussetzung sei die Einverständniserklärung der Erziehungsberechtigten.

„Insbesondere enthielten die Einverständniserklärungen nicht die Anschriften der Kinder“, erklärt Stein. Und nach Auskunft der Aufsichtspersonen hätten nicht alle Kinder ihre Anschrift gekannt. „Es konnte somit formal nicht geklärt werden, ob alle Kinder auch im Stadtbezirk wohnen.“