„Kriegserklärung“ oder richtiger Weg? Streit um Fahrradkonzept der Stadt

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„Kriegserklärung“ oder richtiger Weg? Streit um Fahrradkonzept der Stadt

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Mit einer neuen Radverkehrsstrategie möchte die Stadt Dortmund den Radverkehr ausbauen. Das Echo der Experten fällt unterschiedlich aus – in einem Kritikpunkt sind sie sich aber einig.

Dortmund

, 04.02.2022, 11:30 Uhr / Lesedauer: 3 min

Die Stadtplaner geben sich selbstkritisch. „Auf dem Weg zur Fahrradstadt Dortmund gibt es noch zahlreiche Herausforderungen zu meistern“, heißt es im Entwurf für eine neue Radverkehrsstrategie, die die Verwaltung jetzt vorgelegt hat.

„Trotz aller positiven Entwicklungen und eines – im Vergleich zu anderen Städten des Ruhrgebiets – relativ weit ausgebauten Radverkehrsnetzes bestehen erhebliche Defizite, die das Radfahren in Dortmund beschwerlich und wenig komfortabel machen“, heißt es in dem 46-seitigen Papier, das zurzeit von der Dortmunder Politik beraten wird.

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Das Ziel des Konzepts ist dabei klar: Bis 2030 soll der Anteil des Radverkehrs am gesamten Verkehrsaufkommen von aktuell rund 10 auf 20 Prozent gesteigert werden. Dazu beitragen soll die Radverkehrsstrategie, die im Rahmen des Masterplans Mobilität erarbeitet wurde und jetzt diskutiert werden soll.

Hierarchisch aufgebautes Radnetz

Zentrale Elemente sind dabei der Ausbau des Radwege-Netzes, bessere Angebote für Fahrrad-Parken und eine Verknüpfung mit dem öffentlichen Nahverkehr. Beim Netzausbau setzen die Verkehrsplaner auf ein hierarchisches System mit Radwegen unterschiedlicher Kategorien und entsprechenden Qualitätsstandards.

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Eine wichtige Rolle sollen dabei sogenannte Velorouten spielen - neun Strecken mit dem Charakter von Fahrradstraßen, die von den Stadtteilzentren in der Regel über weniger von Autos befahrene Nebenstraßen in die City führen.

Radwege an Hauptverkehrsstraßen könnten nur anlassbezogen, das heißt bei ohnehin anstehenden Umbau- und Sanierungsmaßnahmen ausgebaut werden. Denn ein fahrradgerechter Umbau von Hauptverkehrsstraßen sei „kostspielig und langwierig“, erklärt die Verwaltung.

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Eher moderat fällt die Kritik vom Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC), Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und Verkehrsclub Deutschland (VCD) an der Radverkehrsstrategie aus. Mit dem Konzept könne „der Radverkehr nachhaltig verbessert“ und ein Beitrag zur Verkehrswende geleistet werden, heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme der drei Verbände.

Wege bis in die City

Grundsätzlich begrüßen die drei Verbände auch die geplanten Velorouten. Zur konkreten Führung der neun Strecken gibt es aber noch jede Menge Bedenken und Einwände, die man in einer gesonderten Stellungnahme auflisten will.

Rot markiert werden - wie hier die Fahrradstraße im Kreuzviertel - sollen die Velorouten, die die Stadt als schnelle Radfahr-Verbindungen zwischen den Stadtteilen und der City plant.

Rot markiert werden - wie hier die Fahrradstraße im Kreuzviertel - sollen die Velorouten, die die Stadt als schnelle Radfahr-Verbindungen zwischen den Stadtteilen und der City plant. © Björn Althoff

Aber es gibt auch eine grundsätzliche Kritik: „Wir fordern, dass die Velorouten nicht am Wall enden, sondern bis in die City führen und diese auch durchqueren“, heißt es in der Stellungnahme. Der Wall als Verteiler sei angesichts der Menge des Autoverkehrs für Radfahrende wenig attraktiv.

„Zudem ist nicht zu verstehen, dass die Routen in die Zentren der Stadtteile führen sollen, das eigentliche Zentrum, die City, aber außen vor bleibt“, merken die Verbände an.

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Grundsätzlich fordern ADFC, BUND und VCD neben Sofortmaßnahmen zur Förderung des Radverkehrs auch mehr Personal, also Planstellen im Planungs- und Tiefbauamt. „Der Nachholbedarf für die jahrzehntelang verschleppte Radverkehrsförderung ist so hoch, dass deutlich mehr (Wo-)Manpower eingesetzt und ein deutlich höheres Budget investiert werden müssen“, schreiben die drei Verbände.

Weitere Kritikpunkte sind die fehlende Berücksichtigung von Schulen und die neu gesetzten Qualitätsstandards. Dass die Breitenvorgaben für neue Radwege von mindestens zwei Metern jetzt nur noch für die Hauptrouten gelten sollen, lehnen die Verbände ab. Damit werde sogar der 2019 gefasste Ratsbeschluss zur „Fahrradstadt Dortmund“ unterlaufen.

Vernichtendes Gesamturteil

Dieser Kritik schließen sich auch die Radfahr-Initiativen „Aufbruch Fahrrad“, Velocity Ruhr und das Team der „Kidical Mass Dortmund“ an. Dass die aktuellen Vorschläge hinter schon beschlossenen Qualitätsstandards zurückbleiben sei „ein dramatischer Rückschritt“ und „eine Kriegserklärung an die Radfahrenden“, heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme.

Wie groß der Rückhalt für den Radverkehr in Dortmund ist, zeigt sich immer wieder bei Aktionen wie der „Kidical Mass“ und Rad-Sternfahrten.

Wie groß der Rückhalt für den Radverkehr in Dortmund ist, zeigt sich immer wieder bei Aktionen wie der „Kidical Mass“ und Rad-Sternfahrten. © Oliver Schaper (A)

Insgesamt fällt das Urteil der drei Initiativen über die neue Radverkehrsstrategie der Stadt vernichtend aus. Ihre Umsetzung würde „zu einem weiteren verlorenen Jahrzehnt für den Radverkehr in Dortmund führen“, moniert Initiativen-Sprecher Peter Fricke.

Schon der Ansatz der Strategie sei falsch. „Zentraler Maßstab jeder Radverkehrsplanung müssen die Bedürfnisse eines zehnjährigen Kindes sein“, heißt es. Deshalb müsse der Pkw-Durchgangsverkehr aus den Nebenstraßen strikt herausgehalten und auf den Hauptstraßen Auto- und Radverkehr viel stärker als bisher getrennt werden.

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Auch das Konzept der Velorouten findet bei den Initiativen keine Gnade. Es verfolge „erkennbar das Ziel, dem Autoverkehr nicht weh zu tun und trotzdem den Eindruck zu erwecken, es werde etwas für den Radverkehr getan“, kritisieren Aufbruch Fahrrad, Velocity Ruhr und Kidical Mass. „Die für die Velorouten geplante Umwandlung von heute schon relativ gut befahrbaren Tempo-30-Zonen in Fahrradstraßen bietet dem Radverkehr kaum Vorteile, sondern ist vor allem Kosmetik“.

Die Initiativen vermissen auch klare und verbindliche Ausbauziele. Ihr Fazit: „Die Radverkehrsstrategie ist unambitioniert und ungeeignet, in den nächsten zehn Jahren eine wesentliche Verbesserung für den Radverkehr zu erreichen.“

Der Politik wird empfohlen, das Konzept abzulehnen und eine Überarbeitung gemeinsam mit Verbänden und Initiativen zu beschließen. „Ziel muss eine Radverkehrsstrategie sein, die die Mobilitätswende ermöglicht, statt sie zu verhindern.“

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