Hilfe für Krebs-Überlebende Ida (6) aus Dortmund Da hat ihre Mutter „vor Freude geweint“

Nach Spendenaufruf für Krebs-Überlebende Ida: „Vor lauter Freude geweint“
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An diesem Tag klingelt Sonjas (48) Handy permanent. Im Minutentakt bekommt sie Nachrichten und E-Mails zu der Online-Spendenkampagne, die sie aufgesetzt hat, damit sie ihren Kindern die Hilfe bieten kann, die sie brauchen. Die kleine Familie aus Dortmund hat nämlich ein paar schwierige Jahre hinter sich.

Jetzt brechen bessere Zeiten für die alleinerziehende Mutter und ihre Zwillinge an. Und das auch dank der Großzügigkeit einiger Dortmunder, mit der die Familie nicht gerechnet hat.

Rückblick: Tumor-OP und Krebs

Die kleine Ida kam mit einem Tumor zur Welt, der ihr aus dem Gesäß wuchs und fast so groß war, wie der Säugling selbst. Der konnte nach der Geburt zwar entfernt werden, doch schon kurz danach musste die Familie mit einem erneuten Schicksalsschlag fertigwerden. Etwa zweieinhalb Jahre später wurde bei Ida Krebs diagnostiziert.

Die Chemo-Therapie überstand Ida, sie besiegte den Krebs. Das ist schon drei Jahre her; Ida und ihr Zwillingsbruder Julius sind inzwischen sechs Jahre alt und kommen demnächst in die Schule. Unbeschwert kann die Familie trotzdem nicht leben. Ida hat immer noch fast jede Nacht Alpträume und Panikattacken von all den Krankenhaus-Aufenthalten. Julius kam während Idas Krankenhaus-Zeit bei der Großmutter unter, musste sich immer wieder von Schwester und Mutter trennen. Seitdem hat er schlimme Verlustängste, gerät schnell in Panik, wenn seine Mutter nicht in der Nähe ist.

Kinder brauchen spezielle Therapie

Zum Glück hat die Familie ein Mittel gefunden, dass allen bei der Trauma-Bewältigung hilft: tiergestützte Therapie. Dabei lernen die Kinder, über Ängste zu sprechen und das Trauma zu verarbeiten, während die Tiere um sie herum ihnen Sicherheit und Geborgenheit geben.

Der Haken an der Sache: diese Art der Therapie ist sehr teuer. Eine Therapieeinheit à 45 Minuten kostet 70 Euro, plus 19 Prozent Mehrwertsteuer. Für beide Kinder zahlt Mutter Sonja 166 Euro. Ein Krebsförderverein konnte die Kosten eine Weile übernehmen, die Förderung ist aber ausgelaufen und die Krankenkasse zahlt nicht.

Ihr Klinik-Buch hilft Ida dabei, die Erlebnisse im Krankenhaus aufzuarbeiten.
Ihr Klinik-Buch hilft Ida dabei, die Erlebnisse im Krankenhaus aufzuarbeiten. © Julia Segantini

Die Dortmunderin musste an jeder Ecke sparen, damit sie den Kindern die Therapie wenigstens einmal im Monat ermöglichen konnte, obwohl Therapeuten eigentlich mehr Stunden empfahlen. Sonja war klar: Das schaffe ich nicht allein. Also versuchte sie es über das Spendenportal GoFundMe.

Doch das lief nur schleppend. Es kam nicht genug Geld zusammen, um den Kindern die Therapie langfristig zu ermöglichen. Deshalb wandte sich die alleinerziehende Mutter im Juli mit der Spendenkampagne an die Redaktion. „Das war ganz schwer für mich, andere um Geld zu bitten“, sagt die Dortmunderin, „aber es ging nicht anders. Sonst hätte ich mir die Therapie nicht weiter leisten können.“

Zu diesem Zeitpunkt stagnierte das Spendenkonto bei etwa 1400 Euro - als Ziel hatte Sonja 4000 Euro festgesteckt. Ihre Hoffnung: „Vielleicht kommen nach dem Zeitungsartikel nochmal ein paar Hundert Euro rein.“ Dass sie damit weit daneben lag, ahnte sie damals nicht.

Ziel weit übertroffen

Schon wenige Tage nach Erscheinen des Artikels war mehr als das doppelte vom Zielbetrag zusammengekommen. Sie sei vollkommen sprachlos und überwältigt gewesen, sagt Sonja. „Am Abend davor hat meine Mutter noch gesagt, ich soll nicht zu enttäuscht sein, wenn nicht so viel dabei herauskommt. Am nächsten Morgen gucke ich auf mein Handy und lese diese Mail: Da hat jemand 4000 Euro auf einen Schlag gespendet“, erzählt Sonja, immer noch ungläubig.

„Ich dachte, ich habe mich verguckt. Oder dass die Person eine Null zu viel angehängt hat.“ Deshalb habe sie sich zunächst nicht darüber freuen können. Erst als das Geld tatsächlich auf das Konto eingegangen war, konnte sie daran glauben. Sie sei noch immer verwundert darüber, was jemanden zu bewogen hatte, so viel Geld zu spenden. Sie vermutet, dass der Spender etwas Ähnliches durchgemacht haben muss, wie Sonja, Julius und Ida.

Therapie ist gesichert

Wie die Kinder reagiert haben, als sie erfahren haben, dass sie doch weiter zu Tier-Therapie gehen können? „Julius hat vor lauter Glück geweint“, sagt die Mutter gerührt, „und am Ende haben wir alle zusammen vor Freude geweint.“

Mit den ersten 4000 Euro hat Sonja nun schon Therapiestunden für das ganze restliche und das folgende Jahr gebucht. Sogar zweimal im Monat statt wie vorher nur einmal. „Das ist super, denn das war auch die Empfehlung der Klinik in Bonn, wo Ida behandelt wurde.“

Ob die Kinder auch 2026 noch Therapie brauchen, wird im weiteren Verlauf von der Therapeutin und in Rücksprache mit der Mutter und der Klinik geprüft. Bisher ist die Vermutung, dass die Kinder erstmal noch darauf angewiesen sind. Im März stand kurzzeitig im Raum, dass Idas Krebs zurück sein könnte. Das hat sich zwar nicht bewahrheitet, aber seitdem sind Idas Panikattacken wieder schlimmer.

Genau wie seine Zwillingsschwester liebt Julius Tiere. Mit ihrer Hilfe kann er nach und nach das Trauma überwinden.
Genau wie seine Zwillingsschwester liebt Julius Tiere. Mit ihrer Hilfe kann er nach und nach das Trauma überwinden. © Julia Segantini

Dass jetzt die Schule losgeht, ist eine zusätzliche Belastung. Sonja ist unsicher, ob Idas Kraft ausreicht. Aktuell macht sie sich aber fast mehr Sorgen im Julius. Der freut sich überhaupt nicht auf die Schule. „Wenn er in der Schule ist, weiß er nicht, was ich gerade mache. Das triggert seine starken Verlustängste. Er denkt ständig, dass ich ihn vielleicht nicht abhole oder ganz weggehe.“

Er werde viel Zeit brauchen, um sich an die neue Umgebung, die neuen Menschen und daran, dass er seine Mutter weniger sieht, gewöhnen zu können. „Mit der Therapie kann er besser loslassen.“ Allein deshalb ist Sonja froh, dass die Therapie gesichert ist.

Das passiert mit dem Spendengeld

Dass selbst, nachdem sie die Therapie so weit im Voraus gebucht hat, noch mehrere Tausend Euro übrig sind, ist für die zweifache Mutter mit 75-Prozent-Stelle als Sozialpädagogin ein ungewohntes Gefühl. Es kommt bei der Familie in der Dortmunder 2-Zimmer-Wohnung nicht häufig vor, dass Geld auf der hohen Kante liegt.

Weil Sonja sich durch die Spenden die Tier-Therapie leisten kann, ist jetzt mehr Geld für andere Dinge da. Sie möchte Julius für Programme anmelden, die speziell auf Geschwister von chronisch kranken Kindern ausgerichtet sind. „Da gibt es gute und wichtige Maßnahmen, denn diese Kinder werden leider oft übersehen.“ Ida würde außerdem gern therapeutische Reitferien machen.

Für Ida will die Mutter vielleicht einen höhenverstellbaren Schreibtisch kaufen. Weil Ida seit der Tumorentfernung eine Gesäßhälfte fehlt, kann sie nicht lange sitzen. Ein Spezialmodell müsste her - und das kostet. Schule und Mutter wollen nun erstmal schauen, ob und wie Ida vielleicht doch ohne zurechtkommt und das Geld erstmal in weitere Therapien investieren.

Überwältigende Freude

Dass sie diese Sicherheit nun zum ersten Mal hat, sei eine große Entlastung.

Auch Wochen nach dem Zeitungsartikel und der Spendenwelle zehrt die Familie von der überwältigenden Freunde über so viel Hilfsbereitschaft unter den Dortmundern.

Die weiteren Pläne sind bescheiden: „Vielleicht können wir jetzt sogar mal Geld für einen Urlaub sparen. Julius träumt außerdem davon, voltigieren gehen zu können und Ida würde gerne bouldern gehen, das können wir uns jetzt alles leisten“, freut sich die Zweifachmama. Was am Ende übrig bleibt, will Sonja an tiergestützte Programme oder an die Krebsforschung spenden.

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