
Seit drei Jahren verbringt Jochen seinen Alltag im Park. Auf einer Bank. Die ist seit Ende Juni auch sein Schlafplatz. © Uwe von Schirp
Einst BVB-Jugendspieler: 38 Jahre später lebt Jochen auf einer Parkbank
Fachwerkhaus abgebrannt
Der 23. Juni, ein harter Einschnitt: Ein Großbrand nimmt Jochen die Schlafstätte. Als die BVB-B-Jugend einst Deutscher Meister wurde, saß er auf der Ersatzbank. Nun sitzt er auf einer Bank im Park.
Es ist früh am 23. Juni. Martinshorn schallt durch die Straßen – ein Großaufgebot der Feuerwehr. Jochen liegt auf einer Metallliege. „Ich bin ein guter, tiefer Schläfer“, sagt er ein paar Tage später. Die Sirenen aber sind zu laut. Er schließt die Tür auf. Vor ihm steht ein Feuerwehrmann. Sekunden später steht er auf der Straße – „wie ein Doofmann in Unterhose“.
Der Großbrand zerstört das denkmalgeschützte Fachwerkhaus im alten Mengeder Ortskern. Jochens Nachtquartier. „Gewohnt habe ich da nicht“, sagt der 54-Jährige. „Nur geschlafen.“ Er sei dankbar, dass der Eigentümer Friedemann Stuhm es ihm vor ein paar Jahren erlaubt habe.
Eine Selbstverständlichkeit, erwachsen aus der Subkultur der 80er-Jahre. Das „Café Chaos“ war Kneipe, Kulturzentrum und alternative Wohngemeinschaft. Und mancher, der kurzfristig einen Schlafplatz suchte, fand hier ein Obdach.
Dann kam die Immobilie in die Zwangsversteigerung. Den Termin sagte das Amtsgericht Dortmund im Dezember 2021 wegen Überfüllung des Saales ab. Da war klar: Das Haus war nur noch Jochens Schlafstatt auf Zeit. Das Ende kam am 23. Juni. Das war unvorhersehbar früh.
Ausweise liegen in der Brandruine
Den Tag verbringt der Mengeder seit drei Jahren im Park am Amtshaus. Dort treffen wir ihn am frühen Abend. Simone hat den Termin arrangiert. Gemeinsam mit ihrem Lebenspartner Stephan kümmert sie sich um den Wohnungslosen.
Simone hatte Jochen lange vor dem Brand eine Sozialbetreuerin vermittelt. Die aber hat derzeit Urlaub. „Bei mir ist das Doofe, ich hab im Moment gar nichts“, erzählt Jochen.

Das ehemalige "Café Chaos" oder "Schiefereck" nach dem Feuer. Im linken langgezogenen Teil hatte Jochen seinen Schlafplatz. Papiere und seine wenigen persönlichen Sachen musste er wegen Einsturzgefahr in der Ruine zurücklassen. © Helmut Kaczmarek
Ausweise, Krankenkassen-Karte und seine geradezu im wörtlichen Sinn „sieben Sachen“ blieben in der Ruine zurück. Einsturzgefahr. Betreten verboten. Jochen trägt eine schwarze Jogginghose und ein rotes Polohemd – Geschenk einer Anwohnerin am Morgen des Brandes.
An diesem Abend trägt Jochen auch eine schwarze Steppjacke. „Hat mir einer gegeben“, sagt er. Vor seiner ersten Nacht auf der Bank im Amtshauspark. Er ist dankbar für die Jacke mit BVB-Logo auf der Brust. Wäre sie blau und vom Rivalen aus Gelsenkirchen – er hätte abgelehnt, versichert Jochen und lacht. Seinen Humor hat er in dem ganzen Desaster behalten. Und der BVB ist Teil seiner Lebensgeschichte.
Kurzzeitig fand er privat Unterschlupf – zuletzt bei einer Anwohnerin der Williburgstraße. Im vierten Stock. Treppen. „Hochkommen ist kein Problem“, erzählt Jochen, „aber runter“. Tumore unter den Füßen und Brüche in beiden Beinen – die Krankenakte ist lang.
Mengeder helfen mit Spenden
Forschen Schrittes kommt die Gastgeberin aus der Williburgstraße durch den Park. „Guten Abend.“ Sie lächelt und drückt Jochen eine Plastikdose mit Salat und ein Sandwich in die Hand. „Guten Appetit.“
Viele helfen in der Not. Eine Mengederin hinterlegte einen Gutschein in der nahegelegenen Dönerbude für einen warmen Imbiss. „Wenn ich zu Salvatore gehe, gibt er mir eine Pizza“, erzählt der Mann.
Simone rief über zwei Mengeder Facebook-Gruppen zur Hilfe auf und verwaltet die Geldspende einer Frau. „Bei Simone und Stephan steht mein Kleiderschrank“, erzählt Jochen. Kleiderspenden. Die Wohnung des Paares ist auch seine Postadresse. „Die Beiden sind einfach super klasse.“ Simone dankt für die Hilfsbereitschaft der Spender. „Kleidung haben wir genug“, sagt sie. „Wir brauchen eine Unterkunft.“

Ein Mengederin hat zum Abendbrot eine Schale Salat und ein Sandwich vorbei gebracht. © Uwe von Schirp
Doch Sozialwohnungen in Mengede sind rar, Schlafplätze für Wohnungslose liegen in der Nordstadt. Jochen lehnte schon vor dem Brand eine Unterbringung dort mehrfach ab. Der 54-Jährige hat seinen Vorort nie verlassen. Hier leben die Menschen, die er kennt. Und die ihn kennen – auch wenn sie ihn nur im Park sehen und vorbeigehen.
„Aus der Nordstadt müsste ich mit Bus und Bahn nach Mengede“, erklärt er. „Wenn ich dann ohne Geld, Fahrkarte und Ausweis erwischt werde...“ Als er nach einem Armbruch vor ein paar Wochen aus dem Klinikum Nord entlassen wurde, lief er zu Fuß zurück.
„Um nix mehr gekümmert“
Jochen ist ein Mengeder Junge. Von der heutigen Regenbogen-Grundschule hätte er auf die Realschule oder das Gymnasium wechseln können. Er entschied sich für die Hauptschule am Markt – „wegen meiner Kumpels“. Abschluss 10B mit Zusatz – die Qualifikation für die gymnasiale Oberstufe.
Als Jugendlicher spielte er Fußball beim BVB, wurde 1984 als zweiter Torwart der B-Jugend Deutscher Meister. „Jochen war konditionsstärker als viele Feldspieler“, erinnert sich ein Jugendfreund. In der Mannschaft waren unter anderem der heutige Trainer Thorsten Fink sowie Adrian Spyrka und Maurice Banach. Legenden.
Die Meisterschaft war ein Glanzlicht in einer dunklen Phase der BVB-Geschichte. Anstelle einer Profikarriere entschied sich Jochen für eine Ausbildung beim Bundesgrenzschutz. Dann kam ein Bandscheibenvorfall. „Pech gehabt, dumm gelaufen“, sagt er trocken auf seiner Bank im Park.

Als die B-Junioren des BVB 1984 mit einem 1:0 gegen 1860 München Deutscher Meister wurden, saß Jochen als zweiter Torwart auf der Bank. Der Titel war ein Glanzlicht in einer dunklen Phase der Vereinsgeschichte. © RN-Archiv
Jochen arbeitete als Krankengymnast, boxte als Sparringspartner mit Peter Hussing. Um die Jahrtausendwende betrieb er vorübergehend die Bar „Santos“ an der Heimbrügge – und ging pleite.
Weitere Lebens-Brüche: „Ich durfte meine Mutter in den Tod begleiten“, erzählt er. Die Schwester starb wenig später. „Ich hab mich um nix mehr gekümmert“, sagt der Obdachlose. Post blieb ungeöffnet. Eines Tages war das Schloss seiner Wohnung ausgetauscht. Draußen!
Seit drei Jahren lebt Jochen jetzt im Park. Aktuell auch nachts. Krankheiten, Trauer, Verlust des Schlafplatzes: „Die Alkoholsucht fordert einiges ein“, sagt Stephan. „Er erträgt das alles mit dem Charakter eines Boxers.“
Zusammen mit Simone sucht Stephan nach einer Lösung. „Es muss doch möglich sein, für einen alten Mengeder etwas zu tun. Vielleicht hat ja einer eine Gartenlaube fürs Erste.“
Geboren 1964. Dortmunder. Interessiert an Politik, Sport, Kultur, Lokalgeschichte. Nach Wanderjahren verwurzelt im Nordwesten. Schätzt die Menschen, ihre Geschichten und ihre klare Sprache. Erreichbar unter uwe.von-schirp@ruhrnachrichten.de.
