Eine Frau trällert fröhlich von der großen, gelben Sonne. Ihre Stimme kommt aus einem Lautsprecher, der zu einem Baumarkt auf Höhe der Ecke Bornstraße/Bergmannstraße gehört. Die Melodie klingt nach Urlaub.
An der Treppe, die hoch in Richtung Eingang des Baumarkts führt, stinkt es bestialisch nach Urin. Eine scheppernde Durchsage aus dem Geschäft unterbricht das Sommerlied der Band „Chasing Madison“. Man versteht sie kaum.
Irgendwo in der Nähe muss es eine Videokamera geben. Deren Aufnahmen könnten Aufschluss darüber geben, was sich am Dienstagvormittag (15.8.) im Bereich der Treppe abgespielt hat. Polizei und Staatsanwaltschaft gehen von einem versuchten Tötungsdelikt aus.
Klar ist: Ein 28-Jähriger, der aus Dortmund kommt, wurde bei einem Messerangriff lebensgefährlich verletzt. Der Tat soll ein Streit vorausgegangen sein. Zwei Tatverdächtige sollen geflüchtet sein. Das Opfer erlitt eine lebensgefährliche Stichwunde im linken Brustbereich und kam ins Krankenhaus.
Von der Schwere der Verletzung zeugen auch am Mittwochvormittag (16.8.) noch massive Rückstände von Blut auf und an der Treppe. Im Minutentakt nutzen Passanten die Stufen. Fast allen fallen die Flecken auf. Manche schauen nur kurz auf den Boden, andere bleiben einen Moment lang stehen.
Tatwaffe verschwunden
Ein Mann, der in der Nähe arbeitet und den Weg häufig nimmt, sagt, er habe von der Tat erst mitbekommen, als die Polizei schon dort war. „Der Bereich der Treppen war komplett abgesperrt.“ Er habe beobachtet, wie eine Frau aufgeregt mit Polizisten gesprochen habe. Daraufhin seien vier Beamte in Richtung Nordmarkt gelaufen.
Die Kripo war am Dienstag stundenlang vor Ort, um Spuren zu sichern und nach möglichen Zeugen suchen. Polizisten erkundigten sich etwa im Jugendzentrum Treffpunkt Stollenpark, das sich auf der gegenüberliegenden Seite der Bornstraße befindet.
Doch die Bürokräfte konnten nicht helfen. Sie blicken aus dem Fenster in den Park – nicht auf die Straße. Sie sollten später am Tag Ausschau halten nach „verdächtigen Typen“, die sich vielleicht im Bereich des Tatorts aufhalten. Aber: Fehlanzeige.
Die Tatwaffe wurde laut Staatsanwaltschaft bisher nicht gefunden. Man geht davon aus, dass der Täter diese mitgenommen hat. Staatsanwalt Jörg Schulte-Göbel sagt am Mittwoch auf Nachfrage dieser Redaktion, dass den Ermittlern Videoaufnahmen zur Verfügung stehen, die von der Kamera des Baumarkts stammen. Möglicherweise könne man damit eine Öffentlichkeitsfahndung einleiten.
Hunde im Einsatz
Ein weiterer Anker der Ermittler: die Verfolgung von Spuren mit Polizeihunden. Polizisten sind am Mittwoch gegen 11 Uhr mit zwei Hunden am Tatort unterwegs. Laut Schulte-Göbel versprechen sich die Ermittler Hilfe bei der Suche nach dem Täter und der Tatwaffe. „Die Hunde nehmen eine Spur auf. Tatwaffen werden manchmal weggeworfen.“ Der Einsatz dauerte Stunden und zog sich über mehrere Kilometer von der Nordstadt bis zum Hauptbahnhof.

Und dann ist da noch das Opfer. Der 28-Jährige ist nach Angaben der Staatsanwaltschaft inzwischen ansprechbar. Stand Mittwochnachmittag bestehe keine akute Lebensgefahr mehr. „Es sieht gut aus“, sagt Schulte-Göbel. Allerdings könne sich der Gesundheitszustand auch wieder verschlechtern.
Der eingangs erwähnte Mann, der in der Nähe arbeitet und oft an der Stelle vorbeiläuft, sagt, dass bis vor Kurzem noch eine Matratze auf dem Gehweg in Richtung Baumarkt gelegen habe. Diese sei jetzt verschwunden. Die Abdrücke der Matratze sind auf dem Boden noch erkennbar.
Und er sagt etwas über die Nordstadt: „Sollte man ,Texas‘ nennen.“ Damit spielt er auf eine hohe Zahl von Gewalttaten in dem US-Bundesstaat an.
Anders als hier scheint die große, gelbe Sonne in der Hauptstadt Austin durchschnittlich knapp acht Stunden pro Tag.
Wie es am Tatort am Tag nach der Tat aussieht, sehen Sie unter rn.de/dortmund
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