Fans in Dortmund vor geschlossenen Kneipen „Ihr wusstet doch, dass ihr ein EM-Halbfinale habt“

Warum viele Kneipen in Dortmund nach dem Halbfinale früh schlossen
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160.000 Fußball-Fans sind zum Halbfinale der Europameisterschaft zusätzlich nach Dortmund gekommen. Den Tag über hatten sie ausgelassen in der Innenstadt gefeiert. Nach dem Abpfiff zeigten sich aber einige Fans irritiert, dass in einer Stadt mit mehr als 600.000 Einwohnern viele Kneipen und Bars schon geschlossen hatten und auch keine Discothek geöffnet war.

„Ihr wusstet doch, dass ihr ein EM-Halbfinale habt und seit ein paar Tagen auch, dass Zehntausende Holländer kommen werden“, sagte etwa eine Niederländerin, die noch Zeit überbrücken musste, weil ihr Zug erst in den frühen Morgenstunden abfuhr.

Sie hatte wie andere Fans die Hansastraße angesteuert, weil dort mit dem Domicil und der Kneipe Einkehr noch zwei Läden geöffnet hatten. Auch in der Brückstraße fanden einige Fußballfans noch Bier. Auf dem Alten Markt waren kurze Zeit nach dem Abpfiff schon alle Türen zu.

„Gastfreundschaft sieht anders aus“

„Gastfreundschaft sieht anders aus, das kriegen wir schon zu hören“, sagt Jörg Kemper vom Wenkers. „Es tut mir leid für die friedlichen Fans, aber die Sicherheit geht vor.“ Denn auch, wenn es im Großen und Ganzen eine friedliche Fußballparty gewesen sei und niederländische und englische Fans sich gut verstanden hätten. „Ein paar Krawallos hat man immer dabei.“

Insgesamt 26 Festnahmen hat es durch die Polizei gegeben. 50 Straftaten sind laut der Behörde registriert worden. Bei über 100.000 Fans in der Stadt, ist das keine außergewöhnliche Zahl, findet Kemper. Er habe vor allem schöne Szenen zwischen den Fans erlebt. Aber es gab sie eben auch, die unschönen Szenen, wie vor dem Gänsemarkt oder am Betenhof, wo Anhänger beider Nationen aneinandergeraten waren und die Polizei eingreifen musste.

Oder auch am Sausalitos an der Kleppingstraße, wo sich englische und niederländische Fußballfans nach einem versuchten Fahnenklau mit Hockern und Bänken bewarfen und Fernseher aus dem Laden schmissen.

„Das war ein kurzer Schock-Moment“

Jörg Kemper hat die Videos wie viele Dortmunder Gastronomen natürlich gesehen: „Das war ein kurzer Schock-Moment.“ Dass man mit der 90. Minute des Spiels, die letzte Runde ausschenken werde, habe aber vorher festgestanden, sagt Kemper. Und dass alle Läden am Alten Markt ungefähr zur selben Zeit schließen, sei unter den Gastronomen abgesprochen gewesen. Auch mit der Polizei stehe man im Vorfeld von Fußballspielen in engem Austausch und beherzige Empfehlungen.

Das klappe gut, sagt Kemper. In der Regel würden auch alle Gastronomen mitziehen. „Wir haben im Wenkers seit 20 Jahren Erfahrung mit Fußballspielen. Wir haben miterlebt, wie bei der WM 2006 beim Spiel zwischen Polen und Deutschland mit unseren Hockern Polizisten attackiert worden sind. Wenn einer jemanden provoziert, dann kann beim ganzen Alkohol, der den Tag über fließt, schnell etwas passieren – gerade nach dem Spiel, wenn einer verloren und der andere gewonnen hat.“

Man habe deshalb immer Security vor Ort, aber alle Mitarbeiter würden immer mit langen Hälsen schauen, ob sich irgendwo Ärger anbahne. Die Terrasse habe man schon vor dem Spiel geschlossen, ab 20.30 Uhr habe man niemanden mehr hereingelassen, weil der Laden voll war. „Man könnte noch mehr Leute hereinlassen, aber dann wird es auch enger“, sagt Kemper. Ein Konfliktpotenzial.

„Es ist alles eine Abwägungssache. In den zwei Stunden, die wir länger auflassen könnten, machen wir keinen riesigen Umsatz mehr. Um den letzten Euro müssen wir nicht kämpfen. Da geht unser Mobiliar, die Arbeitszeit und die Sicherheit der Kollegen vor. Das ist uns viel wichtiger als das Momentum“, sagt der Wirt, der der Polizei für den Einsatz am Mittwoch eine gute Note ausstellt. „Alles verhindern kann man nicht. Aber die Beamten waren schnell vor Ort, haben Präsenz gezeigt und konsequent gehandelt.“

Jörg Kemper ist Betreiber des Wenkers. Mit Fußballfans in seiner Gastronomie am Alten Markt kennt er sich aus.
Jörg Kemper ist Betreiber des Wenkers. Mit Fußballfans in seiner Gastronomie am Alten Markt kennt er sich aus. © Benjamin Trilling

„Ein bisschen Panik“

Auch Ben Bolderson von der „Oma Doris“ lobt die Arbeit der Polizei. Im alten Leeds-Pub haben er und sein Team am Mittwoch das Spiel gezeigt. Viele niederländische Fans haben sich vor dem Fernseher versammelt. „Da waren auch ein paar Gestalten dabei, die nicht so freundlich aussahen“, sagt Bolderson.

Darauf habe man die Beamten aufmerksam gemacht, die auf dem Platz von Leeds dann auch verstärkt präsent gezeigt hätten. Der Austausch sei gut gewesen: „Das haben sie hervorragend gelöst, sehr deeskalierend“, sagt Bolderson, der im Laufe des Tages ein wenig angespannt gewesen sei.

„Wir haben natürlich mitbekommen, was in anderen Läden passiert ist. Wir haben deshalb nach dem Spiel sofort zugemacht, weil wir ein bisschen Panik hatten, dass es eskalieren könnte.“ Aber es habe während und nach dem Spiel am Oma Doris keine Probleme gegeben.

Dass man nach Abpfiff schließe, sei aber auch unabhängig von den Vorfällen in der City klar gewesen, sagt Bolderson. Man wisse nicht, wie die Stimmung nach so einem Spiel sei. Die Discothek für Fans zu öffnen, sei deshalb kein Thema gewesen. „Es wäre schwierig zu selektieren, wen man noch hereinlässt und wen nicht“, sagt der Inhaber. Ärger habe man vermeiden wollen.

„Die Stimmungslage nach dem Spiel überträgt sich “

Der Weinkeller hat an einem Mittwoch regulär von 21.30 bis 24 Uhr geöffnet. Verlängert hat man die Zeiten aufgrund des EM-Halbfinales nicht. „Das Konzept wollten wir nicht anfassen“, sagt Weinkeller-Inhaber Yves Oecking. Während der gesamten EM habe man an den normalen Öffnungszeiten festgehalten. An diesem Mittwoch seien ohnehin deutlich weniger Menschen gekommen als sonst. „Viele schienen das Spiel sehen zu wollen“, sagt Oecking. „Danach hatten wir ja noch bis 24 Uhr geöffnet, aber es sind keine Fans gekommen.“

Für Clubbetreiber und Gastronomen bringen Fußballspiele auch immer Unwägbarkeiten mit sich. „Die Stimmungslage nach dem Spiel überträgt sich in den Laden – das kann positiv, aber eben auch negativ sein.“

Vor der Begegnung habe das Video von den Krawallen am Sausalitos in der Gastro-Szene schnell die Runde gemacht. Da habe die Entscheidung für die Öffnungszeiten des Weinkellers aber ohnehin schon gestanden. „Ich arbeite seit 20 Jahren im Nachtleben, aber so etwas wie im Sausalitos habe ich noch nicht erlebt. Das war schon heftig“, sagt Oecking.

Insgesamt habe er die EM aber als sehr positiv wahrgenommen. „Aus unserer Sicht ist alles gut gelaufen. Wir hatten viele internationale Gäste da. Das war super.“ Die Enttäuschung einiger niederländischer Fans, dass viele Gastronomien schon geschlossen hatten, kann Oecking verstehen: „In der Wahrnehmung der Holländer war gestern Freitagabend. Aber es war immer noch ein Mittwoch.“

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 11. Juli 2024.

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