
© Birgit Hupfeld
Eigenheim verwüstet: Darf man dem Täter verzeihen?
KJT-Premiere „Kein leichter Fall"
Das Kinder- und Jugendtheater hat eine ungewöhnliche Premiere gefeiert. Außer ein paar Stühlen waren Requisiten völlig unnötig. Im Zentrum stand eine schwierige Frage.
Das Eigenheim einer alten Frau wird auf üble Weise verwüstet.
Die Augen der Verwandten in ihrem Familienalbum mit einem Messer ausgekratzt, an die Wand dick und fett das Wort „TOD" gesprüht. Sie selbst traut sich seit dem Einbruch nicht mehr in ihr Haus – und auch sonst nichts mehr. Der Sohn fordert eine gerechte Strafe für den minderjährigen Täter.
Gerechtigkeit. Bei der Verhandlung eines so großen Themas bleibt kaum Platz für große Requisiten. Die Frage, wie und ob man zwischen dem Opfer und einem uneinsichtigen Täter jemals wieder die Wogen glätten kann, wird im engsten Kreis und in den Köpfen verhandelt.
Auf der Bühne genügt dazu nichts weiter als vier Stühle, auf denen die Beteiligten Platz nehmen, um sich mit Worten gegenseitig aus der Reserve zu locken. Wer ein solches Stück aus dem Publikumsrang erlebt, vergisst dabei schnell, dass er sich in einer Inszenierung befindet.
Das Prinzip des Täter-Opfer-Ausgleichs
Am Freitag (1.10.) hat das Kinder- und Jugendtheater Dortmund die Premiere von „Kein leichter Fall" gefeiert. Rund eine Woche nach der ersten Wiederbesetzung des Hauses seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie wurde das Publikum der Reihe nach in den Zuschauersaal geführt und dort im Schachbrettmuster verteilt. Nach einer kurzen Erläuterung der Corona-Regeln wurde dann zügig das Licht heruntergefahren und aus den Boxen dröhnten Geräusche der Zerstörung.
Auf die Idee zum Stück kam die bekannte Jura-Professorin Jennifer Llewellyn. In ihrem Auftrag befasste sich der Dramatiker David S. Craig mit der Frage, wie man es schaffen kann, zwischen Opfern und Tätern zu vermitteln und dabei weniger auf Bestrafung als vielmehr auf Wiedergutmachung zu setzen. Das Prinzip des „Täter-Opfer-Ausgleichs", kurz TOA, findet auch in Deutschland Verwendung. Die Gesprächsrunde wird durch eine neutrale Person, den „Mediator", geleitet und geschieht außergerichtlich. Kommt es zu einer Einigung, kann sich das strafmildernd für den Beschuldigten auswirken.
Ann-Kathrin Hinz als vielschichtige Sozialarbeiterin
Im Stück spielt Ann-Kathrin Hinz mit der Mediatorin „Vanessa" eine Figur, die selbst ihre Erfahrungen mit Gewalt gemacht hat. Als Kind wurde sie von ihrem Vater nach einem Missgeschick verprügelt. Seitdem hat sie ihre Probleme mit cholerischen Männern. Wohl deshalb hat sie sich auch in den Kopf gesetzt, die Welt besser zu machen – als Konfliktlöserin im TOA-Programm. Hinz füllt die Rolle mit genügend Energie, um die Figur des Täters an den lautesten Stellen zu einem kleinlauten Jungen werden zu lassen.

Vanessa (Ann-Kathrin Hinz) versucht, das Gute in dem Einbrecher Daniel (Thomas Ehrlichmann) zu finden. © Birgit Hupfeld
Der wiederum wird von Thomas Ehrlichmann als introvertierter Teenager dargestellt, der vor allem in der Konfrontation mit seinem Opfer (Bettina Zobel) allmählich beginnt, sich selbst zu reflektieren. Selbst unter dicker Daunenjacke, Mütze und Kapuze findet Ehrlichmanns Figur Raum, um immer wieder lautstark an den Sohn des Opfers (Andreas Ksienzyk), an seine Mutter (Bianka Lammert) sowie an das Publikum zu appellieren. Denn in diesem Szenario hat jeder sein Päckchen zu tragen und am Ende ist doch fast jeder irgendwie sympathisch?
Das zu beurteilen, ist am Ende Aufgabe des Publikums. Kann eine Versöhnung zwischen Opfer und Täter alleine durch Wiedergutmachung gelingen? Das Licht geht an, das Publikum soll nachdenken. Gerade als es vielleicht einen Gedanken gefasst hat, wird es schwarz im Saal – und der Applaus setzt ein.
Weitere Infos zum Stück sowie das vollständige Programm des KJT sind zu finden unter www.theaterdo.de.