Die niedergelassenen Kinderärztinnen und -ärzte ächzen unter einer Krankheitswelle, die aktuell viele Kinder und Jugendliche erfasst. Die extreme Häufung von Atemwegserkrankungen und Infekten sind nicht nur ein lokales Phänomen in Dortmund, sondern in ganz NRW und Deutschland spürbar.
Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte Nordrhein und Westfalen-Lippe fordert deshalb von Schulen, keine Atteste mehr bei Krankheitsfällen von Schülerinnen und Schülern zu verlangen. Denn die Belastung sei aktuell ohnehin schon hoch genug, wie die Dortmunder Kinderarzt-Sprecherin Hendrike Frei bestätigt.
„Im Moment würde das unheimlich entlasten“, sagt sie. Viele Schulen verlangen von ihren Schülerinnen und Schülern nach drei Fehltagen ein ärztliches Attest. Dabei sieht das Schulgesetz in NRW vor, dass Eltern ihre minderjährigen Kinder entschuldigen, wenn diese krank sind. Nur bei begründeten Zweifeln kann die Schule von Eltern ein ärztliches Attest verlangen. Etwa, wenn häufiges Schulschwänzen auftritt.
„Überflüssige Praxistermine“
In solchen Fällen sei man auch weiterhin gewillt, Atteste auszustellen, betont Kinderärztin Frei. Aber eben nur in solchen Fällen, heißt es auch auf einem Merkblatt des Landesverbandes der Kinder- und Jugendärzte: „Die meisten Ärztinnen und Ärzte empfinden es als Missbrauch ihrer medizinischen Tätigkeit, wenn überflüssige Praxistermine für Atteste von Schulen eingefordert werden und gleichzeitig wirklich erkrankte Kinder aufgrund des Arztmangels teilweise keine Versorgung mehr erhalten.“
„Wenn es einem Kind schlecht geht und es sich auskurieren muss, braucht es sein Bett und keinen Besuch beim Kinderarzt nur für ein Attest“, sagt Marcus Heidemann. Er ist Landesverbandsvorsitzender der Kinder- und Jugendärzte im Bereich Westfalen-Lippe.
„Die Eltern können oftmals selbst beurteilen, ob ihr Kind zur Schule gehen kann oder nicht. Wenn ein Kind bricht, muss es nicht extra für ein Attest in die Praxis kommen. Die Eltern können ihre Kinder in solchen Fällen auch selbst krankmelden“, sagt Hendrike Frei.
Deutlicher Kinderärztemangel
„Wir haben einen deutlichen Kinderärztemangel in Westfalen-Lippe, wir können keine sinnlosen Termine machen“, betont Marcus Heidemann.

Dieser Mangel ist laut der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) nicht festzustellen. In einer schriftlichen Antwort heißt es: „In keinem Planungsbereich in Westfalen-Lippe besteht in der Fachgruppe der Kinderärztinnen und -ärzte eine Unterversorgung oder droht unmittelbar.“
In Westfalen-Lippe gibt es derzeit Versorgungsaufträge für 572,8 Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte (Vollzeitäquivalente), teilt die KVWL mit. Rein rechnerisch kämen so auf jeden Versorgungsauftrag in Westfalen-Lippe aktuell 2462 Kinder und Jugendliche.
In Dortmund liegt die Zahl der Versorgungsaufträge laut KVWL aktuell bei 38,0 Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzten (Vollzeitäquivalente). „Der Versorgungsgrad beträgt 110 Prozent, sodass sich hier derzeit kein weiterer Kinderarzt niederlassen kann“, heißt es von der Kassenärztlichen Vereinigung.
Grundlage hierfür sei die bundesweite Bedarfsplanungs-Richtlinie, die 2019 „grundlegend reformiert und gerade bei den Kinderärzten deutlich an den gestiegenen Bedarf angepasst“ worden sei.
Marcus Heidemann vom Landesverband der Kinder- und Jugendärzte kritisiert die Bedarfsplanung als „rein theoretische Größe“. Die Versorgungsanforderungen seien immer höher geworden.
Dass in den vergangenen Jahren „auch häufigere Behördenanfragen nach Gutachten, vermehrte Präventionsleistungen und weitere Zusatzaufgaben eine Rolle“ spielen, sieht auch die KVWL.
Außerdem mache sich der Nachwuchsmangel bei Kinderärzten immer deutlicher bemerkbar. Die KVWL mahnt deshalb, dass zur Sicherung der Versorgung weitere Medizinstudienplätze geschaffen werden müssen.
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