Keine Lösung für Probleme in der Pflege

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Keine Lösung für Probleme in der Pflege

rnAllgemeine Dienstpflicht

Die Politik diskutiert: Zurück zur Wehrpflicht und zum Dienst an der Gesellschaft? Und diesmal für alle jungen Menschen nach dem Schulabschluss? Die Redaktion hat Praktiker vor Ort gefragt.

Dortmund

, 10.08.2018, 19:21 Uhr / Lesedauer: 3 min

Die Debatte über eine allgemeine Dienstpflicht für alle Schulabgänger in Deutschland, losgetreten von CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer und der Jungen Union, ruft in Dortmund eine weitgehend einheitliche Resonanz hervor. Könnte ein „verpflichtendes Gesellschaftsjahr“ ein Lösungsansatz für die Probleme in der Pflege sein? Bestenfalls bleibt Stirnrunzeln zurück, wie eine Kurz-Umfrage der Redaktion zeigt.

Ersatz für Zivildienst

Zur Erinnerung: Zum 1. Juli 2011 war der Bundesfreiwilligendienst (BFD/ „Bufdis“) als Ersatz für den Zivildienst eingeführt worden. Das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) geht auf einen Aufruf des späteren Landesbischofs aus Bayern, Hermann Dietzfelbinger, im 100. Jahr des Diakoniewerks, 1954, zurück. Beide Dienste werden nur mit einem Taschengeld von 336 Euro vergütet, es gibt viele Übereinstimmungen bei den Aufgabenfeldern und nur wenige Unterschiede. So gilt zum Beispiel beim FSJ eine Altersgrenze von 27, beim BFD dagegen gibt es keine.

Gesellschaftlicher Zusammenhalt

Die Rückkehr zur Wehrpflicht oder die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht wird nun seit Tagen heftig diskutiert in der Republik. Für CDU-Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer ist sie ein geeignetes Mittel, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken.

Der Geschäftsführer des Caritasverbandes in Dortmund, Georg Rupa, hält nichts von einem verpflichtenden Jahr. „Ich setze auf Freiwilligkeit“, sagt Rupa und ergänzt, mit dem derzeitigen Grundgesetz sei ein solches verpflichtendes Jahr auch gar nicht vereinbar. Nicht ohne Wiedereinführung der Wehrpflicht. „Wir haben in der Pflege einen Mangel an Fachkräften“, so Rupa, der ließe sich nicht mit einem verpflichtenden Dienstjahr, sondern nur mit besseren Rahmenbedingungen für Pflegekräfte beheben. Diese müssten aber auch für die Freiwilligen verbessert werden, zum Beispiel durch eine Erhöhung des Taschengeldes.

Erfahrung fürs Leben

Der Caritasverband in Dortmund beschäftigt aktuell 25 „Bufdis“ und 75 junge Frauen und Männer im Freiwilligen Sozialen Jahr. Sie begleiten vorwiegend behinderte Kinder und Jugendliche in Schulen und in Wohnheimen. Alle müssen an Seminaren teilnehmen. Geschäftsführer Rupa hat die Erfahrung gemacht: „80 Prozent unserer jungen Menschen in der freiwilligen Arbeit sagen nach Beendigung ihrer Dienste, sie hätten auf diese Erfahrung im Leben nicht verzichten wollen.“

Pflege ernsthaft denken

Von dem diskutierten Gesellschaftsjahr für alle hält auch Martin Kaiser nichts. Der Geschäftsführer der acht städtischen Seniorenheime sagt: „Immer dann, wenn der Gesetzgeber etwas verpflichtend darstellt, bringt das für uns als soziale Einrichtungen nichts.“ Kaiser meint damit, wer sich für einen sozialen Beruf entscheide, müsse das aus seinen Herzen heraus tun. „Das kann nicht verordnet werden“, sagt er und ergänzt: „Man muss Pflege ernsthaft denken. Wir als Gesellschaft müssen viel tun für das Image der Pflegeberufe.“ Die Seniorenheime bilden jährlich zwischen 40 und 60 Auszubildende aus. Als es noch Zivildienstleistende gab, standen immer 18 bis 20 Zivis in Diensten der Seniorenheime. Unter den „Bufdis“ sind es im Schnitt nur zwei pro Jahr.

Freiwillig sei besser

Der Arbeitsdirektor des Klinikums, Ortwin Schäfer, hält von einem Pflichtjahr persönlich ebenfalls nichts: „Weil man Menschen zu etwas zwingt, wozu sie kein Interesse haben.“ Schäfer sagt, das habe man mit dem Wehrdienst und Zivildienst lange genug gehabt. Das Freiwillige Soziale Jahr sei viel besser. „Auch wenn die FSJ-ler das Jahr oftmals zum Überbrücken nutzen, sie wollen freiwillig mithelfen, sind ehrlich interessiert und daher für das Stammpersonal eine gute Unterstützung“, so der Arbeitsdirektor.

Im Durchschnitt sind an beiden Klinikum-Standorten in Mitte und Nord 60 „Bufdis“, in etwa so viel wie früher Zivis, und zwischen 40 und 50 FSJ-ler beschäftigt. Für die Krankenhäuser wäre „noch mehr Hilfspersonal“, wie Schäfer sagt, aber keine Lösung, denn sie bräuchten vor allem qualifiziertes Fachpersonal. „Mit einer Hilfskraft können Sie die Fachkräfte zwar unterstützen, aber verantwortlich keinen Patienten fachlich betreuen.“

Hilfreiche Unterstützung

In den Einrichtungen der Katholischen St.-Johannes-Gesellschaft arbeiten aktuell 55 „Bufdis“ (45 in den Krankenhäusern und 10 in den Senioreneinrichtungen). Dazu kommen im Jahr noch an die 600 unterschiedlichste Praktikanten, die in allen Bereichen arbeiten, vor allem in der Pflege, aber auch in der technischen Abteilung oder Verwaltung. „Wir erfahren dadurch eine hilfreiche Unterstützung, jedoch muss berücksichtigt werden, dass es meistens Menschen sind, die ohne Kenntnisse dieser Berufe zu uns kommen. Daher übernehmen sie zunächst keine qualifizierten Aufgaben, sondern unterstützen die Mitarbeiter durch vorbereitende oder zureichende Tätigkeiten“, sagt Gudula Stroetzel, Sprecherin der Joho-Gesellschaft. Aus ihrer Sicht könnte das Gesellschaftsjahr eine gute Möglichkeit sein, vor allem einen Pflegeberuf kennenzulernen und junge Menschen für die Gesundheitsberufe zu gewinnen.

Geradezu Seltenheitswert haben „Bufdis“ in den beiden Dortmunder Knappschaftshäusern, die zum Verbund Klinikum Westfalen gehören. „Die haben wir nur im Einzelfall, aktuell nur einen“, sagt Krankenhaus-Sprecher Klaus-Peter Wolter. Ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr würde bezogen auf die vielfach diskutierten Wünsche nach einer Stärkung der Pflege von Matthias Dieckerhoff wenig helfen. In den Krankenhäusern würden qualifizierte Kräfte benötigt, die sich selbstständig um Patienten kümmerten, so der Pflegedirektor.

Aktuell (Stand 10. August) befinden sich in Dortmund 274 Bundesfreiwillige im Dienst. Der August gilt aber traditionell als Übergangsmonat, viele Freiwillige starten im September.