Last der vielen Fragen erdrückt Hörder Jugendliche

© Felix Guth

Last der vielen Fragen erdrückt Hörder Jugendliche

rnHörde nach dem Tod einer 15-Jährigen am Bahnhof

Nach dem gewaltsamen Tod eines 15-jährigen Mädchens ist der Tatort, ein Parkdeck am Bahnhof Hörde, ein Ort der Trauer. Die Last der vielen Fragen an diesem Ort ist kaum zu ertragen. Wie konnte es so weit kommen?

HÖRDE

, 26.02.2018, 19:37 Uhr / Lesedauer: 3 min

Am Montag sitzen Mädchen vor der Gedenkstelle. Dort hängt ein Foto des Opfers. Dunkle Haare, dunkle, strahlende Augen. Auf dem Auszug aus der Foto-Plattform Insta-gram ist ihr Gesicht verfremdet, wie viele Jugendliche das dort absichtlich tun. Sie trägt eine Bärennase und Bärenohren. Darüber füllt sich die Parkhauswand mit Aufschriften derer, die dem „Engel“ einen letzten Gruß schicken.

Das Opfer sei eine sehr gute Freundin gewesen, man sei oft zusammen draußen gewesen, erzählt eine 13-Jährige, die am Freitag Teil der Gruppe auf dem Parkdeck war. Ihre Lippen zittern vor Kälte und vor Erschütterung. Sie erzählt in klaren Worten von diesem Abend. Es habe vor der Messerattacke einen Streit und eine Schlägerei wegen Beleidigungen unter den Mädchen gegeben. Einige Jungen hätten die 16-Jährige zurückgehalten.

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Die Freundin des Opfers schildert den weiteren Ablauf so: „Wir dachten, der Streit wäre vorbei. Dann hat sie sich losgerissen, ist auf sie zugelaufen und hat gerufen: ‚Ich bringe dich um!‘ Einige haben noch gerufen: ‚Vorsicht, sie hat ein Messer.‘ Doch es ging zu schnell.“ Nach dem Messerstich habe sich die 15-Jährige ins Treppenhaus geschleppt, sei erst ansprechbar gewesen, dann aber zusammengebrochen.

„Jeder Zweite hat eine Waffe dabei“

Dass die mutmaßliche Täterin ein Messer dabei hatte, das sie wegen seiner Größe überhaupt nicht hätte mitführen dürfen, überrascht keinen der Jugendlichen. „Jeder Zweite in Hörde hat so etwas dabei, um sich zu schützen“, sagt ein Mädchen. So etwas äußern hier in den vergangenen Tagen immer wieder Jugendliche unabhängig voneinander. Die Polizei wollte sich dazu gestern nicht äußern.

Staatsanwalt Jörg Schulte-Göbel teilt am Montag mit, es sei ein Messer gefunden worden, bei dem man davon ausgehe, dass es sich um die Tatwaffe handelt. Nach mehreren Hinweisen aus der Bevölkerung seien Glas- und Papiercontainer in einem anderen Dortmunder Stadtteil durchsucht worden. Am Wochenende war spekuliert worden, dass eine abgebrochene Bierflasche die Tatwaffe gewesen sein könnte. Die Bilder aus einer Überwachungskamera sind mittlerweile ausgewertet, weitere Zeugen wurden vernommen. Die 16-Jährige sitzt wegen Totschlags in Untersuchungshaft.

Jörg Schulte-Göbel bestätigt Informationen dieser Zeitung, nach denen es gegen die Tatverdächtige 2017 ein Verfahren wegen Körperverletzung gab, das „rechtskräftig abgeschlossen“ sei.

Die Freundinnen der Getöteten sitzen zusammen. Sie weinen, halten sich im Arm, stellen sich viele Fragen. „Warum bin ich nicht zwei Minuten stehen geblieben, als ich sie das letzte Mal getroffen habe? Warum?“, sagt ein Mädchen und schlägt sich mit der flachen Hand vor den Kopf. Ihre Freundinnen trösten sie. Sie erhielten in der Schule psychologische Hilfe, erzählen sie.

Viele Menschen kamen zum Trauern an die Unglücksstelle.

Viele Menschen kamen zum Trauern an die Unglücksstelle. © Felix Guth

Zugleich helfen sie sich auf ihre ganz eigene Weise. Denn das Profil der 15-Jährigen auf der Foto-Plattform Instagram ist zu einem Ort des Austausches geworden. In über 300 Kommentaren auf das letzte Foto der Realschülerin, ein Selfie vor einem Spiegel in ihrem Zimmer, geht es um Abschied. Aber auch um den Abend selbst, um die mutmaßliche Täterin, um Rachegelüste und Nichtigkeiten.

Es wirkt, als hätten die überwiegend jugendlichen Kommentatoren die Tragweite des Ereignisses noch nicht ganz begriffen. Das Mädchen, das hier mit Nutella-Glas, süßen Bärenohren, aber auch mit einer (unechten?) Schusswaffe und einem Joint posiert, ist tot.

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Nur sieben Stunden vor der Tat wurde am Freitagnachmittag in 50 Metern Entfernung in der Hörder Bezirksverwaltungsstelle ein Gespräch mit Bezirksvertretern, dem Eigentümer des Parkhauses, Polizei, Bundespolizei, DSW 21, Deutsche Bahn AG und städtischen Ämtern über die Sicherheit am Bahnhof beendet. Anlass waren Vorfälle und wachsende Ängste von Bürgern, Kunden und Ladenbetreibern. Ein Ergebnis war, dass das Parkhaus künftig zwischen 24 und 7 Uhr abgeschlossen werden soll. Die Tat hätte dies aber nicht verhindert: Der tödliche Messerstich ereignete sich gegen 22.40 Uhr.

Keine auffällige Kriminalitätsstatisik

In der Kriminalitätsstatistik spiegelt sich das Unsicherheitsgefühl nicht wider. Polizeisprecherin Cornelia Weigandt sagt, der Hörder Bahnhof und das Parkdeck seien kein Schwerpunkt der polizeilichen Arbeit. Das Parkdeck ist in privater Hand. Um die Sicherheit müsse sich der Betreiber kümmern. Martin Steinfort, Vertreter von Eigentümer Pink Invest, sagt zur Frage nach einem privaten Sicherheitsdienst: „Wir können als private Gesellschaft nicht präventive Maßnahmen für etwas leisten, das aus dem öffentlichen Raum heraus stattfindet. Einen solchen Dienst zahlt letztlich der Mieter.“

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Für Martin Steinfort von Pink Invest, dem Eigentümer des Gebäudes, steht fest: „Durch die hohe Fahrgastfrequenz, auch und vor allem von Jugendlichen, zieht der Bahnhof Personen an, die kriminelle Absichten haben.“ Die Jugendlichen, die sich hier zu jeder Tageszeit treffen, seien manchmal aggressiv. Das löse Ängste bei Kunden und Betreibern der Geschäfte aus, aber auch beim Hausmeister des Gebäudes, der nicht wisse, ob eine Jugendgruppe nach einem Platzverweis nicht in deutlich größerer Zahl zurückkehre. „Dies muss man ernst nehmen. Es betrifft ganz Hörde.“

Zuletzt gab es erfolgreiche Ermittlungen der Polizei gegen eine Gruppe, die über Monate am Bahnhof gezielt Überfälle auf Jugendliche vorbereitet und ausgeführt hatte.

Am Freitag hieß es in der Gesprächsrunde, dass rund 40 Personen bekannt seien, die im Bahnhofsumfeld auffällig geworden sind. Es fehle aber an der strafrechtlichen Handhabe und an Beweisen, um gegen sie vorzugehen.

Aus Sicht von Bezirksbürgermeister Sascha Hillgeris ist der Vorfall von Freitag „eine ganz neue Qualität der Gewaltbereitschaft“. Ziel müsse es jetzt sein, Jugendlichen bessere Angebote im Stadtteil zu machen. Schuldezernentin Daniela Schneckenburger (Grüne) habe entsprechende Bemühungen durch das Jugendamt bereits in einem Gespräch in Aussicht gestellt.