Hier in der „MST factory“, dem Zentrum für Mikro- und Nanotechnologie auf Phoenix-West, arbeitet ein junges Dortmunder Start-up an der Zukunft. Alles dreht sich um Wasserstoff. Schon bald sollen zahlreiche Arbeitsplätze entstehen. © Peter Wulle

Energiewende

Megatrend Wasserstoff: So will ein Dortmunder Start-up das Klima retten

Wasserstoff soll die klimaneutrale Wirtschaft ermöglichen. Bisher ist Wasserstoff aber noch zu teuer. Die Idee, wie man ihn günstiger machen kann, kam drei Dortmundern beim Feierabendbier.

Dortmund

, 06.10.2021 / Lesedauer: 5 min

Wenn es um das Thema Klimaneutralität geht, dann ist die Rede sehr schnell von Wasserstoff. Seit etwa zwei Jahren ist das Aufspalten von Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff zur Energiegewinnung in aller Munde. Die Produktion und Nutzung von „grünem Wasserstoff“ aus erneuerbaren Energien soll das Klima retten.

„Die Technologie dazu wird gerade mit einem Milliarden-Programm der Bundesregierung massiv nach vorne gebracht. Wasserstoff wird ein wichtiger Baustein sein, um das europäische Ziel der Klimaneutralität bis spätestens 2050 zu erreichen, aber es kann nicht der einzige sein. Wasserstoff kann nicht das gesamte Energiesystem ersetzen“, sagt Dr. Wiebke Lüke, eine der größten Wasserstoff-Expertinnen in Dortmund.

Bei einem großen Industriekonzern hat sie bereits 2018 eine Wasserelektrolyse aufgebaut. Nun will sie selbst für ein gutes Tempo bei der Energiewende sorgen. „Die Wasserstoff-Welt ist einfach meine“, sagt Wiebke Lüke. Gemeinsam mit ihrem Mann Dr. Lukas Lüke und Dr. Gregor Polcyn hat sie zu Jahresbeginn das Unternehmen WEW gegründet.

Start-up spezialisiert sich im Wasserstoff-Markt

In der „MST factory“, dem Zentrum für Mikro- und Nanotechnologie auf Phoenix-West, arbeitet das Gründertrio mit derzeit elf Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern daran, Wasserelektrolyseure zur Wasserstoffgewinnung aus erneuerbaren Energien zu entwickeln.

„Wir machen grünen Wasserstoff möglich.“ Das ist die Kernidee der Gründer und Geschäftsführer der WEW GmbH: Dr.-Ing. Lukas Lüke (v.l.), Dr. Wiebke Lüke und Dr. Gregor Polcyn. © WEW

Der Wasserelektrolyseur ist das wichtigste Element zur Erzeugung von grünem Wasserstoff. Er wandelt den erneuerbaren Strom in Wasserstoff und Sauerstoff um. Wird ein Stapel Elektrolysezellen in Serie geschaltet, bezeichnet man das als Stack. Dieser Stack ist bei der WEW etwa so groß wie eine Palette. Um die Produktionsmenge an grünem Wasserstoff zu erhöhen, können mehrere dieser Stacks zu Modulen zusammengeschaltet werden und in großen Hallen aufgestellt werden.

„Es gibt nicht viele Hersteller, die nur diese Stacks, diese Wasserstoff-Produktionseinheiten verkaufen“, sagt Wiebe Lüke und zieht einen Vergleich zur Fahrrad-Branche: „Hier hat beispielsweise Bosch gezeigt, wie es gehen kann: Bosch bietet für das E-Bike das Herzstück, die Akku- und E-Motor-Kombination, an. Diese bauen die Fahrrad-Hersteller nicht selbst, sondern kaufen sie ein. Ganz ähnlich positionieren wir uns im Wasserstoff-Markt.“

In der Wasserstoffrepublik Deutschland schon vorne dabei

Die Dimension ist allerdings eine ganz andere. Für Wiebke Lüke geht es nicht darum, ein einzelnes Fahrrad zu bewegen, sondern große Unternehmen mit Wasserstoff zu versorgen. Es geht um „Wasserelektrolyse im Industriemaßstab“.

Rene Tuxhorn (li.) und Isabelle Kroner gehören zu den elf Beschäftigten des jungen Unternehmens. Sie arbeiten im Labor der WEW GmbH an alkalischen Wasser-Elektrolyseuren. © WEW/Kentrup

Und das junge Dortmunder Start-up WEW spielt dabei in der Wasserstoffrepublik Deutschland, einem Ideenwettbewerb des Bundesforschungsministeriums, bereits ganz vorne mit. Es koordiniert das Verbundprojekt „Stack Revolution“ (StaR), das aus Berlin mit über 16 Millionen Euro gefördert wird. „Das Ziel ist es, durch eine kostenoptimale Stack-Herstellung grünen Wasserstoff wettbewerbsfähig zu machen“, sagt Wiebke Lüke.

Die Kosten für eine CO2-freie Energieerzeugung aus Wasserstoff, das wird im Gespräch mit der Expertin deutlich, stellen eine der wesentlichen Hürden für den Markthochlauf dar. Das wachsende Interesse an Wasserstoff sei bisher nicht getrieben durch seinen Preis, sondern durch die Klimaziele.

Die Lösung für ein „Henne-Ei-Problem“

Neben den hohen Kosten für Strom sind auch die notwendigen Gerätschaften noch kostspielig. Elektrolyseure für eine Wasserstoffproduktion im industriellen Maßstab werden heute noch von Hand gefertigt. Solange die Massenherstellung noch nicht angelaufen ist, sind die Geräte entsprechend teuer. Es ist ein „Henne-Ei-Problem“, das man bei WEW glaubt, lösen zu können.

Dr. Wiebke Lüke setzt auf den Standort Dortmund und will schon ab 2022 in der Stadt Elektrolyseure für eine Wasserstoffproduktion in Serie herstellen und so Arbeitsplätze schaffen. © WEW/Bedoy

„Beim Blick auf die Elektrolyse-Industrie fällt auf, dass viele aktuelle Marktteilnehmer – meist historisch so gewachsen – nur Komplettpakete anbieten. Mit dem Wachstum des Marktes liegt jedoch in der Spezialisierung und Fokussierung ein erhebliches Kostensenkungspotential. Hier setzen wir an und konzentrieren uns voll auf das wichtigste Bauteil, den Stack. Zudem wollen wir als systemunabhängiger Technologieanbieter neue Märkte für unsere globalen Kunden öffnen“, sagt Wiebke Lüke.

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Sie ist sicher, dass das gelingt. „Wir werden die Stack-Technik, die wir derzeit entwickeln, schon 2022 produzieren“, sagt sie. Und als Dortmunderin ist es für sie selbstverständlich, dass die Produktionsstätte in Dortmund gebaut wird. „Wir möchten nach dem Kohleausstieg die Wertschöpfung mit dem neuen Energieträger hier in der Stadt halten“, so Wiebke Lüke.

Rund 150 Arbeitsplätze sollen in Dortmund entstehen

Auch, wenn es in NRW Wasserstoff-Cluster im rheinländischen Jülich, wo sie selbst im Forschungszentrum gearbeitet und zum Thema Brennstoffzellentechnik promoviert wurde, und im münsterländischen Saerbeck gibt, sei Dortmund für ihr Unternehmen ein perfekter Standort. „Hier gibt es eine gute Unterstützung für Gründer, wir stoßen hier für den Bau unserer Produktionsstätte auf offene Ohren und Dortmund verfolgt auch mit Projekten wie dem Clean-Port-Wasserstoffzentrum im Hafen eine eigene Wasserstoff-Strategie“, sagt Wiebke Lüke.

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In der hochautomatisierten Fertigung von Wasserstoff-Produktionseinheiten sollen bis 2024/25 rund 150 Arbeitsplätze entstehen. „Wir benötigen keine Wasserstoff-Spezialisten, die Arbeitskräfte stehen auf dem Dortmunder Arbeitsmarkt zur Verfügung. Auch das ist ein Standortvorteil hier im Ruhrgebiet“, so Wiebke Lüke.

Als Kohlendioxid-freier Ersatz für Kohle, Öl und Erdgas ist Wasserstoff nach ihrer Überzeugung die einzige Alternative. „Generell lässt sich sagen, dass es aus Sicht der gesamten Wirkungsgradkette am sinnvollsten ist, direkt regenerativ erzeugten Strom zu nutzen. Überall dort aber, wo sich jedoch kein Strom einsetzen lässt, sondern andere Energieträger benötigt werden, ist grüner Wasserstoff die sinnvollste Alternative“, erklärt Wiebke Lüke.

Trinkwasser-Knappheit ist kein K.o.-Kriterium mehr

Letzteres ist bei einer Vielzahl an Prozessen der Fall: zum Beispiel in der Stahlindustrie, der chemischen Industrie, der Zementindustrie oder auch beim Schwerlasttransport. Güterzüge, Lkw, Flugzeuge und Containerschiffe lassen sich nicht mit Strom bewegen.

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Gut ist, dass Wasserstoff reichlich und überall auf der Welt erzeugt werden kann. Schlecht ist allerdings, dass für die Herstellung von grünem Wasserstoff erneuerbare Energien benötigt werden. „Diese erneuerbaren Energien werden wir in Deutschland nicht vollständig selbst produzieren können. Wir werden Wasserstoff oder aus Wasserstoff erzeugte Energieträger importieren müssen - beispielsweise aus sonnenreichen und windreichen Ländern des Sonnengürtels der Erde“, sagt Wiebke Lüke.

Dort würde bereits mittels Meerwasser-Entsalzungsanlagen auch entsalztes Meerwasser zur Wasserstoff-Gewinnung genutzt. Damit sei die oft angeführte Trinkwasser-Knappheit, die der Wasserstoff-Hype in vielen Regionen der Welt nur verschärfe, kein K.o.-Kriterium mehr.

Umrüstung der Industrie bietet den größten Hebel

Selbst wenn sich aber Wasserstoff als Energieträger auch dank einer intensiven staatlichen Förderung durchsetze, werde durch ihn allein das Klima nicht gerettet, glaubt Wiebke Lüke.

„Wir haben mit der Umrüstung der Industrie auf grünen Wasserstoff den größten Hebel zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes, aber es wird ein Energiemix, bestehend aus regenerativ erzeugtem Strom sowie gasförmigen, flüssigen und festen Energieträgern, nötig sein und auch jeder Einzelne wird sich nachhaltiger verhalten müssen“, sagt sie.

Damit es mit Wasserstoff gelingt, den Klimawandel noch rechtzeitig aufzuhalten, muss in den nächsten Jahren vieles gut laufen. „Aber ohne Wasserstoff“, sagt Wiebke Lüke, „ist es schier unmöglich, das Klimaziel zu erreichen.“

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