Migrant gegen Ruhestörung durch türkische Hochzeiten

Migrant gegen Ruhestörung durch türkische Hochzeiten

rnYusuf Güclüs Aufstand im Kleingarten

Yusuf Güclü ist ein Mustermigrant. Türkischer Abstammung, aber in manchen Dingen deutscher als deutsch. Nicht nur als Kleingärtner. In seinem Garten wächst das Gemüse seit Jahren in geordneten Bahnen - und in seinem Bauch die Wut.

Dortmund

, 11.06.2018, 04:30 Uhr / Lesedauer: 6 min

Yusuf Güclü sitzt zufrieden vor seiner Laube und zeigt stolz auf seine grünen Kartoffelpflanzen, die er erstmals gesetzt hat: „Die Knollen sind von Aldi“. Seit mehr als zwölf Jahren hat er seine Scholle in der Kleingartenanlage Dortmund-Nord an der Eberstraße, dort wo Wurzelschlagen noch eine Tugend ist.

Das organisierte Kleingartenwesen, sagt man, sei das letzte Bollwerk des deutschen Spießers, aber es ist auch Integrationshelfer der Güteklasse A. In Güclüs Garten sprießt das Integrationsgemüse in Reih und Glied: Kohlrabi, Salat, Rhabarber und Lauchzwiebeln. Dahinter erobern Stangenbohnen ein Gerüst.

So schön wie im Urlaub

Das Gemüse wächst so akkurat wie Güclüs weißer Vollbart. Der untersetzte, braun gebrannte Mann im blau-weiß karierten Hemd könnte Werbung machen für türkischen Schafskäse. Oder türkischen Honig. Doch Güclü liebt seine deutschen Kartoffeln. „Ich muss nicht in den Urlaub fahren oder ins Ausland“, sagt er und zeigt auf sein grünes Reich und das Drumherum, „hier ist es schön.“

Als er 2006 seinen Garten übernahm, gab es im Verein nur vereinzelt Migranten, erinnert er sich: „Drei oder vier. Jetzt sind es viele.“

Die Internetseite des 1921 gegründeten und mehrfach preisgekrönten Gartenvereins bestätigt das. Hier wird der Besucher in fünf Sprachen begrüßt unter dem Motto „Ein Garten, so bunt wie wir …“

Faule Stelle in der Kleingarten-Idylle

Doch die Zugewanderten tummeln sich nicht nur in den 104 Kleingärten. Sondern auch im Vereinshaus. Als Gäste bei türkischen Hochzeiten. Und hier gärt schon seit Jahren eine faule Stelle in der 354 Quadratmeter großen Kleingarten-Idylle von Yusuf Güclü. „Ruhestörung“ ist das Reizwort, das ihm sein kleines Paradies vermiest, in dem auch Feigen wachsen und Minze neben Rosen duftet.

Yusuf Güclü vor dem Vereinsheim der Kleingartenanlage Dortmund-Nord an der Eberstraße. Der Gartenverein hat es verpachtet. Hier werden türkische Hochzeiten gefeiert.

Yusuf Güclü vor dem Vereinsheim der Kleingartenanlage Dortmund-Nord an der Eberstraße. Der Gartenverein hat es verpachtet. Hier werden türkische Hochzeiten gefeiert. © Gaby Kolle

Güclü führt seit Jahren den Kampf gegen die Lärmbelästigung. Bislang ohne Erfolg. Und er glaubt zu wissen, warum: „Weil Migranten nicht ernstgenommen werden.“ Weder vom Vereinsvorstand, noch von der EDG und von Behörden wie Stadt und Polizei. Das ist seine Erfahrung, auch wenn der 2. Vorsitzende des Gartenvereins ebenfalls ein Migrant ist.

Schärfster Verfechter deutscher Regeln

Als das Vereinshaus noch Gaststätte gewesen sei, „war es ruhig, keine Musik“. Doch als Feierbude für türkische Hochzeiten sorge das Vereinshaus immer wieder für unerwünschte Beschallung. Und das während der Ruhezeiten. Güclü kann die strengen Vorschriften auswendig, die vorn am Eingang im Glaskasten hängen: Mittagsruhe von 13 bis 15 Uhr und Abendruhe von 20 bis 8 Uhr. Samstag ab 15 Uhr gilt Wochenendruhe. Für Güclü, schärfster Verfechter deutscher Regeln und Gesetze nicht nur im Kleingarten, heißt das „absolute Ruhe“. Im Glaskasten steht es so: kein Rasenmähen und keine laute Musik, die den Nachbarn stört.

Die Ruhezeiten in der Kleingartenanlage Dortmiund-Nord.

Die Ruhezeiten in der Kleingartenanlage Dortmiund-Nord. © Gaby Kolle

„Ich bestehe darauf, dass die Kleingarten-Satzung eingehalten wird“, schimpft der 60-Jährige. Er regt sich nicht mehr ganz so schnell und so heftig auf wie früher, aber er regt sich auf. „Ich will die Ruhe bewahren“, sagt er und muss sich schon beim Erzählen bremsen. Fronleichnam hat er wieder die Polizei von der Wache Nord gerufen, damit endlich Ruhe ist. Und die ist auch gekommen.

Mit der zweiten Heimat verwachsen

Güclü kennt nicht nur die Vorschriften, sondern auch seine Rechte; denn lange bevor er Kleingärtner wurde, war er mit seiner zweiten Heimat fest verwachsen. Als 14-Jähriger kam er vor 46 Jahren aus Ankara, fing als junger Arbeiter für 2,55 Mark die Stunde bei den Wittener Eisenwerken an, arbeitete als Lokrangierführer bei Thyssen-Krupp in Hattingen („da waren damals alles Türken“), und später in der Glüherei der Edelstahlwerke Witten-Krefeld („da waren alles Griechen“). Bis ihn ein schwerer Arbeitsunfall zum Frührentner machte.

In Sachen Integration ist Güclü ein Bilderbuch-Migrant. 25 Jahre lang engagierte er sich in der Kommunalpolitik, ist mit Unterbrechung Mitglied der CDU, wurde 1993 der erste direkt gewählte Vorsitzende des Dortmunder Ausländerbeirats und blieb es bis 2004. Er war sachkundiger Bürger im Kulturausschuss des Rates, vier Jahre lang ehrenamtlicher Richter und saß im Beirat der Justizvollzugsanstalt. „Ich bin Dortmunder“, sagt er nicht ohne Stolz. Und deutsch. 1996 wurde er eingebürgert.

Kein Kraut gegen Lärm gewachsen

Er weiß, wie es läuft, und trotzdem scheint kein Kraut gewachsen gegen den Lärm - nicht im Gartenverein und nicht vor seiner Haustür in der Uhlandstraße. Auch beim Müll in der Nordstadt kämpft Güclü gegen Windmühlen - und bei all' dem gegen ein anderes Problem: Er ist oft schlecht zu verstehen. Hier hat seine Integration einen Webfehler, der schwer wiegt.

Er kennt die einschlägigen Begriffe aus dem Behördendeutsch wie aus dem Effeff, kennt die verschlungenen Wege durch den Bürokratiedschungel, doch nach fast einem halben Jahrhundert in Deutschland hat er noch immer seine eigene Grammatik und Aussprache. „Das ist mein schwacher Punkt“, räumt er ein, „ich bin nicht in der Lage, amtlich zu formulieren. Und wenn ich mich ärgere, spreche ich noch schlechter.“ Er spreche nur deutsch, wenn nötig. Zu Hause spricht er türkisch. Und in der Moschee. Der Muslim engagiert sich auch ehrenamtlich im türkischen Kulturverein.

„Meine Geduld ist zu Ende“

Güclüs sprachliches Handicap macht es seinem Gegenüber nicht immer leicht, seinem Anliegen zu folgen. Da mag es in manchen Situationen einfacher sein, darüber hinwegzugehen. Doch Güclü ist kein Mensch, der sich geschmeidig unterbuttern oder so einfach Gras über die Sache wachsen lässt: „Ich will, dass die Probleme gelöst werden. Meine Geduld ist zu Ende. Der Vorstand“, und damit ist er zurück beim Lärm im Kleingarten, „kann sich nicht seine eigene Satzung machen“.

Der Vorstand warnt zwar eigens auf einem Schild, dass der Parkplatz nur für Mitglieder da ist, doch bei den türkischen Hochzeiten würden sogar die Rettungswege zugestellt, wettert Güclü. Er hat das alles fotografiert und auf dem Handy gespeichert. Genauso wie den Müll an der Burgholzstraße/ Lortzingstraße, der trotz seiner Anrufe bei der EDG dort tagelang liegenbleibe. In seinem Zorn hüpft Güclü thematisch hin und her.

Auch wenn ein Schild nur den Pächtern der Gartenanlage das Parken dort erlaubt, wird bei türkischen Hochzeiten von den Gästen nicht nur hier geparkt, sondern werden auch die Rettungswege zugestellt.

Auch wenn ein Schild nur den Pächtern der Gartenanlage das Parken dort erlaubt, wird bei türkischen Hochzeiten von den Gästen nicht nur hier geparkt, sondern werden auch die Rettungswege zugestellt. © Gaby Kolle

90 Unterschriften gesammelt

Vor Jahren hat er 90 Unterschriften gesammelt gegen den Lärm aus dem Vereinsheim und fühlte sich schon damals vom Vorstand „verschaukelt“. Er hat seinen Ärger auf Mitgliederversammlungen zum Ausdruck gebracht, bei denen auch Vertreter des Stadtverbands der Kleingartenvereine anwesend waren. „Doch die tun nichts“, sagt er, „die kommen nur, um die Pacht zu kassieren“.

In einem gibt Heinrich Jordan, Vorsitzender des Stadtverbands, Güclü recht: „Ich mische mich erst mal nicht ein. Das ist auf Vereinsebene zu klären. Da ist der Vorstand gefragt.“

Eigentlich ist nur Musik in Raumlautstärke erlaubt

Der Vorstand will die Vorwürfe von Güclü nicht auf sich sitzen lassen. „Der Vorstand versucht immer wieder, gegen die Lärmbelästigung anzugehen“, versichert die Vorsitzende Brigitte Bornmann-Lemm, die ihren Garten neben dem von Güclü hat.

Güclü sei nicht der einzige, den der Lärm störe. Aber es gebe einen Vertrag mit der Pächterin, und wegen des Lärms bereits Abmahnungen und Verhandlungen mit einem Rechtsanwalt. Im Vereinsheim sei nur Musik in Raumlautstärke erlaubt. Doch Diskjockeys würden das nicht immer verstehen. Sie gebe sich „große Mühe“, sagt die Vorsitzende, „sich in rechtlichen Bahnen zu bewegen. Es ist nicht so, dass der Vorstand gegen Herrn Güclü arbeitet, aber er meint, es geht immer alles sofort“.

Polizeieinsatz in der Uhlandstraße

Seine Geduld erneut auf die Probe gestellt sah Güclü in der Nacht vom 12. auf den 13. Mai, als eine Gruppe von rund 70 Menschen nahe seiner Wohnung vor dem Lokal Uhlandshof in der Uhlandstraße lärmte und laute Techno-Musik hörte. Güclü hatte erstmals um 23.32 Uhr die Wache Nord angerufen, deren Nummer wie die jeder Dortmunder Polizeidienststelle mit 132 beginnt, und ein zweites Mal um 0.27 Uhr. Nichts habe sich getan, sagt er, erst später sei plötzlich viel Polizei und Feuerwehr gekommen, und habe die Menschenansammlung aufgelöst. Und das bestimmt nicht auf seinen Anruf hin.

Nein, sagt Polizeisprecherin Dana Seketa, es war der Anruf eines anderen Migranten. Da Güclü die Wache direkt angerufen habe, könne es sein, dass Kollegen auf ihrer Streife dort hingefahren seien und nach dem Rechten gesehen hätten, ohne dass Güclü dies gewahr geworden sei. Der andere Anrufer aber habe wegen der Ruhestörung direkt den Polizei-Notruf gewählt. Bei dem Einsatz habe sich herausgestellt, dass aufgrund eines technischen Defekts ein Feuer in der Gaststätte ausgebrochen war. Deshalb war die Feuerwehr vor Ort. „Das ist der Sachstand“, sagt die Behördensprecherin und empfiehlt, grundsätzlich 110 zu wählen, „dort werden die Einsätze zentral vergeben“.

Ruhestörung kann schon mal hintenanstehen

Güclüs Kritik, Migranten würden nicht ernst genommen, weist Seketa zurück: „Natürlich nehmen wir jeden Anruf ernst, außerdem haben wir auch bei der Polizei Migranten.“ Im Fall des Falles würden Kapitaldelikte mit Priorität behandelt, „da steht Ruhestörung auch mal hinten an.“

Doch Güclü will das Thema in den Polizeibeirat bringen - über Christiane Krause, Vorsitzende im Bürgerdienste-Ausschuss der Stadt. Sie ist auch seine Ansprechpartnerin in Sachen Falschparker und Müll. „In Deutschland muss man auf Bürgersteigen Platz für einen Kinderwagen lassen“, sagt er, „aber in der Eberstraße geschieht das oft nicht. Wenn ich das Ordnungsamt anrufe, heißt es dort, man sei nicht zuständig.“

Müll an der Burgholzstraße/Ecke Lortzingstraße

Und dann der Müll, immer wieder der Müll vor demselben Haus an der Ecke Burgholzstraße/Lortzingstraße. Seine Anrufe beim Umweltamt und der EDG fruchten nichts, glaubt er. Bei der EDG zumindest kennt man die Problemecke und gibt Güclü recht: „Da muss etwas passieren“, sagt Unternehmenssprecherin Petra Hartmann. Die Situation werde immer schwieriger.

Ein dort besonders auffälliges Haus stehe auf Privatgrund. Dort dürfe die EDG nicht tätig werden. Die EDG-Mitarbeiter täten, was sie könnten, hätten x-Gespräche mit den Anwohnern über ihr Abfallverhalten geführt, aber „Ordnungs- und Umweltamt müssten hier noch aktiver werden“. Letztes Mittel der Wahl sei, Müllverstöße stärker zu sanktionieren. Die EDG könne es nur begrüßen, sagt Hartmann, wenn Güclü sich in der Sache an den Bürgerdienste-Ausschuss wende.

Der denkt auch beim Kampf gegen den Lärm im Kleingarten über Druckmittel nach. „Ich zahle künftig keine Pacht mehr, nur noch Wasser- und Stromgeld“, sinniert er und krault zärtlich den Kater auf seinem Schoß. Das beruhigt - und gibt neue Kraft für den Kampf gegen Ruhestörung, Müll und Falschparker. Vor dem Zaun des Gartenvereins das Bundesgesetzbuch, dahinter das deutsche Kleingartengesetz.

Fürs Gemeinwohl engagieren

„Solange wie ich die Kraft habe, möchte ich mich fürs Gemeinwohl engagieren“, sagt er, „diese Gesellschaft braucht Brücken und engagierte Menschen. Das gilt für die Stadt und für Deutschland.“

Der schnurrende Kater schaut, als würde er alles verstehen. Er hört auf den Namen „Asyl“. Güclüs Sohn hat ihm das Tier vor neun Monaten als Junges aus der Türkei mitgebracht. „Türken“, sagt er, „haben es nicht so mit Katzen.“