
Der Ärger um den geplanten Auftritt des Schweizers Daniele Ganser in der Westfalenhalle zeigt ein Dortmunder Problem auf. Gerade auf städtisch finanzierten Bühnen muss es klare Linien für die Inhalte geben, die vertretbar sind.
Debatten gab es darüber schon häufig: Böhse Onkelz in den 90ern, Freiwild in den 10ern, zuletzt Sänger Xavier Naidoo 2020 oder Kabarettistin Lisa Eckhart 2021.
Immer wieder diskutieren
Die Linien des Sagbaren haben sich über die Jahre verändert und verschoben. Über Meinungs- und Kunstfreiheit muss in einer Demokratie in jedem einzelnen Fall wieder gestritten werden.
Bei antisemitischen Herleitungen, wie Ganser sie in der Corona-Impfdebatte zog, ist eine Linie überschritten.
Umso unverständlicher ist es, dass es in einem städtischen Tochterunternehmen mit dem Gewicht der Westfalenhallen kein Bewusstsein dafür gibt.
Es steht zu vermuten, dass allein die wirtschaftliche Lukrativität einer Vermietung im Vordergrund stand. Das ist in diesem Fall verantwortungslos.
Strategien erkennbar
Wer seine Videos anschaut, erkennt: Er sagt etwas, nennt es zunächst eine „Meinung“. Ein Beispiel: der von den USA gesteuerte „Putsch“ der ukrainischen Nationalisten 2014 als Auslöser für die russische Aggression.
Im weiteren Gespräch wird diese Meinung zum Fakt erklärt und prägt das Ergebnis.
Fragen schüren Zweifel. Dazwischen mischen sich historische und weltpolitische Tatsachen, die teilweise in einen anderen Zusammenhang gestellt werden. Am Ende klingt das irgendwie nachvollziehbar und alles andere als radikal.
Die Hallen sind oft voll
Bei den Zweifelnden findet Ganser sein Publikum. Denn, das ist auch eine Erkenntnis: Die Hallen sind voll von Menschen, die ihn gegen Kritik in der digitalen Öffentlichkeit vehement verteidigen.
Sie gehen zu solchen Veranstaltungen wie andere zu Konzerten oder Comedy, fühlen sich dort verstanden und bestätigt.
Wer an ihren Zweifeln zweifelt – Politiker, Medien, Gerichte, Sicherheitsbehörden – wird zum „wahren“ Gegner der Demokratie erklärt. Das ist genau die Radikalisierungsspirale, die Verschwörungstheorien gefährlich macht.
Radikalisierung
Ganser arbeitet mit der Kontroverse um Absage-Forderungen. Man könnte sogar sagen: Er lebt davon.
Fragen kann man ihn danach nicht. Der direkte Kontakt über seine eigene „Community“ kostet 1 Euro pro Tag, 365 Euro pro Jahr. Gegen Geld gibt es die „echten“ Theorien, an denen Wladimir Putin seine Freude hätte.
Die Wahrscheinlichkeit ist gegeben, dass Gansers Auftritt stattfindet. Wenn nicht in der Westfalenhalle, dann woanders in der Region.
Die demokratischen Dortmunderinnen und Dortmunder werden auch das aushalten. Aber: Sie tun gut daran, immer wieder laut zu werden, wenn Linien überschritten werden.
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