Bianca D. ist Mutter eines sogenannten Sternenkinds - sie verlor ihren Sohn Emilian in der 15. Schwangerschaftswoche.

Bianca D. ist Mutter eines sogenannten Sternenkinds - sie verlor ihren Sohn Emilian in der 15. Schwangerschaftswoche. © Schaper

Bianca erlebte eine Fehlgeburt: „Emilian wird immer ein Teil von uns sein“

rnSchicksalsschlag

Eine Fehlgeburt - diesen Alptraum aller werdenden Eltern hat Bianca D. erlebt. Die Dortmunderin erzählt ganz offen vom großen Schock als sie erfuhr: Ihr ungeborener Sohn Emilian lebt nicht mehr.

Dortmund

, 26.06.2022, 18:00 Uhr / Lesedauer: 6 min

Wenn man Bianca D. fragt, wie viele Kinder sie hat, sagt sie: vier. Und doch sitzen nur drei Kinder am Tisch, wenn die Familie zum Essen zusammenkommt: Luca (14), Matteo (8) und Nesthäkchen Ella (1). Emilian, so heißt ihr viertes Kind, ist aber immer präsent: Sein Name steht auf einem Holzstern, der an der Lampe über dem Tisch hängt. Ein Sternchen inmitten der Familie.

Emilian ist der Grund, warum Bianca D. (38) auf die Frage, wie viele Kinder sie hat, nie eine ganz einfache Antwort geben kann. „Vier – aber mein viertes Kind ist während der Schwangerschaft gestorben“, so lautet ihre vollständige Antwort.

Mit 35 schwanger: „Man liest von Risikoschwangerschaften“

Emilians kleines Herz schlug nur wenige Wochen im Bauch seiner Mutter: In der 15. Schwangerschaftswoche hörte es auf zu pochen - die Dortmunder Familie erlebte den Alptraum aller werdenden Eltern: Eine Fehlgeburt.

Im Oktober 2019 freuen Bianca D. und ihr Mann Christian (41) sich über einen positiven Schwangerschaftstest. Zwei problemlose Schwangerschaften hat die Dortmunderin da bereits hinter sich: Als sie ihren ersten Sohn Luca bekommt, ist sie 24, beim Zweitgeborenen Matteo Anfang 30. In ihrer dritten Schwangerschaft, mittlerweile 35 Jahre alt, merkt sie aber, dass der anfängliche Grundoptimismus schnell Risse bekommt.

„Man liest plötzlich vermehrt über Risikoschwangerschaften ab 35. Die Ärzte oder auch Broschüren klären auf, dass ab diesem Alter bestimmte Risikofaktoren bestehen und weitere Untersuchungsmöglichkeiten angeboten werden.“ So entscheidet sich das Paar auch für die empfohlene Pränataldiagnostik.

Beim Ultraschall: „Mein Herz begann schneller zu klopfen“

Zwei Tage vorher steht noch ein Routinecheck bei der Frauenärztin an: „Da habe ich noch gesehen, wie er sich bewegt.“ Emilian ist sehr aktiv, die Frauenärztin lacht, als man eine Handbewegung auf dem Ultraschallmonitor sehen kann: „Schauen sie mal, er winkt ihnen!“

Von dieser Leichtigkeit ist in der Pränatalpraxis nichts mehr zu spüren. In der 15. Schwangerschaftswoche soll hier abgeklärt werden, ob sich das Kind normal entwickelt oder es Auffälligkeiten gibt. Als die Untersuchung beginnt, zu der ihr Mann sie begleitet, dominiert bei Bianca D. der Gedanke: „Sag einfach, es ist gesund, es ist alles in Ordnung.“

Ein Holzstern, an dem winzige Babysöckchen hängen - die Erinnerung an Sternenkind Emilian ist im Leben seiner Familie allgegenwärtig. Der Stern hängt über dem Esstisch.

Ein Holzstern, an dem winzige Babysöckchen hängen - die Erinnerung an Sternenkind Emilian ist im Leben seiner Familie allgegenwärtig. Der Stern hängt über dem Esstisch. © Schaper

Nach einem Blick auf den Monitor sagt die Ärztin: „Oh, er liegt ja mit dem Kopf nach unten.“ Die Schwangere wird unruhig: „Da dachte ich schon: Diese Haltung ist also etwas Besonderes, nicht üblich vielleicht, und mein Herz begann schneller zu klopfen.“

Die Ärztin sagt dann eine Weile nichts, führt die Untersuchung schweigend durch. Als sie merkt, dass ihre Patientin immer unruhiger wird, schaltet sie den Monitor aus und sagt: „Ich habe jetzt eine ganz, ganz schlechte Nachricht für sie.“

Kein Herzschlag: „Meine Welt war zusammengebrochen“

Bianca D. versucht sich innerlich zu wappnen: „Ich hatte bis dahin gar nicht realisiert, dass kein Herzschlag zu sehen war. Ich habe nur gedacht: Was hat sie herausgefunden? Fehlt eine Hand? Alles nicht schlimm, wir können mit allem leben.“

Der nächste Satz der Ärztin lässt sie ins Bodenlose stürzen: „Ich finde keine Herztöne.“ Noch auf der Liege kommen der Dortmunderin Tränen. „Da war meine Welt zusammengebrochen.“

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Neben den Tränen ist auch sofort eine Frage präsent: Warum? „Ich habe meinen Mann die ganze Zeit gefragt: Warum? Warum ist das passiert? Warum lebt unser Kind nicht mehr?“ Die Hilflosigkeit der Situation merkt man Christian D. auch jetzt, mit über zwei Jahren Abstand noch an: „Man hat in diesem Moment selbst keine Erklärung dafür.“

Zur Geburt ins Krankenhaus: „Schaffe ich das?“

Die Ärztin vermutet, dass Emilian am Tag vor der Untersuchung gestorben ist. Bianca D. schießt das Bild aus der Ultraschalluntersuchung zwei Tage zuvor in den Kopf. „Dieses Winken - da hat er sich verabschiedet.“

Für den ersten Schritt des Abschiednehmens von ihrem ungeborenen Kind bleibt ihr zumindest noch ein ganzes Wochenende. Nach einem längeren und einfühlsamen Gespräch bei ihrer niedergelassenen Frauenärztin stehen noch am Tag der schrecklichen Nachricht zwei Dinge fest: Erst am Montag geht es ins Krankenhaus.

Und: Emilian wird aufgrund der bereits fortgeschrittenen Schwangerschaftsdauer auf natürlichem Weg zur Welt kommen müssen. Eine Ausschabung ist aus medizinischer Sicht nicht mehr ratsam.

Die Vorstellung macht der Dortmunderin Angst: „Schaffe ich das? Wo soll ich die Kraft hernehmen? Ist es nicht vielleicht möglich, unser Kind durch einen operativen Eingriff zur Welt zu bringen?“ Diese Gedanken begleiten die Schwangere das Wochenende über.

Schlaf und Ruhe zu finden, ist in den nächsten Tagen kaum möglich. Immer wieder kreisen die Gedanken um Emilian, darum, das bisher Erlebte zu verarbeiten und Antworten für Unerklärliches zu finden.

Brüder erfahren von der Fehlgeburt: „Nicht vorstellbar“

Neben der eigenen Trauer muss das Paar auch eine weitere große Herausforderung meistern; Emilians Geschwistern beibringen, dass ihr Brüderchen gestorben ist. Während ihren ältesten Sohn die Trauer gleich voll trifft, ist der jüngere Matteo zunächst verunsichert: „Dass unsere Schwangerschaft ein vorzeitiges Ende nimmt, ein Kind bereits im Bauch sterben kann – das war für Matteo bis dahin nicht vorstellbar“, erinnert sich Bianca D. an die erste Reaktion des damals 5-Jährigen.

Gemeinsam mussten Bianca und Christian D. den Verlust ihres Sohnes Emilian bewältigen - auch wenn sie mit der Trauer unterschiedlich umgingen. „Man muss akzeptieren, dass das jeder auf seinem Weg verarbeitet, aber kann es trotzdem gemeinsam durchstehen“, so die Dortmunderin.

Gemeinsam mussten Bianca und Christian D. den Verlust ihres Sohnes Emilian bewältigen - auch wenn sie mit der Trauer unterschiedlich umgingen. „Man muss akzeptieren, dass das jeder auf seinem Weg verarbeitet, aber kann es trotzdem gemeinsam durchstehen“, so die Dortmunderin. © Schaper

Nach dem Wochenende steht für das Paar die nächste extreme Aufgabe an: Es geht ins Krankenhaus, um ihren toten Sohn zur Welt zu bringen. Bianca D. ist weiterhin voller Zweifel: Kann sie die Kraft dafür aufbringen - im Wissen, nach der Geburt kein lebendiges Kind im Arm zu haben?

Letztlich fällt ihr die Entscheidung aber leicht, denn die Ärztin spricht nochmal das aus, was sie eigentlich bereits weiß: Bei einer Ausschabung würde Emilians Körper nicht unversehrt bleiben. Er ist schon zu groß. „Da war mein Gedankengang ganz klar: Er soll auf keinen Fall Schaden nehmen. Das war Emilians Weg, er wollte so lange wie möglich bei uns bleiben - und nun bekommt er auch diese Geburt.“

Extremsituation Geburt: „Ich konnte das alles nicht begreifen“

Die Geburt wird am Montagvormittag eingeleitet, es dauert 24 Stunden, bis die Wehen einsetzen. Dann allerdings geht es schnell - in den Kreißsaal schafft Bianca D. es nicht mehr. Emilian kommt am 21. Januar 2020 an einem Dienstagvormittag in einem normalen Krankenhauszimmer zur Welt.

Eine Extremsituation für die Dortmunderin, der glücklicherweise aber eine sehr fürsorgliche Krankenschwester bestmöglich zur Seite steht. „Es war, als würde ich neben mir stehen, ich konnte das alles nicht begreifen“, versucht Bianca D. das unvorstellbare Gefühlschaos der ersten Minuten nach der Geburt zu beschreiben.

Die Krankenschwester kümmert sich rührend um Emilian, dessen winziger Körper nur etwa 50 Gramm wiegt, und seine Eltern. „Wir durften ihn dann zu uns nehmen und ganz in Ruhe Abschied nehmen. So viel Zeit wie wir wollten, haben wir bekommen.“

Abschied vom Sternenkind: „So viele Gefühle gleichzeitig“

Das Paar bewundert das kleine Wunder, dessen Herz viel zu früh aufgehört hat zu schlagen: „Ein komplettes Kind, nur viel zu klein und viel zu leicht. Aber ein richtiges Kind, ein Mensch, egal wie klein, wie groß, wie schwer.“ Seine Eltern versuchen die erste Schwemme der Gefühle zu verarbeiten, machen Erinnerungsfotos.

„Ich hätte nie gedacht, dass man so viele Gefühle gleichzeitig haben kann - Trauer, Wut auf das Leben, das uns genommen wurde. Aber auch froh sein, dass er bei uns sein konnte, für die Geburt, dass er uns diesen Moment geschenkt hat, eine normale Geburt zu erleben.“

Doch dann kommt der Moment, in dem seine Eltern endgültig Abschied nehmen: „Irgendwann war uns klar: Nun müssen wir ihn endgültig gehen lassen. Wir haben uns nochmal verabschiedet, ihm unsere Liebe mit auf den Weg gegeben und dann war da auch das innere Gefühl, ihn loslassen zu können.“

Als das Paar das Krankenhaus verlässt, überwältigten es die Gefühle: „Wir haben realisiert, wir gehen ohne Kind nach Hause - das war ein Schub, mit dem ich nicht gerechnet hätte“, sagt die Dortmunderin.

Beerdigung mit anderen Sternenkindern: „Er ist nicht allein“

Der Weg zurück in den Alltag ist lang: Ein wichtiger Schritt ist die Beerdigung. Bei einer Fehlgeburt mit einem Geburtsgewicht unter 500 Gramm können sich Eltern für eine Beisetzung entscheiden - entweder ganz individuell nach eigenen Wünschen. Oder für eine Gemeinschaftsbeisetzung auf dem Grabfeld für Sternenkinder auf dem Dortmunder Hauptfriedhof.

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Diesen Weg wählen Bianca und Christian D. „Ich fand diese Vorstellung schön, weil er dann nicht alleine ist, sondern zusammen mit anderen Sternenkindern“, so die 38-Jährige. Die weitere Trauerverarbeitung geht das Paar unterschiedlich an - ohne sich dabei gegenseitig aus den Augen zu verlieren. „Man muss akzeptieren, dass das jeder auf seinem Weg verarbeitet, aber kann es trotzdem gemeinsam durchstehen.“

Während ihr Mann das Thema eher allein mit sich ausmacht, spricht Bianca D. viel mit Freundinnen über ihre Erfahrung. Mittlerweile leitet sie sogar eine Trauergruppe für Eltern von Sternenkindern (siehe Infokasten unten).

„Natürlich startet man irgendwann wieder ins Leben, aber wir werden das nie vergessen. Emilian wird immer ein Teil von uns sein.“

Erneute Schwangerschaft: „Sorge hat mich stets begleitet“

Zu besonderen Daten kommen die Gefühle stärker hoch - beispielsweise als sechs Monate nach Emilians Geburt der eigentlich errechnete Entbindungstermin ansteht. Aber auch, als das Paar sich die schwierige Frage stellt, ob man noch mal ein Kind möchte.

Bianca D. ist klar: Völlig unbeschwert wird sie eine weitere Schwangerschaft nicht erleben können. Zu prägend ist der Verlust von Emilian. Und doch entscheidet sich das Paar, den Schritt erneut zu wagen: Einige Monate nach Emilians Geburt ist seine Mutter erneut schwanger.

Sehr willkommen, aber trotzdem nicht einfach ist diese Schwangerschaft. Weil die Angst, noch ein Kind zu verlieren, groß ist – und das die ganze Schwangerschaft über. „Die Sorge um mein noch ungeborenes Baby hat mich stets begleitet. Das hat mich nicht losgelassen.“

Familienbilder malen: Zwei Erwachsene - und vier Kinder

Jede Untersuchung bedeutet extremen Stress: „Der Moment vom Beginn der Untersuchung, bis man den ersten Herzschlag sah - das waren für mich jedes Mal Stunden“, beschreibt die 38-Jährige ihre Ängste.

Die mittlerweile glücklicherweise hinter ihr liegen: Nesthäkchen Ella kommt gesund zur Welt, ist mittlerweile über ein Jahr alt.

Wenn Matteo Bilder seiner Familie malt, gehört sein Bruder Emilian dazu - hier hat er das Sternenkind auf einer Wolke sitzend gemalt.

Wenn Matteo Bilder seiner Familie malt, gehört sein Bruder Emilian dazu - hier hat er das Sternenkind auf einer Wolke sitzend gemalt. © Dynewski

Emilian ist und bleibt ein Teil seiner Familie. Das steht für alle außer Frage. Wenn sein Bruder Matteo Familienbilder malt, sind darauf immer zwei Erwachsene und vier Kinder zu sehen: Bianca und Christian, Luca, Matteo, Ella. Und – oben in einer Wolke sitzend - ihr Sternchen Emilian.

Hilfe nach einer Fehlgeburt

Trauergruppe „Sternenkinder - nur ein Hauch von Leben“

  • Im Dortmunder Zentrum Gezeiten für Hospiz-, Pallativ- und Trauerarbeit gibt es einen Gesprächs- und Kontakt-Treff für Eltern, die ihr Kind durch Fehlgeburt, Totgeburt oder in der ersten Lebenszeit verloren haben. In der Gruppe können Betroffene die Erfahrung machen, dass starke Gefühle und Irritationen gerade in der ersten Zeit der Trauer nicht ungewöhnlich sind. Sie erhalten Zustimmung und Verständnis oder bekommen durch Aussagen anderer Eltern, die Ähnliches erlebt haben, eine Bestätigung ihres eigenen Erlebens.
  • Der Einstieg ist jederzeit möglich, die Treffen finden 14-tägig, jeweils montags, 19 bis 21.15 Uhr, statt. Die Gruppe wird geleitet von Gabi Bokermann, systemische Familientherapeutin, und Bianca D.
  • Erstkontakt über das Zentrum Gezeiten: Birgit Steinhauer, Pfarrerin für Seelsorge und Trauerarbeit, Tel. (0231) 22962 622, birgit.steinhauer@ekkdo.de.
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