Es war einer der herausforderndsten Einsätze, die Notfallseelsorger Kai Rothaupt erlebt hat: Eine Frau hatte gerade vom Tod ihres Mannes erfahren. Doch die Todesursache stand zunächst nicht fest. Noch während der 44-jährige Dortmunder in der Wohnung der Witwe war, stellte sich heraus, dass ihr Mann Suizid begangen hatte. Die Kriminalpolizei überbrachte die Nachricht, die der Frau vollständig den Boden unter den Füßen wegzog.
„Die Frau äußerte Suizidgedanken und verweigerte zunächst ärztliche Hilfe“, erinnert sich Kai Rothaupt. Drei Stunden später, die sie mit dem Notfallseelsorger verbrachte, hatte er es geschafft, die Frau zu überzeugen. Sie ließ sich von ihm in die LWL-Klinik begleiten.
Kai Rothaupt begleitet Menschen in Krisensituationen. Eine Kernaufgabe besteht darin, Menschen zu unterstützen, nachdem ihnen eine Todesnachricht überbracht wurde. Oftmals sind das hinterbliebene Ehepartner wie in dem oben geschilderten Beispiel.
Schreie, Stille, Trauer, Wut
Der 44-Jährige wird gerufen, wenn der Einsatzleiter vor Ort entschieden hat, dass Notfallseelsorge nötig ist. Wenn er vor einer Wohnungstür steht, weiß er nie, was ihn dahinter erwartet. Schreie, Stille, Trauer, Wut - alles ist möglich.
Kai Rothaupt überbringt selbst keine Todesnachrichten. Das übernimmt die Polizei. Aber der Notfallseelsorger ist dabei - und er bleibt, wenn Polizei oder Notarzt ihren Einsatz beendet haben.
Beim Überbringen einer Todesnachricht sei es wichtig, dass die betreffende Person sitzt, sagt Kai Rothaupt. Für den Fall, dass sie aufgrund des Schocks das Bewusstsein verliert. Schließlich soll sie sich nicht verletzen. Elementar sei auch, dass die Nachricht überbracht werde, bevor der Schock einsetzt. Die Polizei müsse sicher sein, dass der Empfänger oder die Empfängerin der Schreckensnachricht diese tatsächlich aufnehmen kann.
Eine Wohnung „lesen“
Kai Rothaupt erinnert sich an einen weiteren Einsatz, bei dem eine Frau vom Tod ihres Mannes erfuhr. Es war nachts, er traf sich mit den Polizisten vor der Tür des Hauses. Auch hier hatte der Mann Suizid begangen. Besonders dramatisch: In der Wohnung schlief der vierjährige Sohn des Paares.
„Die Witwe rief ihre Mutter an, die auch sofort vorbeikam, um zu unterstützen“, erzählt er. In der Wohnung erlebte er „zwei Stunden Schock, Wut und Trauer“ mit. Anschließend besprach er mit den beiden Frauen das weitere Vorgehen. Gegen 6 Uhr am Morgen habe die Witwe ihren Sohn geweckt und ihm die Nachricht vom Tod des Vaters überbracht.

Für Kai Rothaupt ist es wichtig, solche familiären Besonderheiten zu erkennen. Deshalb ist er darauf geschult, Wohnungen zu „lesen“. Stehen irgendwo Kinderschuhe? Was ist auf den Familienfotos zu sehen? Gibt es einen besonderen Background wie beispielsweise die Religionszugehörigkeit der Betroffenen?
Großes Netzwerk hilft
Die Tränen, die Trauer und Wut - all das muss der Notfallseelsorger „aushalten“ können, wie Kai Rothaupt es ausdrückt. „Egal, was passiert.“ Manche Menschen, die vom Tod einer ihr nahestehenden Person erfahren, flüchteten vor der Realität in den Alltag. Er habe schon erlebt, dass eine Hinterbliebene gleich zum Staubsauger griff, erzählt Rothaupt.
Seine Aufgabe im Einsatz: Angebote formulieren und Bedürfnisse der Angehörigen erfragen. Er kann auf ein großes Netzwerk zurückgreifen. Ansprechpartner sind beispielsweise die Feuerwehr, das Ordnungsamt und Jugendamt. „Wenn ich auf einem Einsatz bin und etwas benötige, bringt es mir die Feuerwehr“, erläutert er.
Wenn bei dem Gegenüber die Tränen fließen, tröstet Kai Rothaupt. Vielleicht hält er auch die Hand. Aber: „Wir leiden nicht mit“, sagt er über die Notfallseelsorge. „Ich bin keine Stütze mehr, wenn ich selbst leide.“ Das Motto: „Mitfühlen, aber nicht mitleiden.“ Aber wie schwer fällt das? „Von Fall zu Fall mehr oder weniger schwer“, antwortet Rothaupt und betont: „Jeder Fall ist anders.“
Selbstschutz aufgebaut
Der 44-Jährige spricht von „Schwielen auf der Seele“, die sich nach und nach bei ihm gebildet hätten. Seit drei Jahren ist er als ehrenamtlicher Notfallseelsorger tätig. „Man baut mit der Zeit einen Selbstschutz auf“, sagt er über den Umgang mit den Emotionen anderer. „Deshalb ist man aber nicht weniger empathisch.“
Kai Rothaupt, der als Bestatter arbeitet, hatte sich für eine Ausbildung zum Notfallseelsorger entschieden, nachdem er privat eine Witwe unterstützen wollte, aber nicht wusste, wie er das anstellen soll. Er stellte fest, dass es gar nicht so leicht war, Ansprechpartner bei der Kirche zu finden. Und er machte die Erfahrung bei einer Kirchengemeinde, dass Ehrenamtsförderung dort nicht als Notwendigkeit erachtet wurde.
Ehrenamt gibt viel zurück
Sein Ehrenamt in der „Blaulicht-Familie“ gebe ihm viel zurück, betont Rothaupt. Er spricht von „persönlicher Weiterentwicklung“ - auch durch den Austausch mit anderen Notfallseelsorgern. „Es macht zufrieden“, sagt der Dortmunder über das Ehrenamt. „Und es verdeutlicht, dass man aus so gut wie jeder Krisensituation wieder herauskommen kann, wenn man die entsprechende Unterstützung hat.“
Kai Rothaupt betont, dass Notfallseelsorger ein stabiles Umfeld benötigen. „Der Partner muss mit der Aufgabe zurechtkommen.“ Bei ihm sei das der Fall. Der 44-Jährige lebt mit seiner Frau und seinem Sohn in Körne. „Meine Familie kommt super damit klar.“
Notfallhilfe sucht Verstärkung
Die Notfallhilfe sucht derzeit Verstärkung. Eine spezielle Schulung für Ehrenamtliche startet nach den Sommerferien. Interessierte können sich ab sofort melden. Darauf weist Pfarrer Hendrik Münz, der Leiter der Notfallseelsorge in Dortmund, in einer Pressemitteilung hin. In der Rufbereitschaft übernehmen mindestens zwei Seelsorger jeweils einen oder mehrere 24-Stunden-Dienste.
Für die mehrmonatige Ausbildung werden zehn bis 20 interessierte Frauen und Männer ab 25 Jahren gesucht, belastbar und mit Gesprächs- und Lebenserfahrung, die bereit sind, sich für die „Erste Hilfe für die Seele“ schulen zu lassen und in der Rufbereitschaft der Notfallseelsorge Dortmund mitzuarbeiten.

Während der Schulung absolvieren die Teilnehmenden 100 Stunden an 20 Terminen. Im Anschluss macht jeder und jede ein Praktikum auf dem Rettungswagen.
Die Notfallseelsorge-Ausbildung findet im Zentrum für Seelsorge und Beratung des Evangelischen Kirchenkreises Dortmund, Klosterstraße 16, statt. Sie beginnt am 2. September und endet im Mai 2024. Nach der Ausbildung findet ein Auswahlgespräch statt, nach dem über die Mitarbeit entschieden wird.
Weitere Informationen erteilen Pfarrer Hendrik Münz (Tel. 0231 / 22962-497, hendrik.muenz@ekkdo.de) und Pfarrer Meinhard Elmer (Tel. 0231 / 73 08 54, meinhard.elmer@christleben.de.
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