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Messerattacke auf 19-Jährigen: „Harte Drogen führen zur Eskalation“
Dortmunder Nordstadt
Warum ist ein 19-Jähriger in der Nacht auf Sonntag fast erstochen worden? Wie sieht der Tatort in der Dortmunder Nordstadt aus? Was sagen diejenigen, die täglich dort sind? Ein Besuch.
Nichts mitbekommen“, sagt der Mann im Kiosk. In der Nacht auf Sonntag ist gegenüber im Park Heroldwiese ein 19-Jähriger fast erstochen worden. Ein Algerier.
Vier Täter sollen es gewesen sein, 25 bis 35, normal groß, bärtig. Laut Zeugen haben sie libanesisches Arabisch gesprochen, sagt die Polizei.
„Manchmal passiert...“, sagt der Mann im Kiosk – und es bleibt unklar, ob er sich nicht traut, den Satz weiterzusagen. Oder ob er eigentlich meinte: „Passiert manchmal.“
Die Angst, etwas zu sagen oder den Namen zu nennen
Keine Namen, nichts gesehen, nur was gehört später, am liebsten auch nichts sagen – wer an diesem Montag rund um den Park an der Heroldwiese unterwegs ist, ist lieber vorsichtig.
Mache wollen aber doch reden. Einer zum Beispiel: seit 44 Jahren in der Nordstadt, drei Kinder, heute obdachlos, Gefängnis-Erfahrung – einer, den so eine lebensgefährliche Messerattacke nicht mehr sonderlich beeindruckt, könnte man meinen.
Bierchen und THC? „Humane Sachen, nicht so schlimm“
Von wegen: „Mich trifft das schon, dass so eine Sch... hier passiert ist. Wenn meinen Kinder das passieren würde, ich könnte das gar nicht verkraften.“
Schuld seien die Drogen, aber eben nicht alle. Ein Bierchen an der Haltestelle mit Freunden oder „viele Leute, die THC zu sich nehmen“? Harmloser Alltag. „Das sind humane Sachen, nicht so schlimm.“
Genauso sieht es sein Kumpel, dem gerade ein Tütchen Gras aus dem Beutel am Zaun fällt. Schnell aufgehoben, das Handy klingelt. Ein Mann kommt vorbei. Geldscheine und Drogen wechseln Besitzer.

Vereinzelte Gruppen, nur an der Straßenbahn-Haltestelle gibt es mehr Betrieb: Die Parkanlage war am Montagmittag relativ leer. © Althoff
Kokain macht „Zombies“, Dealer im Schichtwechsel
„Aber die harten Drogen haben dazu geführt, dass es so eskaliert“, sagt der Mann. Hier werde eben nicht nur THC vertickt, sondern auch Kokain. „Die Leute, die das nehmen, laufen wie Zombies durch die Gegend, kein gerader Blick“, sagt der Obdachlose. Und die Koks-Dealer, sagt der andere Mann, der Gras vertickt - die seien perfekt durchorganisiert: „Frühschicht, Mittelschicht, Spätschicht.“ Überall und nirgends seien die. Und ein Menschenleben zähle kaum etwas.
Das alles klingt wie eine Art Dealer-Ehre: „Wenn zu mir einer kommt und sagt, er will aufhören mit den Drogen, dann kriegt der bei mir auch nichts mehr“, sagt der Gras-Verkäufer. Aber bei denen sei das anders. Ganz anders...
„Ich hoffe, die Täter werden gefasst“
„Die Leute werden immer verrückter und verrückter“, sagt der Obdachlose, der seit den späten 70ern in der Nordstadt lebt und der türkische Wurzeln hat: „Aber so etwas wie am Wochenende gehört hier nicht hin. Ich möchte so etwas nicht. Und ich hoffe, die Täter werden gefasst.“
Kann die Polizei nichts tun? Gerade zum Beispiel fährt ein Streifenwagen durch die Straße Oestermärsch, von Gronaustraße Richtung Borsigplatz.
„Seitdem das passiert ist, ist auch viel Präsenz“, hat der Obdachlose beobachtet. „Bisschen verspätet“, findet er. Bei „den ganzen Sachen, die hier so passieren, bei der Gewalt.“
19-Jähriger durch Notoperation gerettet: Kam es zur Aussage?
Aber es könne nicht nur Sache der Polizei sein: „Wir sind hier zentral in der Nordstadt. Also Augen auf – da darf man nicht weggucken!“
Gucken wäre Schritt eins, darüber reden Schritt zwei. Polizei und Staatsanwaltschaft hatten am Montag zunächst gehofft, dass wenigstens das Opfer reden würde. Nur durch eine Notoperation retteten Ärzte das Leben des 19-Jährigen. Am Montag, so die Hoffnung, könne man ihn aus dem Koma holen und ihn anschließend befragen, erklärte Staatsanwalt Carsten Dombert am späten Vormittag.
Ob das tatsächlich gelang und ob der 19-Jährige mehr sagen wollte als viele rund um die Heroldwiese – das blieb allerdings am Montag bis zum Redaktionsschluss dieses Textes (18 Uhr) offen.
Jahrgang 1977 - wie Punkrock. Gebürtiger Sauerländer. Geborener Dortmunder. Unterm Strich also Westfale.
