Janina Brandes aus Dortmund hat das MRKH-Syndrom: Sie wurde ohne Vagina und Gebärmutter geboren.

© Max Slobodda

Ohne Vagina und Gebärmutter geboren: Dortmunderin ist eine „ganz normale Frau“

rnMRKH-Syndrom

Mit 17 Jahren die Schockdiagnose: Janina Brandes erfährt, dass sie eine seltene Fehlbildung, keine Vagina und Gebärmutter hat. Was das für die Sexualität und Weiblichkeit der Dortmunderin bedeutet.

Dortmund

, 17.06.2021, 12:56 Uhr / Lesedauer: 4 min

„Das Schlimmste wäre, wenn ich keine Kinder bekommen könnte.“ Janina Brandes erinnert sich noch genau an den Moment, in dem sie ihre größte Angst das erste Mal ausspricht: Gerade kommt sie mit ihrer Mutter von ihrem ersten Besuch bei einer Frauenärztin. Die damals 17-Jährige hatte sich untersuchen lassen, weil sie als einziges Mädchen aus ihrer Clique noch keine Regelblutung hatte.

Die Ärztin stellt beim Ultraschall stark vergrößerte Eierstöcke und viele Zysten fest. Das sei wohl der Grund, warum sie die Gebärmutter gar nicht sehen könne. Kurz ist sogar von Krebs die Rede, aber es bleibt unkonkret. Es folgt die Überweisung in eine Klinik zur Bauchspiegelung.

Diagnose MRKH-Syndrom ist ein Schock

Wenige Tage später die Untersuchung dort und direkt im Anschluss das Gespräch mit dem Arzt, das das Leben von Janina Brandes nachhaltig erschüttert: Man habe das Mayer-Rokitansky-Küster-Hauser-Syndrom (MRKH) festgestellt. Janina Brandes wurde ohne Vagina und ohne Gebärmutter geboren. Sie wird nie ein Kind austragen können.

„Ich begann zu weinen, schaltete meinen Kopf ab und bekam nichts mehr davon mit, was der Arzt meinen Eltern noch erklärte“, erinnert sich die 28-Jährige noch genau.

Was danach passiert? Nichts. Mit ihren Eltern fährt sie nach Hause. Die erklären ihrer Schwester, die nachfragt, die Diagnose - und danach wird über das Thema nicht mehr gesprochen. Weil die junge Frau es so möchte. Kinderwunsch? Sexualität? Die eigene Weiblichkeit? Mit diesen Themen setzt sie sich erst Jahre später auseinander.

„Ich wusste nichts über das Syndrom“

Zunächst ist Janina Brandes mit der Diagnose überfordert, fällt in eine Art „Betäubungszustand“. „Im Grunde wusste ich nichts über das Syndrom und selbst das war mir zu viel. Ich wollte nicht mehr wissen und mich schon gar nicht umfassend informieren. Ich weinte lieber ganz alleine für mich, eingeschlossen in meinem Zimmer.“

Heute ist das ganz anders: Aus der Teenagerin ist eine selbstbewusste junge Frau geworden, die sich sehr intensiv mit dem MRKH-Syndrom beschäftigt hat - und damit auch an die Öffentlichkeit geht. Aktuell sammelt sie auf der Plattform Startnext Geld, um ein Buch über die seltene Fehlbildung veröffentlichen zu können.

Einen großen Anteil an diesem Wandel hat ihr Freund - zwei Jahre nach der Diagnose kommt sie mit ihm zusammen. Er lässt Janina Brandes Zeit. „Es ging um mich, nicht um Sex.“ Denn natürlich macht sich die junge Frau darum Gedanken. Als Jugendliche hat sie ihren Körper erkundet.

Nur kleines Grübchen dort, wo sonst die Scheide ist

„Ich habe natürlich gemerkt, dass ich dabei nicht so weit eindringen konnte. Da, vor der Diagnose, habe ich mir gedacht, dass das vielleicht das Jungfernhäutchen ist.“ So ist es jedoch nicht. Da, wo die Scheide sein sollte, ist bei ihr nur ein zwei Zentimeter tiefes Grübchen.

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„Es gibt viele Frauen mit dem MRKH-Syndrom, die nur ein ganz kurzes Scheidengrübchen haben, nur eine Mulde. Es gibt auch welche, die haben 6 bis 7 Zentimeter.“ Es gibt verschiedene Möglichkeiten, damit umzugehen - die drastischste ist eine Operation, in der eine Scheide angelegt wird.

Eine andere Möglichkeit ist, die vorhandene Mulde zu dehnen. Mit Hilfsmitteln wie einem Vibrator oder beim Sex. Janina Brandes und ihr Freund gehen den sanften Weg - und das fast nach Hollywood-reifem Drehbuch.

„Was das Körperliche anging, hat er mir lange Zeit gelassen, mich zu nichts gedrängt. Dann irgendwann haben wir es aber versucht, ganz langsam und vorsichtig. Das war sogar ganz romantisch: Das erste Mal ,Ich liebe dich‘ gesagt, danach der erste Sex.“

Arzt macht Mut: „Sie sind eine ganz normale Frau“

Die Klitoris ist bei Frauen mit dem MRKH-Syndrom vorhanden, Orgasmen sind also möglich. Janina Brandes und ihr Freund sind so zunächst zufrieden mit ihrem Sexleben. Mit 23 entwickelt sich bei ihr dann aber doch der Wunsch, sich operieren zu lassen. „Ich hatte schon oft Schmerzen beim Sex, es war für meinen Freund einfach schwer einzuschätzen, wie weit und wie fest es geht.“

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Janina Brandes macht einen Termin im Uniklinikum Erlangen aus. Und trifft hier die zweite Person, die ihr das Leben mit dem MRKH-Syndrom viel einfacher macht.

„Als erstes hat der Arzt, mit dem ich das Gespräch über die OP führen wollte, gesagt: ,Sie sind eine ganz normale Frau‘. Das war toll, wie ein Umschalter.“ Denn damit berührt der Arzt ein drittes Thema, das neben der Kinderlosigkeit und der Sexualität viele Frauen mit dem MRKH-Syndrom intensiv beschäftigt.

Neue Haltung zum eigenen Geschlecht

Was macht die Diagnose mit dem „Frau-sein“? „Das fällt vielen sehr schwer, das war auch für mich lange ein Knackpunkt, ich habe mich lange nicht als Frau gefühlt.“ Der einfache Satz des Arztes hilft Janina Brandes sehr, eine neue Haltung zu sich selbst, ihrem Geschlecht zu entwickeln.

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„Wenn man erzählt, dass man ohne Vagina und Gebärmutter geboren wurde, denken viele, man sei als Mann geboren. Daher trauen sich viele auch nicht, davon zu erzählen.“ Dabei hat die Fehlbildung damit und auch mit Intersexualität nichts zu tun.

MRKH-Frauen haben Eierstöcke, die Eizellen produzieren. Ihr Hormonhaushalt ist weiblich, auch äußerlich hat das Syndrom keine Auswirkungen. Nach dem Gespräch mit dem Arzt fühlt sich Janina Brandes sicherer, erleichtert.

Operation ist unnötig, Scheidengrübchen gedehnt

Die zweite gute Nachricht des Gesprächs: Bei ihr ist eine Operation nicht nötig. Die „Vorarbeit“ mit ihrem Freund hat schon Wirkung gezeigt, ihr Scheidengrübchen ist bereits auf sechs Zentimeter gedehnt.

Der Arzt rät zu Östrogencreme und täglichem Dehnen mit einem Vibrator. „Einen Monat später war ich bei zehn Zentimetern - und ich habe mich viel wohler gefühlt.“

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Heute, elf Jahre nach der Erstdiagnose, geht Janina Brandes selbstbewusst mit der Fehlbildung um: „Ich sehe mich nicht mehr als anders. Ich bin mit mir und der Diagnose im Reinen.“

Sie weiß aber auch, dass das vielen anderen Betroffenen nicht leicht fällt. Die Fehlbildung ist für viele ein Tabuthema, zudem ist es schwierig, sich über das MRKH-Syndrom zu informieren. Daher übernimmt Janina Brandes die Initiative.

Umfassende Informationen über das MRKH-Syndrom

Die Grafikdesignerin hat als Bachelorarbeit das Buch „Für, mit und über Frauen ohne“ geschrieben, um anderen Frauen im Umgang mit der Fehlbildung zu helfen. „Ich hätte mir so etwas damals gewünscht.“

Das Ziel: Betroffene und auch Angehörige sollen sich umfassend über das MRKH-Syndrom informieren können. Es enthält medizinische Informationen von Grundlagen der Anatomie bis zu Operationsmöglichkeiten, dazu Erfahrungsberichte anderer Betroffener.

„Mir ist wichtig: Mein Weg ist nicht der eine richtige Weg. ich möchte über verschiedene Möglichkeiten informieren, Optionen zeigen, sodass die Leserinnen dann frei für sich entscheiden können.“

Startnext-Kampagne

Unterstützer für Buch-Veröffentlichung gesucht

Auf der Plattform Startnext wirbt Janina Brandes noch bis zum 26.6.21 um finanzielle Unterstützung, um ihr Buch „Für, mit und über Frauen ohne“ drucken lassen zu können. Über 9.000 Euro sind schon zusammengekommen, ideal wären 15.000 Euro, um einen hochwertigen Druck finanzieren zu können. Kommt mehr Geld zusammen, möchte Janina Brandes damit Vereine mit MRKH-Bezug unterstützen oder Treffen von Betroffenen organisieren.