
© Peter Bandermann (Archiv)
Kampfmaschinen gegen Asoziale? Polizei wirft Fußballfans Abblocken von Dialog vor
Gewalt im Fußball
Regelmäßig kommt es zu riesigen Polizeieinsätzen rund um Fußballspiele, Tausende Menschen dürfen sich dann nicht frei bewegen. Ein neues Projekt soll für einen Perspektivwechsel sorgen.
Bewaffnete Kampfmaschinen in gepanzerten Anzügen gegen Asoziale, die aus Spaß an der Gewalt Unbeteiligte angreifen. Jeweils die anderen befeuern leichtfertig Eskalationen und gewalttätige Exzesse. So plakativ sehen viele Menschen die eine oder andere Seite in Konflikten rund um Fußballspiele.
Dabei ist es unmöglich, Tausende Beteiligte in irgendwelche Schubladen zu stecken. Dortmunder Berufsschüler haben sich mehr als ein Jahr lang mit dem Spannungsfeld zwischen beiden Lagern beschäftigt. Mit Unterstützung des Fanprojekts Dortmund und der Deutschen Fußball-Liga (DFL) entstand ein Kurzfilm, der auf beiden Seiten für Verständnis werben soll.
Überzogene Polizeieinsätze und Angriffe auf Beamte
„Perspektivwechsel“ ist das Stichwort, das bei dem Projekt im Mittelpunkt steht. Stefan Kalisch vom Fanprojekt steht im leeren Gästeblock des Dortmunder Stadions. Dort wo vor einem Jahr Polizisten und Berliner Fans mit Schlagstöcken und langen Stangen gegenseitig aufeinander eingeprügelt haben.
„Völlig überzogen“, sei der Einsatz gewesen, meint Kalisch. Die Fans hatten vorher Bengalische Feuer gezündet - dann zog die Polizei eine Fahne ein, die den Fans heilig ist. Es kam zur Eskalation mit roher Gewalt. In der nächsten Szene des Films sitzt ein Polizist im schweren Einsatzanzug vor den Schülern und erzählt, wie ihm als Reaktion auf seine Arbeit mal Radmuttern am Privatauto gelockert worden seien. Lebensgefährlich.
Das Thema Pyrotechnik ist eines der größten Streitthemen zwischen beiden Fronten. „Schweine-gefährliches Zeug“, sagt ein Polizist im Film. Er habe mal gesehen, wie jemand Blut ausgehustet habe, nachdem er den Qualm der mehr als 1000 Grad heißen Fackeln eingeatmet hatte. Stefan Kalisch sagt hingegen: „Es gibt pro Jahr deutlich mehr Verletzte durch polizeiliches Pfefferspray als durch Pyrotechnik.“
Die Polizei schlage willkürlich Fans und pferche sie wie Vieh zusammen, meinen Fans. Auf Videos ist dann wieder zu sehen, wie Chaoten Böller und Flaschen auf Polizisten werfen. Anzeigen gegen Polizisten würden fast immer eingestellt, organisierte Fans seien andersrum grundsätzlich eine potenzielle Gefahr für Unbeteiligte, ist zu hören.

Pyrotechnik sorgt immer wieder für Diskussionen. © dpa
Polizeipräsident Gregor Lange weiß, dass Ultras den Eindruck haben, die Polizei stehe ihnen gegenüber auf einer konkurrierenden Seite: „Das bedauere ich sehr“, sagt er: „Hinter den Uniformen stehen Menschen, die einfach für Sicherheit sorgen wollen.“
Umgekehrt sei es auch für Polizisten wichtig, sich in die Ultras hineinversetzen zu können, sagt der Behördenleiter. Es sei das große Ziel der Polizei, dass alle Fußballfans zusammen an Spieltagen Feste feiern. Während der Filmvorführung im Polizeipräsidium gibt es aber auch Polizisten im Publikum, die leise sarkastisch lachen und den Kopf schütteln, als die Rede von Polizisten ist, die im Einsatz Fehler machen.
Thomas Schneider ist bei der DFL für die Fanarbeit zuständig. „Wir schlafen nicht, sondern arbeiten ständig an der Sicherheit“, sagt er mit Blick auf ein Treffen von DFL, DFB und Innenministern vor wenigen Tagen. Erkenntnisse werden ausgetauscht, man setzt auf viel Dialog.
„Bis zum zehnten Lebensjahr ist der Polizist zusammen mit dem Feuerwehrmann bei Traumberufen von Jungs ganz vorne“, stellt er fest: „Bei Teenagern verändert sich dann aber etwas.“ Und kaum jemand wage es zu fragen, woran das liegt. Schneider meint, zum einen seien schlechte Erfahrungen Schuld, zum anderen fehlende Informationen über die Polizeiarbeit.
„Seit Jahren ist das Verhältnis stark belastet“
Thilo Danielsmeyer vom Dortmunder Fanprojekt sagt: „Seit Jahren ist das Verhältnis der aktiven Fanszene zur Polizei stark belastet.“ Es werde beiderseitig leider nur ganz wenig miteinander gesprochen. Die Polizei verallgemeinere Fehlverhalten bei Fans, die wiederum den Beamten zunehmende Repression und Unverständnis vorwerfen.
„Die Bemühung seitens der Polizei einen Kontakt herzustellen, hat kaum gefruchtet“, stellt Danielsmeyer fest. Also versuche das Fanprojekt die Haltung der Fans gegenüber der Polizei zu verdeutlichen - und andersherum die Sichtweisen der Polizei den Fans nahezubringen. Fragt man Beteiligte aus der Szene, warum sie nicht mit der Polizei reden wollen, werden sie sehr wortkarg. „Es herrscht ein großes Misstrauen“, sagt einer nur.
Ultras, also die, die im Stadion die meisten Lieder anstimmen und große Choreografien gestalten, vermeiden es, mit Polizisten oder auch Journalisten zu reden. Der Zusammenhalt der Gruppe ist ihnen so wichtig, dass er zu einer Abschottung nach außen führt.
Auffällig ist, dass die Begriffe „Ultra“, „aktive Fanszene“ und „gewaltbereite Fans“ auch vonseiten der Polizei manchmal durcheinandergeraten. Einfach gesagt: Aktive Fans gibt es sehr viele, das „Bündnis Südtribüne“ hat fast 3300 Mitglieder, die dem BVB zum Beispiel quer durch Europa zu Auswärtsspielen hinterherreisen. Deutlich weniger von ihnen bezeichnen sich als Ultras. Zu einer Gewaltbereitschaft gibt es keinen zwingenden Zusammenhang.
Fans sind es gewohnt, dass ihre Freiheit eingeschränkt wird
Es ist absolut einleuchtend, dass Polizisten in Schubladen denken müssen. Bei Demonstrationen oder Fußballspielen sehen sie große Menschenmengen vor sich - die werden zwangsläufig als potentielle Gefahr gesehen, wenn auch nur ein Angriff aus dieser Gruppe geschieht. Im Kurzfilm ist die Rede von einer „Güterabwägung der niedrigsten geeigneten Mittel“.
Fußballfans sind es gewohnt, dass ihre Bewegungsfreiheit bei Auswärtsspielen heftig eingeschränkt wird. Kommen sie an einem Bahnhof an, werden sie häufig geschlossen in Polizeibegleitung zum Stadion eskortiert - da dürfen sie nicht einmal fünf Minuten allein in einen Supermarkt, um Getränke zu holen. Zur Gefahrenabwehr. Das trifft auch Familien, die zufällig mit schwarzen Schafen im selben Zug sitzen.

Die Polizei führt Hunderte Schalker Fans durch die Innenstadt zum Dortmunder Hauptbahnhof. © Peter Bandermann (Archiv)
Die Polizei hat solche Sicherheitskonzepte ins Leben gerufen, weil sie nötig wurden. Weil Geschäfte in der Vergangenheit von Fan-Horden geplündert wurden und weil es regelrechte Straßenschlachten mit gegnerischen Fans gab. Das ist kein Dortmunder Problem.
Wie könnte die Polizei anders handeln? Straftäter müssen einzeln bestraft werden, doch viele Fangruppen schützen sich untereinander und gegenseitig. So kommt es mindestens zu Handgreiflichkeiten, wenn Polizisten jemanden festnehmen wollen, der in der Gruppe untertaucht.
Die Anonymität ist ein zentrales Problem
Eines der zentralen Probleme bei Fußball-Krawallen ist die Anonymität. Polizisten werden uniformiert als „der Staat“ gesehen, unter Helmen sieht man ihre Gesichter nicht. Gewaltbereite Fans vermummen sich gleichzeitig bewusst, um der Strafverfolgung zu entgehen - dadurch werden auch sie zu einer diffusen Masse.
In dem Film des Paul-Ehrlich-Berufskollegs ist die Rede vom „Bedürfnis, sich zu einer großen starken Gruppe zugehörig zu fühlen“. Ein eigentlich urmenschliches Bedürfnis nach Sicherheit, das gefährlich werden kann, wenn sich die Fronten gegen andere große starke Gruppen zu stark verhärten. Die Moral des Films: „Wir haben immer eine Wahl.“
Kevin Kindel, geboren 1991 in Dortmund, seit 2009 als Journalist tätig, hat in Bremen und in Schweden Journalistik und Kommunikation studiert.
