Sternenkind. Ein Kind, das vor, während oder kurz nach der Geburt stirbt. Ein Wort, bei dem so viel Trauer mitschwingt, dass einem das Herz sofort schwer wird. Ein Verlust, der so unfassbar groß ist, dass man eigentlich nicht darüber reden möchte.
Und dann spricht man mit Katja Rendl. Und plötzlich ist da bei diesem schweren Thema so viel Wärme, sogar Leichtigkeit. Man hört ein Lächeln mitschwingen, wenn sie von ihren Einsätzen erzählt.
Katja Rendl fotografiert ehrenamtlich Sternenkinder. Mal kurz nachdem sie gestorben sind. Mal auch genau in dem Moment, in dem ihr Herz aufhört zu schlagen. „Natürlich wird da ganz viel geweint, da ist viel Schmerz, viel Trauer - aber da ist immer auch ganz viel Liebe“, sagt die Essenerin.
Triggerwarnung: Im weiteren Text eingebettet sind auch zwei Bilder der Fotografin von Sternenkindern.
Erinnerungsfotos für die Eltern
Liebe möchte die 40-Jährige, die früher als selbstständige Fotografin gearbeitet hat, mittlerweile aber einem anderen Beruf nachgeht, in ihren Bildern einfangen. „Wir wollen die Erinnerung festhalten, das ist unser Geschenk an die Eltern.“
Für die Stiftung „Dein Sternenkind“, der Eltern von Sternenkindern hochwertige Erinnerungsfotos ihrer verstorbenen Kinder anbietet, fährt die Essenerin seit einigen Jahren Einsätze. Hunderte sind es mittlerweile. Viele führten sie nach Dortmund. „Als ich angefangen habe, dachte ich, ich fahre einmal im Quartal zu einem Einsatz.“
Mittlerweile weiß sie es besser. Sehr oft erhalten die „Dein-Sternenkind“-Fotografen Anfragen: „Wir haben im Ruhrgebiet täglich Alarme. Ich hätte früher nie gedacht, wie viele Babys einfach sterben. Wie oft ein kleines Herzchen einfach stehen bleibt - und wir können nichts dagegen machen.“

Gegen den Tod kann sie nichts ausrichten. Aber sie kann den Eltern etwas Wertvolles mitgeben: Die ersten und die letzten Fotos ihres Kindes. Detailaufnahmen vom Gesicht, von Händen und Füßen macht Katja Rendl bei jedem Einsatz.
„Es ist unfassbar faszinierend - diese Kinder sind fertige Menschen, die sind einfach nur winzig klein.“ Die allermeisten Kinder, die die Sternenkind-Fotografen ablichten, sind zwischen den 14. Schwangerschaftswoche und dem normalen Geburtstermin zur Welt gekommen. Mal hört ihr Herz schon im Bauch der Mutter auf zu schlagen. Mal kommen sie lebend zur Welt, aber es ist klar - ihre Zeit ist sehr begrenzt.
Für Fotos Berührungsängste abbauen
Die kleinsten der Sternenkinder sind nur wenige Zentimeter groß, nicht mal 50 Gramm schwer. Das mag ein Grund sein, warum die Eltern manchmal Berührungsängste haben. „Es ist für alle Beteiligten eine absolute Ausnahmesituation.“ Und das spiegelt sich natürlich auch im Verhalten der Eltern wider, wenn Katja Rendl in den Kreißsaal oder das Krankenhauszimmer kommt.
„Manchmal sitzt der Papa auf einem Stuhl, die Mama liegt im Bett. Und das Körbchen mit dem Sternenkind steht am anderen Ende des Raums.“ Dann versucht die 39-Jährige, Berührungsängste zu nehmen, um Fotos zu ermöglichen, die die Verbindung zwischen Eltern und Sternenkind zeigen.
„Nachdem ich mich vorgestellt habe, frage ich, ob ich zum Sternenkind hingehen darf. Ich sage dann immer zwei, drei Sätze zum Kind, berühre das kleine Mäuschen - oft bricht es das Eis, wenn da jemand von außen kommt, der ein bisschen Normalität reinbringt.“

Der größte Teil der Eltern habe ihr Kind dann irgendwann im Arm, in den Händen. Und es entstehen neben Detailaufnahmen auch Fotos von den Eltern zusammen mit ihrem Kind. „Spätestens, wenn man über Ähnlichkeiten spricht - von wem hat die kleine Maus die Nase? Von wem die Zehen? - dann lächeln die meisten Eltern.“
Aber es fließen auch Tränen, immer wieder. Jeder Einsatz ist für die Fotografin hochemotional und einige hängen ihr lange nach. Zum Beispiel, wenn sie miterlebt, wie das Kind stirbt.
„Wir fotografieren auch Kinder, die mit einer schweren Erkrankung zur Welt kommen. Die sind an Maschinen angeschlossen, werden beatmet, es wird therapiert. Und dann kommt der Zeitpunkt, wo man sagt, die Reise ist hier zu Ende.“
Sternenkinder sollen kein Tabu sein
Wenn die Maschinen abgestellt werden, der Beatmungsschlauch entfernt ist, gebe es oft einen kleinen Moment, in dem das Kind lebt, ohne an Schläuchen zu hängen. „Es gibt Eltern, die diesen Moment allein mit ihrem Kind haben wollen. Aber es gibt auch welche, die davon Fotos möchten.“
Oft bleibt dafür nur wenig Zeit. „In der Regel versterben diese Kinder sehr schnell.“ Aber es gibt Ausnahmen: „Manchmal schlägt das Herz noch eine ganze Weile.“ Sechs Stunden Wartezeit auf den Tod - das war die längste Zeitspanne, die Katja Rendl ein kleines Mädchen und seine Eltern begleitet hat.
„Das sind Einsätze, die nimmt man mit. Hautnah dabei zu sein, das ist schon etwas sehr besonderes.“ Und da schwingt wieder ein Lächeln mit, als die Essenerin erzählt. Vielleicht, weil sie weiß, wie wichtig es für Eltern ist, die Erinnerung an ihr Kind auf Fotos festzuhalten. „Auch wenn Sternenkinder oft als Tabuthema behandelt werden: Diese Kinder gibt es. Die Erinnerung aufrecht zu erhalten ist so wichtig für die Eltern.“

Aber bei allem Wissen um die Sinnhaftigkeit ihrer Aufgabe: Es gibt Fälle, die Katja Rendl belasten. „Einsätze, wo das Kind gelebt hat, die Eltern gekämpft und gehofft haben. Dieses Bewusstsein, das Kind gehen lassen zu müssen, daran knabbere ich lange. Oder Eltern, die schon mehrere Sternenkinder haben, aber noch kein Kind an der Hand. Wie ungerecht ist das?“
Ganz andere Gedanken, eine ganz andere Stimmung herrscht, wenn die Sternenkind-Fotografin zu ihren Lieblings-Einsätzen fährt. Auch, wenn das Wort in diesem Zusammenhang vielleicht zunächst befremdlich klingt und die Konstellation, die Katja Rendl so gern hat, ebenfalls belastend klingt.
„Ich fotografiere unfassbar gerne Einsätze mit Geschwisterkindern. Die sind oft völlig unbekümmert. Sie fassen das gestorbene Geschwisterchen einfach an, wo Eltern vielleicht noch Berührungsängste haben. Oder wir ziehen das Sternenkind dreimal um, weil die Socken laut großer Schwester nicht zum Mützchen passt.“
Sternenkind-Geschichte für Geschwister
Allen Geschwisterkindern gibt Katja Rendl eine Geschichte mit auf den Weg: Von dem Kind, das zu krank war, um zu leben, nun zu den Sternen gereist ist und zum hellsten Stern am Nachthimmel wird.
Für Kinder scheinbar eine Geschichte, die das Gefühl vermittelt, ihr gestorbenes Geschwisterchen ist gut aufgehoben. Lachend erzählt Katja Rendl von einem Jungen, der im Krankenhaus den endgültigen Abschied von seinem gestorbenen Bruder ganz pragmatisch kommentierte: „Der Marius ist doch jetzt bei den Sternen. Können wir jetzt bitte Pommes mit Ketchup essen gehen?“
Die tröstende Vorstellung könne später aber auch im Familienalltag weiterhelfen: „Eltern erzählen manchmal, dass die Geschwisterkinder abends vorm Einschlafen den hellsten Stern am Himmel suchen.“
Und wenn dieser Anblick nicht reicht, dann helfen vielleicht die Fotos des Sternenkinds weiter, die Katja Rendl den Familien schenkt.
Die Initiative „Dein Sternenkind“ bietet Eltern von Sternenkindern kostenlose Fotos ihrer Kinder an. Die Ehrenamtlichen fotografieren Sternenkinder und
Frühchen, die den Weg in die Welt nicht erleben durften, sowie Kinder, die an plötzlichem Kindstod verstorben sind. Üblicherweise befinden sich die Kinder zwischen der 14. SSW und dem normalen Geburtstermin. Es gibt aber immer Ausnahmen.
Über die Internetseite der Initiative kann man Kontakt aufnehmen: www.dein-sternenkind.eu und auch direkt einen Fotografen anfordern.
„Dein Sternenkind“ sucht immer nach (Hobby-)Fotografen, die ehrenamtlich tätig werden wollen - Informationen dazu gibt es ebenfalls auf der Internetseite.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 7. Januar 2024.
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