Es ist der Alptraum aller Eltern: Das eigene Kind hat einen Unfall auf dem Spielplatz, schreit und blutet stark.
Elisabeth Braun hat eine solche Situation kürzlich erlebt: Sie war mit ihrem Sohn Ragnar an ihrem Lieblingsspielplatz in Westerfilde, als der Zweijährige plötzlich stolperte. Er fiel nach vorne - und landete mit dem Gesicht auf einer Bordsteinkante, die den Weg neben dem Spielplatz von einem höher gelegenen Rasenstück abgrenzt.
„Er schrie wie am Spieß“, erzählt Braun. „Der Mund war voller Blut.“ Er verschluckte sich am eigenen Blut und erbrach es sofort wieder. „Ich hatte Panik“, erinnert Braun. Also rief sie den Notruf.
Am anderen Ende der Leitung ging ein Mann dran. Er sei ruhig gewesen, habe sich die Situation schildern lassen, erzählt Braun. Sein anschließendes Urteil bringt die 32-jährige Mutter heute noch in Rage: „Er sagte mir, dass das kein Notfall sei und ein Krankenwagen frühestens in anderthalb Stunden kommen könne.“ Stattdessen fragte er Braun, ob sie auf anderem Wege ins Krankenhaus fahren könne, etwa mit einem Taxi oder mit einem eigenen Auto.
Geld für Taxi habe sie nicht dabeigehabt, sagt Braun im Gespräch mit unserer Redaktion, ein eigenes Auto ebenso wenig. Ihr sei aber eine Bekannte eingefallen, die sie fahren konnte. Zehn Minuten später war diese am Spielplatz und brachte Braun und Sohn Ragnar ins Krankenhaus. Dort stellten sich die Verletzungen des Zweijährigen als nicht so schlimm heraus: Alle Zähne waren dringeblieben, am Tag danach erinnerten nur noch eine dicke Lippe und eine Schürfwunde am Kinn an den Sturz.
Feuerwehr prüfte Fall intern
Ihren Frieden hat Elisabeth Braun jedoch immer noch nicht gemacht mit dem Vorfall: „Man möchte sofort Hilfe und bekommt dann zu hören, dass das kein Notfall ist“, sagt sie. „Ich habe mich voll im Stich gelassen gefühlt.“
Am Tag nach dem Unfall, dem 16. November, konfrontieren wir die Feuerwehr Dortmund, die auch für den Rettungsdienst und den Notruf 112 zuständig ist, mit Brauns Kritik. Die Behörde wertet sie als offizielle Beschwerde und leitet eine interne Untersuchung ein. Brauns Notruf ist - wie alle Notrufe - aufgezeichnet worden, der Leiter der Leitstelle hört ihn sich an. Auch wird der zuständige Mitarbeiter nochmals zum Gespräch befragt.

Knapp zwei Wochen nach unserer Anfrage gibt es eine Rückmeldung von der Feuerwehr: Die interne Prüfung sei abgeschlossen worden. „Aus unserer Sicht lag kein Fehlverhalten vor“, sagt Feuerwehrsprecher André Lüddecke.
Bei allen Anrufen beim Notruf geht es für den Rettungsdienst um eine entscheidende Frage: Liegt eine lebensbedrohende Verletzung vor? Wenn ja, klassifiziert ihn die Leitstelle als Notfall und schickt sofort einen Rettungswagen. In 90 Prozent aller Fälle sei dieser dann innerhalb von acht Minuten am Ort des Geschehens. Im Schnitt kommt es in Dortmund täglich bei 200 Anrufen zu einer solchen Entscheidung.
Notruf anrufen war richtig
Nicht jedoch bei Ragnar. Also griff das Standard-Prozedere: Der Mutter wurde ein Transport mit einem normalen Krankenwagen angeboten, was bis zu zwei Stunden dauern könne. Als sich dann im weiteren Gespräch herausstellte, dass Elisabeth Braun einen Privattransport ins Krankenhaus organisieren konnte, war die Sache für den Rettungsdienst erledigt.
Dass eine solche Antwort einer Mutter mit einem blutenden und schreienden Kind übel aufstößt, kann man bei der Feuerwehr zwar nachvollziehen. Aber ein Notfall sei eben erst dann ein Notfall, wenn es eine lebensbedrohliche Situation gebe.
Dennoch sei es richtig von Braun gewesen, den Notruf zu wählen, betont Lüddecke - so habe Fachpersonal den Fall bewerten können. Und hätte sich die Situation von Ragnar verschlechtert, wäre auch ein erneuter Anruf gerechtfertigt gewesen. „Lieber zweimal anrufen als keinmal“, sagt der Feuerwehrmann.
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