Jeans, blaues T-Shirt, das brünette Haar locker hochgesteckt: Wer Sybille Morch im Café sitzen sieht und sie dabei beobachtet, wie sie ein Stück Erdbeertorte und eine Tasse Kaffee genießt, der ahnt nicht, welche außergewöhnliche Lebensgeschichte diese zarte Frau zu erzählen hat.
Es ist eine Auswanderer-Geschichte, die einmalig sein dürfte, die so besonders ist, dass sie viele Menschen in der ganzen Welt begeistert. Knapp 160.000 Follower verfolgen auf Instagram das Leben der Ärztin aus Dortmund, die ihr Lebensglück in Thailand gefunden hat. Hier kümmert sie sich aufopferungsvoll um Hunde mit besonderen Bedürfnissen, sie gibt ihnen auf der Urlaubsinsel Koh Samui einen sicheren Ort und bewahrt sie so davor, eingeschläfert zu werden.
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Vier Jahre liegt die Entscheidung der Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe zurück, Deutschland mit allen Konsequenzen zu verlassen. Die heute 51-Jährige aus Bodelschwingh kündigt 2020 ihre Stelle als Oberärztin und lässt Freunde, Ex-Ehemann und Eltern in Dortmund zurück. „Ich bin angekommen, es ist alles richtig“, sagt sie, als wir sie Ende Juni 2024 während eines Heimaturlaubs in einem Café in Dortmund-Mengede treffen.
Es mag pathetisch klingen, ist es aber nicht: Sybille Morch strahlt während unseres Gesprächs pausenlos so viel Glück aus, dass man sich problemlos eine Portion abschneiden könnte, ohne dass es wesentliche Konsequenzen für sie hätte. Man glaubt es ihr nicht nur, man spürt und sieht es auch, wenn sie sagt: „Ich fühle mich durch und durch wohl“ oder „Ich fühle mich heute fitter und gesünder als mit Anfang 30.“

Es ist tatsächlich das Leben mit aktuell 23 gelähmten, blinden, dreibeinigen sowie neurologisch erkrankten Hunden, von denen der größte Teil inkontinent ist, das wie ein Jungbrunnen mit Seelenbalsam auf Sybille Morch wirkt, sodass sie es nicht mehr missen möchte: „Hier fühle ich mich gebraucht, hier fühle ich mich ganz.“
Doch die 51-Jährige sagt auch: Der Weg dorthin sei alles andere als einfach gewesen. Es sei vielmehr ein langer, über viele Jahre dauernder Prozess gegen viele Widerstände gewesen, vor allem gegen die eigenen. Es sei ein Abschied in Raten von Glaubenssätzen gewesen, die sie seit der frühstens Kindheit begleitet hätten. „Natürlich waren meine Eltern anfangs nicht begeistert, dass die einzige Ärztin in der Familie ihren Beruf aufgibt.“
Oberärztin im EvK Castrop
Es war ein Wagnis und nicht absehbar, ob sie den richtigen Weg einschlagen würde, auch wenn der Drang immer größer geworden sei, „mehr und was Anderes zu machen.“ Heute wisse sie zu 1000 Prozent: Es war die einzig richtige Entscheidung, sie habe mit ihrem privaten, gemeinnützigen Projekt „My disabled hairy friends“ (Meine behinderten haarigen Freunde) ihre absolute Erfüllung gefunden.
Was die ehemalige Oberärztin, die unter anderem auch am Evangelischen Krankenhaus Castrop-Rauxel gearbeitet hat, zusätzlich glücklich macht: „Dass ich mit meiner Geschichte andere Menschen bewege und sie inspirieren kann, ihren Weg zu finden, wenn sie meinen, dass da noch mehr ist.“

„Unglaublich groß“ sei es für sie zudem, dass sie den Blick von Menschen auf Hunde und auf Behinderung allgemein verändern könne. „Es geht um Hoffnung, Liebe und niemals aufgeben“, schreibt Sybille Morch auf Instagram.
Es sei früh absehbar gewesen, sagt sie, dass sie irgendwann aus ihrem „normalen Leben“ in Deutschland ausbrechen würde. Sie sei schon immer gerne gereist, auch während des Studiums, besonders fasziniert sei sie von an Anfang an von Thailand, China und Nepal gewesen. 1993 war sie das erste Mal in Indien.
„Es war Schicksal“ oder „das Universum hat es so gewollt“: Sätze wie diese will Sybille Morch lieber vermeiden. Aus welchen Gründen auch immer, sei sie während einer Fernreise 2011 ins Tierheim auf Koh Samui „gestolpert“. Wie sich später herausstellen sollte, war es ein Schlüsselmoment im Leben der gebürtigen Dortmunderin.
Spontan habe sie in der Einrichtung auf freiwilliger Basis für drei Wochen mitgearbeitet und vor allem Hunde mit schweren Wunden versorgt. „Ich habe als Ärztin viel operiert, für einen Chirurgen ist es wurscht, wer unter dem Messer liegt.“

Fortan nutzte Sybille Morch ihre Jahresurlaube für ihre Einsätze in dem thailändischen Tierheim. Als Arbeit habe sie sie nie empfunden: „Das war Urlaub pur für mich.“ Der Ruf sei immer stärker und lauter geworden, mehr Zeit für die verletzten, hilflosen Tiere zu haben. Schließlich habe sie sich dazu entschieden, ihr Leben aufzuteilen.
„Ich war abwechselnd ein halbes Jahr in Thailand und ein halbes Jahr in Deutschland, um an diversen Krankenhäusern Geld zu verdienen.“ Rund zwei Jahre ging das so. Sie habe auch gerne als Ärztin gearbeitet, betont sie. Aber: „Der Zeitdruck hat mich immer gestört. Ich musste einer Frau eine Brustkrebs-Diagnose überbringen und hatte zehn Minuten Zeit dafür. Das gefiel mir nicht.“
Am Ende sei ihr die Corona-Pandemie zur Hilfe gekommen. „Denn ich musste mich entscheiden: entweder ich bleibe in Deutschland oder in Thailand.“ Sie musste nicht lange überlegen, wohl wissend, dass sie geliebten Menschen mit ihrer Entscheidung vor den Kopf stoßen könnte. Viele hätten mit großem Verständnis reagiert und gesagt: „Na, endlich machst du es.“ Andere hingegen würden noch heute fragen. „Wann wirst du endlich wieder normal?“
2020 lässt Sybille Morch also die Reste ihres alten Lebens in Deutschland endgültig hinter sich. Bereits 2021 wird ihre Vision von einem eigenen Heim für behinderte Hunde Wirklichkeit. Seitdem betreut die Dortmunder Ärztin Vierbeiner, die spezielle medizinische Betreuung nach Unfällen oder schweren Infektionen benötigen. Durch Physiotherapie, Akupunktur, Wassergymnastik, viel Pflege und viele Liebe schafft sie es immer wieder, Tiere, die andere schon aufgegeben haben, zurück ins Leben zu holen. Einige haben bei ihr auch das Laufen wieder gelernt.

Beraterin in einer Klinik
Gleich mehrere Türen hätten sich für sie 2021 geöffnet, erzählt die Dortmunderin: Zweimal pro Woche kann sie seitdem als medizinische Beraterin in einer Klinik für integrative Medizin auf Koh Samui arbeiten, zudem schreibt sie dank eines früheren Studienkollegen medizinische Artikel für eine Fachzeitschrift. Mit beidem kann sie das nötige Geld für sich und ihre Vierbeiner verdienen. „Ich brauche nicht viel. Nur mein Auto und meinen Kaffee.“
Zudem hatte sie 2021 die Möglichkeit, gleich zwei Häuser direkt am Strand zu mieten, für sich und ihre Hunde. Der Alltag mit den Tieren sei durchaus anstrengend: Alle Hunde müssten täglich gebadet, behandelt und therapiert werden. Jeden Tag geht es zum Toben und Spielen zum Strand und ins Meer. Einem Großteil müsse sie dafür die Rollstühle anlegen.

Es ist ein Fulltime-Job, der morgens um 6 Uhr beginnt und abends um 19 Uhr, wenn ihre „Ich-Zeit“ beginnt, endet. Am Abend trifft sich Sybille Morch mal mit Freunden zum Essen, mal liest sie ein Buch oder guckt einen Film auf Netflix und gönnt sich dazu ein Glas Weißwein. Einen Partner habe sie nicht: „Eine Schulter zum Anlehnen fehlt schon manchmal.“ Doch wunderbare Momente wie das Rudelkuscheln mit Bobbles, Neo, Nala, Sophia und Co. würden solche Gedanken nur selten zulassen.
Täglich stellt die 51-Jährige auf ihrem Instagram Account „My.disabled.hairy.friends“ Videos, Fotos und Reels ein, die ihr Leben am Strand, in ihrem Garten und im Haus mit ihren lebenslustigen „haarigen Wesen“ zeigt. Ein Video mit ihren „Beach-Boys“, ihrer unzertrennlich Rolli-Gang, ist fast 1 Million mal geklickt worden. Mehrere Zehntausend Aufrufe und unzählige Kommentare hat jeder Beitrag von Sybille Morch. Auch traurige Nachrichten teilt sie mit ihren Followern, wenn etwa ein Hund gestorben ist oder eingeschläfert werden musste.
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Zehn Tage dauerte Sybille Morchs Heimaturlaub in Dortmund. „Ich genieße natürlich die Zeit mit meiner Familie und auch die EM. Aber meine Hunde vermisse ich schrecklich, sie sind mein Zuhause.“ In ihrer Abwesenheit und auch an ihren beiden Arbeitstagen kümmern sich gute Freunde um die Tiere.
Gibt es also gar nichts, was sie, abgesehen von Familie und Freunden, in Thailand vermisst? Sybille Morch muss nicht lange überlegen: „Doch: deutsches Brot, Currywurst und die Linsensuppe meiner Mutter.“
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 7. Juli 2024.