Neuer Vorwurf nach Taser-Einsatz vor Todesschüssen auf Mouhamed D. Innenministerium reagiert

Haben Polizisten im Fall Mouhamed D. gegen Dienstvorschriften verstoßen?
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Recherchen des WDR-Magazins Westpol legen nahe, dass sich Polizisten beim Einsatz am 8. August, bei dem der 16-jährige Mouhamed D. erschossen wurde, falsch verhalten haben könnten. Zwei Beamte sollen damals mit dem Einsatz des Tasers gegen Mouhamed D., der ein Messer in der Hand hielt, auch gegen eine Dienstvorschrift verstoßen haben. Das NRW-Innenministerium relativiert den Vorwurf nun.

Das WDR-Magazin Westpol hatte am Sonntag aus der Dienstanweisung der NRW-Polizei zum Einsatz der Taser zitiert: „Grundsätzlich nicht geeignet sind DEIG zur Bewältigung von dynamischen Lagen im Kontext von Bedrohungen oder Angriffen mit Hieb-, Stich, Schnitt- oder Schusswaffen.“ DEIG ist die Abkürzung für „Distanzelektroimpulsgerät“, wie der Taser offiziell bezeichnet wird.

Das NRW-Innenministerium möchte diese Formulierung aus der Dienstanweisung auf Anfrage dieser Redaktion nicht bestätigen und verweist darauf, dass die angesprochene Dienstanweisung „als Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft sei. Deshalb könne man zu deren Inhalten im Detail keine Stellung nehmen.

Formulierung sei kein Verbot

Es könne aber gesagt werden, dass „die Formulierung ,nicht geeignet‘ gerade nicht ein Verbot des Einsatzes des DEIGs bedeutet“, teilt das Ministerium schriftlich mit.

Die Formulierung bringe vielmehr zum Ausdruck, „dass mit diesem Mittel der zu erreichende Zweck in einer dynamischen Situation höchstwahrscheinlich nicht erzielt werden kann und gegebenenfalls sogar das schärfere Mittel (also als Ultima Ratio der Einsatz der Schusswaffe) erfolgversprechender wäre.“

Weiter heißt es: „Im Übrigen wird auch die Verhältnismäßigkeit (Erforderlichkeit und Geeignetheit) der Auswahl des Einsatzmittels durch die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren untersucht und bewertet werden.“ Der ermittelnde Oberstaatsanwalt Carsten Dombert und NRW-Innenminister hatten im Laufe der Ermittlungen bereits Zweifel an der Verhältnismäßigkeit des Einsatzes geäußert.

Das Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD), das für die Ausrüstung der Polizei zuständig ist, verweist ebenfalls auf die Einstufung der Dienstvorschrift als Verschlusssache.

Zu weiteren Vorgaben in der Dienstanweisung der Polizei NRW bezüglich des DEIG wollte man deshalb ebenso keine Auskunft erteilen, wie zu der Frage, ob sich die Anweisung bezüglich des DEIG seit dem Start des Pilotprojekts verändert habe. Nur so viel: „Die Dienstanweisung wurde seit Beginn des Pilotprojektes bereits evaluiert und fortgeschrieben.“

Ein Zuwiderhandeln gegen Inhalte von Dienstanweisungen könne im Einzelfall disziplinar- oder strafrechtliche Überprüfungen nach sich ziehen, teilt das LZPD mit. „Es bedarf jedoch immer der individuellen Prüfung des jeweiligen Einzelfalls.“

Rund 700-Tasereinsätze in NRW

Laut Innenministerium hat es 136 Einsätzen im Zusammenhang mit dem Taser im Bereich der Kreispolizei-Behörde Dortmund im Zeitraum von Anfang 2021 bis zum 30. Juni 2022 gegeben. In NRW ist der Taser bis Ende September in rund 700 Einsätze von Polizeibeamten genutzt worden. In rund 75 Prozent der Einsätze sei es bei der Androhung des Einsatzes des Elektroschockgeräts geblieben, hatte Innenminister Reul am 27. Oktober im Innenausschuss mitgeteilt.

Innenminister Herbert Reul, kündigte am 27. Oktober im NRW-Innenausschuss an, dass man den Nutzen des Tasers intensiv prüfen werde.
Innenminister Herbert Reul, kündigte am 27. Oktober im NRW-Innenausschuss an, dass man den Nutzen des Tasers intensiv prüfen werde. © picture alliance/dpa

In dieser Sitzung sagte Reul auch, dass man vorurteilsfrei prüfen werde, ob mit dem Taser möglich sei, was man mit ihm erreichen wolle. Der Taser soll die Lücke zwischen Schlagstock und Pistole schließen. Befürworter führen immer wieder die abschreckende Wirkung des Tasers ins Feld. Kritiker heben die Risiken in den Vordergrund.

Polizeiforscher Rafael Behr, Professor an der Akademie der Polizei Hamburg, etwa kritisiert den Taser als „potenziell tödliches Einsatzmittel“ und fordert, intensiver über Alternativen nachzudenken, die deeskalierend wirken.

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