
© Stephan Schütze
Mordversuch aus Angst vor Eltern-Gespräch – So viele Dortmunder Lehrer wurden 2019 zu Gewalt-Opfern
Lehrer als Opfer
Es war der 9. Mai 2019, als Lehrer Wolfgang Wittchow sterben sollte. Der krasseste, aber nicht der einzige Fall, in dem 2019 in Dortmund Lehrer zur Zielscheibe von Gewalt geworden sind.
Das Mordkomplott gegen Wolfgang Wittchow machte 2019 bundesweit Schlagzeilen. Ein 16-jähriger Schüler soll als Haupttäter zwei ältere Freunde überredet haben, mit ihm den Chemielehrer zu ermorden.
„Warum? Da gab es offenbar ein ganzes Motivbündel“, sagt Staatsanwalt Felix Giesenregen unserer Redaktion. „Er fühlte sich von dem Lehrer ungerecht behandelt. Da ging es um eine Krankschreibung bei einer Klausur und um schlechte Noten, die seine Versetzung unmöglich machten“, sagt Giesenregen. Und dann habe der 16-Jährige wohl ein Elterngespräch des Lehrers mit seinem Vater „aus Schiss“ verhindern wollen.
Hämmer als Tatwaffen
Der 51-jährige Chemielehrer soll, so die Anklage, in einen Hinterhalt auf einen abgelegenen Teils des Schulhofes der Martin-Luther-King-Gesamtschule in Dorstfeld gelockt worden sein. Dort habe ein Schüler aus dem Trio einen Schwächeanfall vorgetäuscht. Der Plan soll vorgesehen haben, dass die beiden anderen den Lehrer mit Hämmern erschlagen, wenn der sich über den angeblich kranken Schüler beugt.
Doch Wolfgang Wittchow war misstrauisch, kehrte den Schülern nicht den Rücken zu und rief einen Krankenwagen. Der schlimme Plan war vereitelt und zu einem weiteren Mordversuch, zu dem sich die Tatverdächtigen verabredet haben sollen, kam es erst gar nicht. Die Sache kam ans Licht, als ein Mitschüler seiner Mutter davon erzählte. Die Polizei wurde eingeschaltet.
„Versuchter gemeinschaftlicher Mord“
Am 28. Januar beginnt der Prozess gegen die mittlerweile 17, 18 und 19 Jahre alten Männer vor der 31. Jugendstrafkammer des Landgerichts Dortmund. Die Anklage lautet auf „versuchten gemeinschaftlichen Mord“. Dabei wird es noch um zwei weitere Straftaten gehen. Dabei soll der heute 17-Jährige sich zum einen mit einem seiner beiden Komplizen per WhatsApp zu einem weiteren Mordversuch an dem Chemielehrer verabredet haben. Zum anderen soll er die Scheibe einer Turnhallentür eingeworfen haben.
Gewalt gegen Lehrerinnen und Lehrer, das ist kein Einzelfall. Dabei dürften nur die schwersten Fälle in den Akten der Polizei landen. Zwischen Januar und November 2019 wurden bei der Polizei Dortmund 24 Lehrerinnen und Lehrer als Opfer von Gewalt aktenkundig, wobei sich die Zahl auf Dortmund und Lünen bezieht und in einem Fall ein Lehrer gegen einen anderen Lehrer gewalttätig geworden sein soll.
Körperverletzung, Bedrohung, Nötigung
2018 waren es 22 Fälle, 2017 waren es 25. „Die Zahlen sind stabil. Auch die Verteilung auf die Delikte – Körperverletzung, Bedrohung, Nötigung, Stalking – ähnelt sich von Jahr zu Jahr“, sagt Peter Bandermann von der Pressestelle der Polizei.
2018 befragte das Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) 1.200 Schulleiter in Deutschland. Das Ergebnis: In 48 Prozent aller Schulen gab es innerhalb der vergangenen fünf Jahre Fälle, in denen Lehrkräfte beschimpft, bedroht, beleidigt, gemobbt oder belästigt wurden, in 26 Prozent aller Schulen kam es auch zu körperlichen Angriffen.
„Hemmschwelle ist niedriger geworden“
Immer wenn ein Angriff gegen eine Lehrkraft zur Folge hat, dass diese krankgeschrieben wird, muss ein solcher Vorfall der Bezirksregierung gemeldet werden. Die verbucht das unter der Rubrik „Unfall durch Aggressivität gegen Lehrkraft“.
48 solcher Meldungen gab es 2019 im Regierungsbezirk Arnsberg, sagt Pressesprecher Christoph Söbbeler. 2014 lag diese Zahl bei 29 Meldungen. Landesweit liegen für 2019 noch keine Zahlen vor. Das Schulministerium nannte 500 Straftaten gegen Lehrkräfte im Jahr 2018, davon 263 Körperverletzungen.
Cordula Preuß ist Vorsitzende des Stadtverbands Dortmund des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE). Sie sagt: „Das beschäftigt uns schon, denn Gewalt gegen Lehrer gibt es durch alle Schulformen hindurch.“ Von einem Anstieg der Vorfälle will sie zwar nicht reden, aber: „Die Hemmschwelle ist niedriger geworden als früher. Warum, wieso, weshalb – das ist alles rein spekulativ.“

Die Martin-Luther-King-Gesamtschule in Dorstfeld. © Stephan Schütze
Hohe Dunkelziffer
Fest stehe aber, sagt Cordula Preuß, dass die Dunkelziffer hoch sei: „Viele Taten werden gar nicht angezeigt, weil die Lehrerinnen und Lehrer davor zurückschrecken. Sie haben Angst, dass es dann noch schlimmer wird.“
Sie könne das zwar nachvollziehen, halte es aber gleichwohl für falsch: „Wir haben als VBE da eine ganz klare Haltung und raten dazu, Anzeige zu erstatten, Verletzungen zu dokumentieren, einen Arzt aufzusuchen. Außerdem sollte über die Schulleitung das Gespräch mit dem Jugendlichen und dessen Eltern gesucht werden.“
Zudem müsse man beachten, dass nicht nur Gewaltakte von Schülern gegen Lehrer ein Problem seien, sondern auch Grenzüberschreitungen von Eltern gegenüber Lehrern, etwa in Elterngesprächen. Das komme definitiv vor, und zwar nicht selten. „Deshalb raten wird dringend dazu, solche Gespräche nur zu zweit zu führen“, sagt Cordula Preuß. Der VBE biete zum richtigen Verhalten in solchen Grenzsituationen Schulungen und Fortbildungen an.
Opfer hofft auf Gefängnisstrafe
Wolfgang Wittchow hat alles richtig gemacht, als er mit seinem Misstrauen das Mordkomplott zum Scheitern brachte. Er wird im Prozess als Nebenkläger auftreten. Gegenüber unserer Redaktion reagierte er im Vorfeld des Prozesses nicht auf Anfragen.
Dem ARD-Magazin Report aus München sagte er, er hoffe, dass zumindest der Haupttäter eine deutliche Strafe erhalte: „Ganz konkret hoffe ich, dass der Haupttäter ins Gefängnis kommt.“
Ulrich Breulmann, Jahrgang 1962, ist Diplom-Theologe. Nach seinem Volontariat arbeitete er zunächst sechseinhalb Jahre in der Stadtredaktion Dortmund der Ruhr Nachrichten, bevor er als Redaktionsleiter in verschiedenen Städten des Münsterlandes und in Dortmund eingesetzt war. Seit Dezember 2019 ist er als Investigativ-Reporter im Einsatz.
