Bei den Philharmonikern steht Manuela Uhlmann in der letzten Reihe. Jetzt wurde sie zum Kontrabass-Festival nach Lucca eingeladen, um als Solistin aufzutreten. Wir waren mit ihr frühstücken.

Dortmund

, 23.07.2018, 04:40 Uhr / Lesedauer: 6 min

Um 11.01 Uhr vibriert das Telefon. Facebook Messenger, eine Nachricht von Manuela Uhlmann: „1 Minute“, dahinter ein Smiley mit verschieden großen Augen und verzerrtem Grinsen, dem die Zunge aus dem Mund hängt. Kurz darauf sieht man die 56-Jährige die Straße entlangeilen und gestikulieren, außer Atem kommt sie an: „Typisch Manuela, immer auf den letzten Drücker.“ Sie fährt sich durch die dunkelblonden Haare, lacht mit voller Stimme. Was für eine Frau.

Dass sie es geschafft hat, sich den Vormittag für das Treffen freizuschaufeln, ist keine Selbstverständlichkeit. Momentan verbringt Manuela Uhlmann sieben Tage die Woche von morgens bis abends an ihrem Kontrabass. Je nach Dienst auch mal nachts. Denn sie bereitet sich seit einigen Wochen auf das alle zwei Jahre stattfindende weltweit größte Kontrabass-Festival vor, das dieses Mal in Lucca stattfindet. „BassEurope“ veranstaltet das Event, die Nonprofit-Dachorganisation aller europäischen Bassisten.

Anfang August spielt Manuela Uhlmann in Norditalien im Trio mit Maria Chernousova (Klavier) und Judith Hoffmann (Sopran) ein knapp einstündiges Solo-Programm: Werke von Johann Sebastian Bach, Giovanni Bottesini, Astor Piazzolla, John Alexander und Bernard Salles. Letzterer komponierte die Nummer 10 seiner 15 „Parfums de Femmes“ für sie. Ihre Initialen „M.U.“ stehen im Werktitel.

Weltweit bekannte Bassisten

In Lucca kommen 500 Bassisten aller Kontinente zusammen, erfahrene und jüngere, Virtuosen und Koryphäen. Es gibt verschiedene Camps, darunter auch eines für Amateure aus aller Welt, die bei erfahrenen Bassisten lernen und sich die Konzerte ihrer Ikonen anschauen können. Das Recital von Manuela Uhlmann findet am 31. Juli statt, im Boccherini-Auditorium mitten in der Stadt, das ein Zentrum des Konzertgeschehens beim Festival bildet. Unter anderem spielen dort weltweit bekannte Bassisten wie Daniele Roccato, Simon Garcia und Petru Iuga. Am 4. August spielt Uhlmann mit 17 weiteren Solisten - zusammen mit Esra Gül eine von zwei Frauen - in einem Ensemble aus Weltklasse-Bassisten, die der Bassist Símón Garcia persönlich ausgewählt hat - das Konzert wird live auf Facebook übertragen (21.20 Uhr). Für Uhlmann „geht ein Traum in Erfüllung“. Das Programm gibt es vorher in Dortmund zu hören: Am 27. Juli um 16 Uhr in der Musikschule, Steinstraße 35.

Die tägliche Instrumentalpraxis im Orchester sei für diese Form des solistischen Spiels maximal die Grundlage, sagt Uhlmann, denn „Orchesterbass und Solo-Bass – das sind zwei völlig unterschiedliche Instrumente.“ Nicht nur, dass ihr Dienst-Bass ein massiger Fünfsaiter ist, und ihr Soloinstrument mit vier Saiten und als Instrument des italienischen Baumeisters Luciano Golia viel filigraner. „Du musst auch musikalisch ganz anders denken als im Orchester“, sagt Uhlmann.

Im Ensemble spielen Kontrabassisten Läufe und Linien, die das restliche Geschehen als Untersatz tragen. Vor allem in Werken aus Barock, Klassik und Romantik bildet ihre Stimme meist den Kontrapunkt der harmonisch-melodischen Struktur eines Werks, sie kontextuiert die Klänge innerhalb des musikalischen Geschehens. Daher fühlt es sich auch, wenn der Bass weggelassen wird, an, als wären der Musik die Füße weggeknickt, als würde sie schweben, alleingelassen in der Luft hängen. Erfahrene Bassisten wie Manuela Uhlmann können sich durch diese Logik ihre Stimme oft ad hoc aus dem musikalischen Kontext heraus ableiten oder ihre Linien sogar „voraus hören“.

„Bass-Spielen ist Leistungssport“

Bei einer Solostimme funktioniert das dagegen nicht. Außerdem ist es für das solistische Spielen wichtig, einen Klang zu entwickeln, der nicht fundiert, sondern führt. „Und das ist gerade beim Bass extrem viel Arbeit“, sagt Uhlmann. Denn einerseits erfordert es rein physisch große Kraft, die dicken Saiten auf dem langen Hals zu greifen, auf dem die Abstände viel größer sind als auf Violine, Bratsche oder Cello. Dazu kommen das manchmal hohe Tempo und die schnellen Wechsel, die es schwer machen, den Ton sauber zu treffen: „Bass-Spielen ist wie Leistungssport“, sagt Uhlmann. „Lange hielt sich sogar der Glaube, Bassisten seien gar nicht dazu in der Lage, sauber zu spielen.“ Andererseits muss im Solospiel der Ton nicht nur sauber kommen, sondern auch noch schön klingen. „Einer meiner Lehrer hat immer gesagt, die rechte Hand, die Bogenhand, gibt dem Ton die Seele, und die linke macht die Technik.“

Beides – Orchesterbass und Solobass – auf gleich hohem Niveau zu spielen, sei quasi unmöglich, sagt Uhlmann. Im vergangenen Jahr spielte sie in Dortmund immer wieder solistisch, die Theater- und Konzertfreunde organisierten einen Teil der Konzerte in der Reinoldikirche, dem Konzerthaus, beim Kammerkonzert der Philharmoniker im Oktober 2017. Sie kennt den Arbeitsaufwand, „aufstehen, frühstücken und üben bis um Mitternacht“, das sei in Solo-Zeiten ihr Tagesablauf. Stressig zwar, doch keine Überwindung für sie: „Ich wollte einfach immer nur Bass spielen“, sagt Manuela Uhlmann. „Ich habe nie etwas erzwungen in meinem Leben. Jeden Tag mehrere Stunden zu üben, ist einfach ein Bedürfnis für mich.“

Vielleicht liegt es aber auch an ihrer Prägung: Damals, im Berlin der DDR, ging sie als junges Mädchen auf ein Musikgymnasium, eine Schule, an der man mit der Aufnahmeprüfung den späteren Studienplatz im Instrumentalfach garantiert bekam. Seit sie elf Jahre alt ist, begleitet sie der Bass durchs Leben, wohin es sie auch verschlug und was auch alles passierte, es trieb sie immer wieder zu ihrem Instrument zurück: „Ich sage immer: Der Hals des Basses ist meine zweite Wirbelsäule.“ Und die brauchte sie, einige Male in ihrem Leben.

„Geflüchtete haben mein Herz“

Auf die Bewilligung ihres Ausreiseantrages aus der DDR gemeinsam mit ihrem damaligen Mann, auch Bassist, wartete das junge Paar drei Jahre. Zwei Wochen vor dem Mauerfall dann konnten sie endlich „rüber“, doch mussten sie fast alles zurücklassen: Jeder hatte nur eine Reisetasche, und nur ihr Mann durfte sein Instrument mitnehmen. Im Westen lebten die beiden in Flüchtlingscamps, in Lagern ohne Wände, mit geteilten Duschen und Toiletten, bis sie bei einer Frau in Baden-Baden im Privathaus unterkommen konnten. „Man braucht einfach Hilfe in solchen Momenten“, sagt Uhlmann. „Deshalb: Ich kenne das. Die ganzen Menschen, die heute fliehen müssen und hier in Europa oder sonstwo ankommen und kein Zuhause mehr haben, – denen gehört mein Herz.“

„Eigentlich bin ich erst hier in Dortmund wirklich zur Ruhe gekommen“, sagt Manuela Uhlmann.

„Eigentlich bin ich erst hier in Dortmund wirklich zur Ruhe gekommen“, sagt Manuela Uhlmann. © Dieter Menne

Aus ihrer damaligen Perspektivlosigkeit heraus entschlossen sich Manuela Uhlmann und ihr Mann dazu, nach Südafrika zu gehen, wo ein Orchester in Johannesburg zwei Stellen für Kontrabassisten ausgeschrieben hatte. Doch auch dort hielt es sie nicht lange, die Arbeits- und Lebensumstände waren katastrophal, auch die Rückreise gestaltete sich als Tortur: Zurück in Deutschland hatten sie dann wirklich nichts mehr.

Insgesamt war Manuela Uhlmann drei Jahre lang ohne Bass. Erst nach und nach, wiederum in Baden-Baden, fing sie wieder an, mit dem Leihinstrument eines Kollegen. Bis sie nach Dortmund kommen und endlich eine feste Orchesterstelle bekommen sollte, endlich die Möglichkeit, in einer Stadt zu bleiben, sich eine Existenz aufzubauen, vergingen noch einmal Jahre: Im Februar 1997 begann sie bei den Dortmunder Philharmonikern als Aushilfe, sechs Monate später wurde sie fest angestellt. „Und eigentlich bin ich erst hier in Dortmund wirklich zur Ruhe gekommen“, sagt Manuela Uhlmann heute. Weggehen war nie eine Option.

Dankbar für das unruhige Leben

Jetzt, Mitte Juli 2018, hat sie technisch und musikalisch ein Niveau erreicht, das sie lange nicht und vielleicht sogar noch nie zuvor hatte. Höllenschwere Stücke wie Astor Piazzollas „Le Grand Tango“ hatte sie zuletzt vor mehr als 20 Jahren gespielt – aber anders als heute: „Mein Leben fließt musikalisch in meine Interpretationen ein“, sagt sie. „Und eigentlich bin ich sogar ganz dankbar, dass ich ein so unruhiges Leben hatte. Gerade der ‚Tango‘ verlangt ganz viel Stärke, ganz viel Charakter, den ich ihm jetzt geben kann.“

Es ist eine Männerdomäne, in der Manuela Uhlmann sich ihr ganzes Leben lang behauptet hat, und in der sie sich auch in Lucca wieder behaupten wird. An ihrer Schule in Berlin war sie das einzige Mädchen, das Bass spielte, an der Universität war sie eine von zwei Bassistinnen. Von Anfang an musste sie sich dafür rechtfertigen, dass sie dieses „Männerinstrument“ spielen wollte: „In den 70ern gab es sogar eine Kommission aus Lehrern, die zusammengerufen wurde und diskutieren musste, ob ich als Mädchen im Jugendorchester Kontrabass spielen darf“, erzählt Uhlmann.

Im ganzen Land, der ganzen DDR, war sie am Ende eine von weniger als einer Handvoll Frauen, die Bass studiert hatte. Mittlerweile gibt es immer mehr Frauen, die Bass spielen. Eine der bekannteren unter ihnen ist Mirella Vedeva, die in Genf Professorin ist - und auch beim Festival in Lucca auftritt. So ist auch Manuela Uhlmann eine Pionierin, doch hat sie im Laufe der Jahre den Glauben an das „Männerinstrument“ übernommen: „Wenn ich Bass spiele, kann ich nicht spielen wie ein Weibchen“, sagt sie. „Ich kann auch nicht in weiblichen Klamotten spielen. Das geht einfach nicht.“ Und dann sagt sie einen schönen Satz: „Ich bin zwar eine Frau. Aber ich bin Bassist.“

Robust, selbstbewusst, widerstandsfähig

Sie, die mit drei älteren Brüdern aufwuchs, sieht sich als kernige Lady, und durchaus macht sie auch den Eindruck, robust zu sein, selbstbewusst, widerstandsfähig. Je länger man mit ihr spricht, desto mehr merkt man aber, dass da auch andere Saiten in ihr schwingen. Die Ähnlichkeit zu ihrem Instrument ist verblüffend. Nach außen hin stabil, groß und stark kann der schützende Panzer, der Resonanzkörper, mit tragendem Volumen Töne zum Klingen bringen, die unerwartet sensibel sind, anrührend und leise. Das ist besonders. „Bevor man spielt“, sagt Manuela Uhlmann, „sollte man erst mal einen Moment lang dankbar sein. Dafür, dass man spielen kann, dass man das Instrument hat. Das ist ein Geschenk.“

In Lucca beschlossen die Kommissionsmitglieder, nachdem sie sich einige Aufnahmen von Manuela Uhlmann angehört hatten, die Dortmunderin beim Jugendwettbewerb sogar in der Jury dabei haben zu wollen. „Dann sitze ich da zusammen mit Franco Petracchi“, sagt Manuela Uhlmann. „Der Mann ist der Bass-Papst!“ So schließt sich für sie in Italien ein Kreis: Wer Bass lerne, arbeite mit Petracchis Fingerübungen, auch sie habe im Unterricht bei ihren verschiedenen Lehrern mit seiner Schule die Technik gelernt. Wie bezeichnend: „Untypisch Manuela“ kommt dieses Kennenlernen nämlich nicht „auf den letzten Drücker“. Sondern irgendwie genau im richtigen Moment.