„Jazz ist Schwarze Musik“, das sagte der afroamerikanische Saxophonist Archie Shepp in den 1960er Jahren. Die Essener Jazzsängerin Johanna Schneider würde diesem Statement in Teilen recht geben. Jazzmusik begleitet sie schon fast ihr ganzes Leben. Die Eltern - der Vater Afroamerikaner, die Mutter Deutsche - sind sich in einem Jazz-Club in Bamberg begegnet. Sie haben die Tochter auch schon als junges Kind mit zu Jazz-Konzerten und Sessions genommen. Mit ungefähr 13 Jahren hat Schneider dann in ihrer ersten Band gesungen: natürlich Jazz.
Später hat sie dann Jazzgesang unter anderem an der Folkwang Universität der Künste in Essen studiert und ist nun professionelle Sängerin. Man könnte sagen, sie hat die Musik durchdrungen, vielleicht mehr als andere. Hat sie darum und aufgrund ihres Hintergrunds eher ein Anrecht auf das Erbe der ersten, ursprünglich afroamerikanischen Jazz-Musiker?
Debatte um Peter Fox
„Frauen rulen die Welt... Seh die Zukunft pink... Alles gut mein Kind“ - Zeilen, die klingen, als seien sie Zahn der Zeit, haben dem erfolgreichen Berliner Musiker Peter Fox jüngst Ärger eingebracht. Grund dafür war nicht der Text, sondern die Musik, auf die Fox seine zukunftsgewandte Botschaft gesungen hat.

Fox, der mit der elfköpfigen Reggae-Dancehall-Formation Seeed bereits 2001 den großen Durchbruch schaffte, verwendet in dem Song „Zukunft Pink“ Elemente der südafrikanischen Musikströmung Amapiano. Die Musik ist sehr tanzbar, arbeitet mit raffiniert komprimierten Drum-Sounds, südafrikanischer Musiktradition und LoFi-Elementen, die sie mit Anleihen aus House, Jazz und Trip-Hop vermischt.
Der Journalist Malcolm Ụzọma Ohanwe hatte Fox über Twitter für den Song kritisiert. „Peter Fox wird sich jetzt eine goldene Nase verdienen mit südafrikanischem Amapiano, während Schwarze Menschen in den Clubs, wo genau dieser Song gespielt wird, an der Tür abgewiesen werden. Love it“, schrieb Ohanwe. Nach einem gemeinsamen Telefonat mit Fox war Ohanwe dann versöhnlicher gestimmt, wie er auf seinem Instagram-Profil verlauten ließ.
Fox selbst erklärte, dass er sowohl im Abspann des Musikvideos zu „Zukunft Pink“ als auch in seinem Pressetext auf süd- und westafrikanische Einflüsse verweise. Trotzdem ist der Vorfall ein gutes Beispiel für die Debatte um kulturelle Aneignung, also die Frage, wer sich die Kultur der Unterdrückten aneignen darf, in der Musik aus der jüngsten Vergangenheit.
Erste Weiße Jazzer
Im Jazz ist die Debatte deutlich älter. Weiße Musiker mischten schon sehr früh, spätestens seit 1910 mit, wie Waldo Riedl, künstlerischer Leiter des Dortmunder Jazzclubs domicil erzählt. Schon früh gab es außerdem wichtige Vertreter und Mitgestalter des Jazz, die dem Weißen Amerika entstammten - Benny Goodman, Lennie Tristano oder Glenn Miller waren solche Fälle. In ihren Ensembles wurde auch das erste Mal die Stärke des Jazz als kulturelles Bindeglied deutlich. Hier spielten nämlich zu Zeiten, in denen in weiten Teilen der Vereinigten Staaten Rassentrennung herrschte, Schwarze und Weiße Musiker gemeinsam.
Für Johanna Schneider ist der Jazz in seinem Ursprung dennoch eine Schwarze Musik. In diesem Zusammenhang sei es wichtig, die Frage zu stellen: „Wer hat profitiert?“ Sie würde nie sagen, dass Weiße Kollegen und Kolleginnen bestimmte Musik nicht spielen dürfen. Es sei aber wichtig, dass sie sich damit auseinandersetzen, wo die Einflüsse herstammen, um respektvoll damit umgehen zu können.
Das beginne bereits in der Ausbildung: „Auch im Lehrplan der Musikhochschulen und Universitäten, an denen Jazz gelehrt wird, sollte die Sensibilisierung für die Herkunft der Musik noch stärker verankert werden“, so die Sängerin. In vielen Jazzgesangsausbildungen werden beispielsweise als Grundlage europäische Gesangstechniken wie Belcanto unterrichtet.
Aneignung oder Austausch
Waldo Riedl versucht, über die Geschichte des domicils ein Licht auf die Debatte zu werfen. Der renommierte Dortmunder Jazzclub existiert bereits seit 1969 und war seitdem Anlaufstelle für eine große Vielfalt an Musikern und Musikerinnen. „Direkt das zweite Konzert im domicil Ende der 60er war ein Free-Jazz-Abend mit Peter Brötzmann. Das war mitten in der Zeit der Studentenproteste, alles war sehr offen und es wurde viel improvisiert“, erzählt Riedl.
Vorrausgegangen war im Laufe der 60er Jahre in den Vereinigten Staaten die Entwicklung des Free-Jazz eines Ornette Coleman oder Cecil Taylors. Hier war die Musik eng mit der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung verknüpft. „Die Themen waren hier nicht ganz die gleichen, aber die revolutionäre Energie hat auch in Deutschland stattgefunden“, erzählt Riedl.

Den Begriff kulturelle Aneignung im Zusammenhang mit Jazz mag Riedl nicht besonders. „Vieles im Jazz wäre ohne den Austausch nicht möglich gewesen. Es hat immer wieder Musikrichtungen gegeben, die mit dem Jazz verschmolzen sind, von Rock zu Hip-Hop. Das ist auch wichtig, damit die Musik sich weiterentwickelt“, führt er fort. „Durch die Begegnung entstehen immer wieder Transformationsprozesse in neue Kontexte und Formate.“
Wichtig ist aber auch für Riedl, dass sich die Musiker eingehend mit der Musik auseinandergesetzt haben. „Da braucht es den notwendigen Respekt vor der Geschichte, um einen authentischen Ausdruck zu entwickeln. Das ist etwas, das man hinterher auch hört.“
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