Zum ersten Mal seit Langem spielten Ensemble-Mitglieder des Kinder- und Jugendtheater Dortmund am Freitag (24.9.) wieder vor realem Publikum.

© Florian Dürkopp

Fühlen statt hören: Wie eine taube Percussionistin Musik wahrnimmt

rnKJT-Premiere

In einem anrührenden Stück spielte das Ensemble des Kinder- und Jugendtheaters Dortmund am Freitag (24.9.) zum ersten Mal seit Langem wieder vor realem Publikum. Dabei ging es lautstark zu.

von Daniel Reiners

Dortmund

, 26.09.2021, 21:56 Uhr / Lesedauer: 2 min

Manchmal, spitzen kleine Kinder ihre Ohren; etwa, weil sie einen Klang vernommen haben, von dem sie gar nicht wussten, dass es ihn überhaupt gibt. Dann hören sie hin - mit einer Aufmerksamkeit, von der sich mancher Erwachsene eine Scheibe abschneiden könnte.

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Vielleicht entwickelt ein Kind dann bald sogar ein Interesse an der Anordnung solcher Klänge, also an Musik. Nun könnte ihm wenig Schlimmeres widerfahren, als dieser Erfahrung wieder beraubt zu werden - und mit fortschreitender Jugend das Gehör zu verlieren. Wenn es selbst dann noch mit aller Naivität und Energie an seinem Traum festhält, können anrührende Szenen entstehen.

Und wenn es zuletzt einer Schauspielerin gelingt, sich auf der Bühne in so eine dramatische Erfahrung einzufühlen, dabei aber trotzdem nichts vermissen zu lassen, was eine fröhliche und kluge Kinderseele ausmacht, dann kann man von einer mehr als gelungenen Vorstellung sprechen.

Evelyn Glennie ist das reale Vorbild der Bühnenfigur

Am Freitag (24.9.) präsentierte das Kinder- und Jugentheater Dortmund zum ersten Mal seit Langem eine Premiere vor Publikum in seinem Haus an der Sckellstraße. Unter dem Titel „Playing from the Heart" verkörperten vier Schauspielerinnen und Schauspieler und eine Percussionistin in rund 70 Minuten die Geschichte von Evelyn Glennie. Glennie, eine real existierende und weltberühmte Percussionistin, verlor während ihrer Kindheit nach und nach das Gehör - was sie nicht daran hinderte, an der Royal Academy of Music in London zu studieren und es wenig später zu Weltruhm zu bringen.

Lose auf diesem Leben basierend, verfasste der Autor Charles Way ein Bühnenstück, das nach Glennies Vorbild vor allem Kinder dafür sensibilisieren soll, wie feinfühlig Körper und Geist auf Musik reagieren können, selbst wenn diese nicht „gehört" wird. In deutscher Übersetzung und unter der Regie von Antje Siebers feierte das Stück am Freitag seine Dortmunder KJT-Premiere.

Schlagzeug-Soli bringen den Zuschauerraum zum Vibrieren

Die Geschichte der jungen Evelyn (gespielt von Ann-Kathrin Hinz) beginnt auf einem Bauernhof, wo sie zusammen mit ihrer Familie - Mutter (Bettina Zobel), Vater (Andreas Ksienzyk), zwei ältere Brüder - frei nach ihren Launen lebt.

Bis zu dem Punkt, als sie fahrradfahrend feststellt, dass die Welt um sie herum sich allmählich verändert. Das, und dass sie zunehmend von Ohrenschmerzen geplagt wird. Wenige Jahre später ist sie beinahe vollständig taub, ihr Sensorium für Vibrationen dafür umso feiner ausgeprägt. Nicht nur in der Schule schafft sie es deshalb bis ins Orchester; als Percussionistin, die aus ihrem Körper heraus eine ganz eigene Musik erschafft.

Evelyn (Ann-Kathrin Hinz) wird von ihren Eltern (Andreas Ksienzyk, Bettina Zobel) nach einem Zusammenbruch gepflegt.

Evelyn (Ann-Kathrin Hinz) wird von ihren Eltern (Andreas Ksienzyk, Bettina Zobel) nach einem Zusammenbruch gepflegt. © Florian Dürkopp

Hinz, die aktuell in fünf Produktionen des KJT zu sehen ist, ist in der Rolle der Evelyn auf dem Kornspeicher, im Schneesturm, beim Ohrenarzt, hinter Trommel-Bergen und vor ärgernden Brüdern (Max Ranft, Thomas Ehrlichmann) zu sehen. In der Kulisse zwischen großen, stoffbespannten Rahmen, die wie Leinwände mit Projektionen bespielt werden können, nutzt sie dabei jeden Freiraum, um sich durch alle erdenklichen Emotionen zu katapultieren.

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Und dann wäre da noch das Schlagzeug. Gespielt von der bekannten Percussionistin Mariá Portugal bringt es an dem Abend die Luft wortwörtlich zum vibrieren. Bei der Mischung aus Xylophon- und Schlagzeug-Rhytmen vergisst der Zuschauer zeitweise, dass beides von einer Person gespielt wird. Das animiert das Publikum zum Mitstampfen.

Ob die anwesenden Kinder am Ende ihr (hoffentlich intaktes) Gehör mehr wertzuschätzen wissen, oder besser noch: gelernt haben, dass auch ein gehörloser Mensch nicht vom Musikgenuss ausgeschlossen sein muss, ist wohl nur zu ahnen. Für den Abend schienen sie jedoch bestens unterhalten. Weitere Informationen zum Stück und der Spielplan des KJT sind zu finden unter www.theaterdo.de.