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Notfallseelsorge an Weihnachten: Als der Vater neben den Geschenken starb
Schicksalsschläge
Als Notfallseelsorger ist Hendrik Münz im Einsatz, wenn Menschen plötzlich sterben und Angehörige Beistand brauchen, auch an Weihnachten. Was daran so schwer ist - und welcher Gedanke ihm hilft.
„Eigentlich jedes Jahr“, antwortet Hendrik Münz auf die Frage, wie oft er und die anderen Notfallseelsorger in Dortmund ausgerechnet an Weihnachten zu Einsätzen gerufen werden. „Jedes Jahr an Weihnachten gibt es mindestens einen Suizid, zu dem wir gerufen werden. Und auch alles andere, was sonst passiert, kann an Weihnachten passieren.“
Beistand bei tragischen Todesfällen
Alles andere - damit meint er all die tragischen Todesfälle, nach denen Menschen in Ausnahmesituationen Beistand brauchen: Notfallseelsorger sind für Betroffene da, wenn sie ganz plötzlich einen Angehörigen verloren haben, zum Beispiel durch einen schweren Unfall, ein Verbrechen, einen Suizid.
Aber auch bei natürlichen Todesursachen: Wenn jemand miterlebt, wie ein Angehöriger in der eigenen Wohnung zusammenbricht, die Reanimation erfolglos bleibt. Oder Eltern ihr Kleinkind morgens tot im Bett finden.
Krasse Kontraste an den Weihnachtstagen
Entsprechend ausgebildete Fachkräfte der Dortmunder Feuerwehr informieren in solchen Extremsituationen das Team der Notfallseelsorge Dortmund, dessen Koordinator Hendrik Münz ist. Neben 80 Pfarrern engagieren sich noch etwa 40 Ehrenamtliche dabei - gemeinsam decken sie die Bereitschaftsdienste 365 Tage im Jahr ab.
Wenn das Einsatztelefon ausgerechnet an Weihnachten klingelt, kann der Kontrast besonders krass sein, weiß Münz aus eigener Erfahrung. Wenn man eben selbst noch mit der eigenen Familie gefeiert hat - und dann erlebt, wie schnell diese Idylle zerbrechen kann.
Vater bracht neben den Geschenken tot zusammen
Der zweifache Familienvater erinnert sich zum Beispiel an einen bewegenden Einsatz, als ein Vater von kleinen Kindern am Ende der gemeinsamen Weihnachtsfeierlichkeiten zusammengebrochen und vor Ort gestorben ist - „neben den Geschenken, die ausgepackt neben dem Baum standen. Und die Familie hat es live miterleben müssen.“
Oder die junge Mutter, die mit ihrer Familie vom Verwandtenbesuch an den Feiertagen wieder nach Hause kam: „Da bricht die Mutter zusammen, muss reanimiert werden, verstirbt aber.“
Bewegt hat in auch ein schwerer Wohnhausbrand vor einigen Jahren. „Da war die ganze Familie obdachlos.“
Mordfall an Weihnachten brachte ins Grübeln
An den Festtagen „sind wir alle mehr in den Emotionen drin“, sagt Münz. Der Kontrast zwischen familiärer Idylle und der manchmal grausamen Realität kann da extrem fordernd sein.
„Es gab mal einen Mordfall an Weihnachten – der hat mich persönlich ins Nachdenken gebracht. Ich bin da ins Grübeln gekommen, dass es passiert sein muss, als ich am Vorabend schön mit meiner Familie gefeiert und gegessen habe – und gleichzeitig ist da jemand gar nicht weit weg gequält und umgebracht worden.“
Weihnachtsgeschichte hat Bedeutung für eigene Arbeit
„Auf der anderen Seite hat man die eigene Arbeit gerade an Weihnachten noch mehr vor Augen: Es zeigt auf, was damals in Betlehem passiert ist – das war auch eine echte Notsituation.“ Die hochschwangere Maria und Josef, die einfach keine Unterkunft fanden - und in ihrer großen Not in einem Stall unterkamen.
Münz zieht daraus für seine Arbeit Kraft - insbesondere an Weihnachten: „Gerade jetzt ist es wichtig, was man tut, weil keine andere Stelle sonst Zeit hat, sich zu kümmern.“
Weihnachts-Rituale können helfen
In einigen Fällen können die speziellen Rituale der Weihnachtszeit den Hinterbliebenen in ihrer Trauer auch helfen: Vor einigen Jahren erreicht die Nachricht vom Tod des Familienvaters eine Mutter und ihre Kinder, als sie gerade bei der Oma zu Besuch waren. Zum traditionellen Plätzchen backen.
„Nach einiger Zeit sagte das Kind im Grundschulalter dann: Aber Oma, wir sind doch hier, weil wir immer im Advent mit dir Plätzchen backen. dann sollten wir die jetzt auch machen. Und dann hat die Oma auch gebacken“, schildert Münz.
Rückkehr in die eigene Familien-Idylle
Ein Ritual, das nicht nur dem Kind geholfen habe, auf andere Gedanken zu kommen. Manchmal kann eine solche Ablenkung helfen. Oft ist es einfach nur das da Sein, das Zuhören. Wie genau die Notfallseelsorger im Einzelfall helfen, sei ganz individuell, es gebe kein Arbeiten nach einem gewissen Schema, sagt Münz. Da unterscheiden sich Weihnachts-Einsätze nicht vom Rest des Jahres.
Nur die Rückkehr in die eigenen Familie, in die weihnachtliche Idylle zu Hause, die könne schon ein sehr harter Schnitt sein. „Das kann aber auch helfen: Ein Ausgleich ist wichtig: Zu sehen, das Leben geht weiter. Wenn man von einem Einsatz mit einem Toten kommt, kann es sehr helfen, wenn die Kinder zu Hause total lebendig um den Baum herum toben.“
Ausbildung zum ehrenamtlichen Notfallseelsorger
Am Wochenende 29./30.1.2022 startet ein neuer Ausbildungskurs für ehrenamtliche Notfallseelsorger. Wer Interesse daran hat, kann sich bei Hendrik Münz melden: 02 31/ 22 96 24 97 oder hendrik.muenz@ekkdo.de. Sehr freuen würde sich der Notfallseelsorger, wenn sich auch interessierte Muslime melden, die das Team gerne unterstützen möchten.1983 im Münsterland geboren, seit 2010 im Ruhrpott zuhause und für die Ruhr Nachrichten unterwegs. Ich liebe es, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, Fragen zu stellen und vor allem: zuzuhören.
