Zerstört eine Baustelle eine Dortmunder Einkaufsstraße? An der Saarlandstraße geraten Ladenbesitzer an ihre Grenze. Sie haben den Eindruck, dass sie den Verantwortlichen völlig egal sind.
Seit dem 8. Juli 2019 ist auf der Saarlandstraße in der süd-östlichen Innenstadt nichts mehr so, wie es einmal war. Es ist der Tag, an dem die große Baustelle kam. Aus einer gemütlichen Wohn- und Einkaufsgegend ist ein Dschungel aus Bauzäunen, Sperrschildern und Warnleuchten geworden, in dessen Boden alle paar Meter Löcher klaffen.
Das Problem: Genau so bleibt es mindestens für die nächsten zwei Jahre. Gerade baut das DEW21-Tochterunternehmen Donetz neue Versorgungsleitungen ein, im Anschluss macht die Stadt Dortmund mit dem Kanalbau weiter.
Vor Herbst 2021 ist auf der Saarlandstraße gar nichts fertig
Stadtsprecher Maximilian Löchter präzisiert: „Die aktuelle Zeitplanung sieht den Kanalbau ab dem zweiten Quartal 2020 vor, von da an für circa 12 Monate. Im Anschluss daran wird die Saarlandstraße vom Tiefbauamt wiederhergestellt.“ Die Stadt ist wegen der „allgemeinen Daseinsvorsorge“ gesetzlich verpflichtet, den Kanal in der Saarlandstraße zu erneuern. Vor Herbst 2021 werden die Bauzäune also nicht verschwinden – und das ist optimistisch gerechnet.
Im Sommer war die Meile zwischen Ruhrallee und Hohe Straße noch Teil einer Serie dieser Redaktion über die attraktivsten Straßen der Stadt. „Die Straße ist ein Dorf in der Stadt“, titelte dieser Autor selbst und bekam von den Menschen vor Ort ein Bild von einer lebendigen Gemeinschaft mit großem Anteil an der Vitalität des Dortmunder Zentrums gezeichnet.
Umsatzeinbußen bei allen Geschäften – sogar der Rewe leidet
Nicht einmal ein halbes Jahr später klingt das alles vollkommen anders. „Es wird schwieriger. Das ist ein schleppender Prozess“, sagt Christian Volmerich, Inhaber des Einrichtungsladens „Schischi“ an der Ecke Chemnitzer Straße. Er spricht von Umsatzeinbußen von rund zehn Prozent und sorgt sich um das Weihnachtsgeschäft in diesem Jahr.
An anderen Stellen hat ausbleibender Publikumsverkehr schon in all seiner Gnadenlosigkeit gewirkt. Das Restaurant „Kitchen Club“ ist nach 15 Jahren dicht, Traditionsgeschäfte wie der Schmuckladen „La Pendule“ verkürzen die Öffnungszeiten. Es gibt kaum jemanden aus der Geschäftswelt, der nicht leidet.
Der Betreiber des Rewe, die Friedrich Freidank GmbH, antwortet auf Anfrage zu den Auswirkungen der Baustelle: „Die Dauerbaustelle verursacht bei unserem Rewe-Markt hohe Umsatzrückgänge, da sich unsere Kunden aufgrund der Umstände für ihren Lebensmitteleinkauf umorientieren. Dies betrifft zuweilen auch unsere Stammkunden, die wir durch die dauerhafte Baustelle verlieren können.“
Die Last der Rückgänge trägt der selbstständige Betreiber allein. „Unsere vielen Standbeine ermöglichen es uns, die Auswirkungen etwas besser abzufedern als vielleicht manch anderer“, heißt es aus dem Unternehmen. Betriebswirtschaftliche Zahlen würden grundsätzlich nicht kommuniziert.
Düstere Prognosen: Macht jeder dritte Laden dicht?
Unter den Händlern in der Straße wird geredet. Es fallen dann Begriffe wie „katastrophal“ oder „existenzbedrohend“. Und die Gerüchtemaschine gerät in Gang. Wer gibt als Nächster auf? Der Blumenladen? Der Kiosk?
Einige hier teilen die Prognose, dass nur jedes dritte Geschäft an der Saarlandstraße die Baustelle überleben wird. Optimistisch ist im Moment fast niemand. Manche Geschäfte sind speziell genug, dass sie weiterhin genug Kundschaft haben. Wer etwas verkauft, das es an anderer Stelle auch gibt, hat schlechtere Karten.
Baustellenplanung bringt Existenzen in Gefahr
„Umsatzrückgänge gehen auf Kosten des Personals. Es wird ein kleiner Teufelskreis in Gang gesetzt“, sagt Christian Volmerich, der auch im Vorstand der Interessengemeinschaft Saarlandstraße sitzt. Er fragt sich wie viele andere an der Saarlandstraße, ob hier nicht eine chaotische Baustellenplanung die Existenzen vieler Menschen in Gefahr bringt.
2018 hatte das Tiefbauamt angekündigt, die Abstimmung mit Eigenbetrieben und Tochterunternehmen verbessern zu wollen. Im Falle der Saarlandstraße ist das nicht gelungen.
Der Handelsverband Westfalen-Münsterland hatte zuletzt angesichts der Baustelle auf dem Wall Alarm geschlagen und ein besseres Baustellen-Management gefordert.
Der Handelsverband-Vorsitzende Thomas Schäfer erinnerte an die negativen Auswirkungen des Stadtbahnbaus auf die Geschäfte an der Hamburger Straße vor einigen Jahren. An Saarlandstraße, Hermannstraße und Faßstraße seien bereits Folgen für den Handel zu spüren. „Das sollte Mahnung und Warnung genug sein“, sagt Schäfer.
Stadt Dortmund: „Die Bedürfnisse der Gewerbetreibenden werden berücksichtigt“
In der Kommunikation sind Fehler passiert und bereits eingeräumt worden. Durch eine Adress-Panne war die DEW21-Baustelle sehr kurzfristig angekündigt worden. „Das ist unglücklich gelaufen. Die rechtzeitige Information gehört eigentlich zum Standard“, sagt DEW21-Sprecherin Jana-Larissa Marx. Man bemühe sich, allen Wünschen der Gewerbetreibenden nachzukommen. „Aber wir sind darauf angewiesen, dass uns jemand anspricht“, sagt Marx.
Für die Stadt Dortmund kündigt Sprecher Maximilian Löchter an, dass während der Kanalbaustelle ein Baubüro mit Sprechzeiten für die Anwohner vor Ort eingerichtet werde. Der Anlieferverkehr und die „individuellen Bedürfnisse der Gewerbetreibenden“ würden damit berücksichtigt.
Es gibt einige, die das anders sehen. Die auf einer Infoveranstaltung im September Aussagen gehört haben, dass sie sich nicht so anstellen sollen. Christian Volmerich sagt: „Es entsteht ein bisschen das Gefühl, dass es den Verantwortlichen egal ist, weil es nicht ihr Problem ist.“
Ausweichende Antwort auf die Frage nach den wirtschaftlichen Folgen
Diese Redaktion hat der Stadt Dortmund unter anderem diese Frage gestellt: „Gibt es die Befürchtung, dass die Wirtschaftskraft und Attraktivität der Saarlandstraßeunter dem Umbau leiden könnte?“
Die Antwort von Stadtsprecher Maximilian Löchter für das Tiefbauamt lautet: „Im Hinblick auf die Befürchtung der Gewerbetreibenden, dass die Erreichbarkeit der Ladenlokale, Geschäfte, Gastronomiebetriebe durch den massiven Fortfall von öffentlichen Stellplätzen leiden könnte und damit finanzielle Einbußen zu befürchten sind, kann diese Frage verneint werden.“ Ernsthafte Sorge um einen Wirtschaftsstandort klingt anders.
Um Parkplätze geht es gar nicht. Sondern darum, dass das, was gerade passiert, den Charakter einer gewachsenen Innenstadt-Straße verändert. Denn die Saarlandstraße macht aus, dass hier eben nicht Drogeriemarkt neben Bäckerei-Kette neben Imbissbude steht. Es steht zu befürchten, dass manches verschwindet, was die Straße interessant macht.
Die Saarlandstraße wird sich verändern
Die Saarlandstraße wird in Zukunft ein anderes Gesicht bekommen. Eine wichtige Rolle werden dabei auch die städtischen Bemühungen um eine Verbesserung der Bedingungen für den Radverkehr spielen.
Die genauen Pläne für den Umbau nach Fertigstellung der Kanalarbeiten sind noch nicht öffentlich. Stadtsprecher Maximilian Löchter kündigt aber „diverse Veränderungen des Straßenkörpers und der öffentlichen Funktionsräume“ an. DEW21 kündigt außerdem umfangreiche Arbeiten an der Straße Alter Mühlenweg bis zur B1 an.
Doch die Sache an der Saarlandstraße hat eine andere Dimension als andere Großbaustellen. Hier ist die Dichte der Geschäfte und Betriebe hoch. Es führt bis zu der Frage, ob nicht auch die Attraktivität eines der beliebtesten und teuersten Innenstadt-Wohnviertel unter der Dauerbaustelle leidet.
Wer hier in nächster Zeit Wohnungen besichtigt, dürfte sich zweimal überlegen, ob er Lust auf zwei Jahre Baustelle und verstopfte Nebenstraßen hat.
Seit 2010 Redakteur in Dortmund, davor im Sport- und Nachrichtengeschäft im gesamten Ruhrgebiet aktiv, Studienabschluss an der Ruhr-Universität Bochum. Ohne Ressortgrenzen immer auf der Suche nach den großen und kleinen Dingen, die Dortmund zu der Stadt machen, die sie ist.
