Jörg Thadeusz‘ Buch über die Steinhammer Straße Eine Liebeserklärung an den Pott ohne Kitsch

Jörg Thadeusz und sein Buch über die Steinhammer Straße
Lesezeit

Edgar Woicik ist 17 Jahre alt und wohnt in der Steinhammer Straße in Dortmund. Es ist das Jahr 1957. Das Ruhrgebiet ist gezeichnet vom Krieg, ebenso wie die Menschen. Das Leben ist geprägt von Armut und der Hoffnung, dass es irgendwann mal besser wird. So beginnt das neue Buch „Steinhammer“ von Moderator und Journalist Jörg Thadeusz.

Der Roman beschreibt das Leben von Edgar Woicik. Der junge Mann will raus aus der Perspektivlosigkeit der Steinhammer Straße. Sein Stiefvater wünscht sich, dass er seinen Friseurladen übernimmt, aber Edgar würde viel lieber seiner Leidenschaft folgen: dem Malen und Zeichnen. Auch seine Jugendfreundin Nelly und sein bester Freund Jürgen träumen davon, ihre Herkunft hinter sich zu lassen. Als Edgar die Möglichkeit bekommt, Schaufensterdekorateur zu lernen und Förderer findet, nimmt sein Leben endlich Fahrt auf.

Vorlage in der eigenen Familie

Jörg Thadeusz hat sich seinen launischen und zuweilen extravaganten Protagonisten Edgar Woicik nicht ausgedacht. Die Vorlage für Edgar hat er in seiner eigenen Familie gefunden. „Steinhammer“ ist angelehnt an das Leben des Malers Norbert Tadeusz (1940 - 2011). Norbert Tadeusz war Schüler von Joseph Beuys und gilt als bedeutender Maler der Gegenwart.

Das Bild zeigt die Steinhammer Straße in den 1950er-Jahren.
Das Bild zeigt die Steinhammer Straße in den 1950er-Jahren. © LWL

Über seinen berühmten Verwandten wurde in der eigenen Familie aber nie wirklich gesprochen und wenn, dann nicht besonders gut, wie Jörg Thadeusz erzählt: „Für ihn gab es eine fertige Erzählung, immer nach provinziellen Maßstäben. Ein Künstler, der den Boden unter den Füßen verloren hat, arrogant, schnöselhaft geworden ist. Alles Quatsch, was der Beuys da mit seiner Margarine rumgekleckert hat. Was soll denn das alles?“

Viel mehr wusste man nicht über den Maler: „Das war immer vergleichsweise ignorant und dann wurde das für mich interessanter und interessanter.“ Er fing an, sich mit Norbert Tadeusz zu beschäftigen und die Idee für das Buch war geboren. Neben ihrem Nachnamen teilen sich der Maler und der Moderator noch eine Gemeinsamkeit, beide wachsen in Lütgendortmund auf.

Der Personenbahnhof am Ende der Steinhammer mit den Straßenbahnen 12 (Dortmund, Spur 1435 mm) und 17 (Bochum, 1 m Spur).
Der Personenbahnhof am Ende der Steinhammer mit den Straßenbahnen 12 (Dortmund, Spur 1435 mm) und 17 (Bochum, 1 m Spur). © LWL

Eigene Erinnerung eingebracht

Die Orte und Menschen, die Edgar im Buch besucht und trifft, stammen aus der Erinnerung des Autors: „Manches musste ich überhaupt nicht recherchieren, weil ich habe da ja auch mal gewohnt und war immer wieder da.“ Der Schreibwarenladen, der im Buch von der Mutter von Edgars Freundin Nelly betrieben wird, hat ein reales Vorbild: „Dieser Schreibwarenladen, den habe ich ganz genau vor Augen, weil ich war da total oft, bei Werner Schürmann. So hieß der Mann, der den betrieben hat. Ich habe mir da, obwohl meine Mutter es mir verboten hat, Spielzeugsoldaten gekauft. Das war mir also alles sehr nah.“

Die erste Hälfte des Buches spielt vor allem in der Steinhammer Straße und in Dortmund, in der zweiten begleitet der Leser Edgar an die verschiedenen Stationen seines Lebens. Während Jörg Thadeusz viele der Orte aus Lütgendortmund selbst besucht hat, hat er einige Gespräche geführt, um das Leben des Künstlers Norbert Tadeusz nachzeichnen zu können: „Ich habe natürlich intensiv sprechen müssen, mit Leuten wie zum Beispiel Nic Tenwiggenhorn. Das ist ein Fotograf, der mit Norbert Tadeusz eng befreundet war. Ich habe mit Peter Tadeusz gesprochen, dem Bruder des Künstlers, da war eine ganze Menge Gespräche.“

Thadeusz hält nichts von Verklärung

Obwohl Thadeusz aus dem Ruhrgebiet kommt, hält er nichts von einer Glorifizierung oder Verklärung der Region. Gerade das Ende der Zechen habe in seinen Augen eine seltsame Romantisierung erfahren: „Als dieser Abschied vom Steinkohlebergbau war, haben alle so getan, als sei das ein richtig folkloristisches Spektakel die ganze Zeit gewesen. Bergbau ganz toll, super Männergemeinschaft und alle haken sich unter und fahren im Aufzug ins Loch. Das ist surreal gewesen, das entspricht ja überhaupt nicht der Realität.“

Genau das thematisiert er auch im Roman. Wer in der Schule aufpasst, muss nicht „auf den Pütt“. Der Tod bei Grubenunglücken gehört genauso zur Realität der Steinhammer Straße wie die krankmachende schwere Luft, die zu dieser Zeit über dem Ruhrgebiet hängt.

Das Cover zum Buch zeigt, in welche Zeit die Reise geht. Jörg Thadeusz geht zurück ins Ruhrgebiet der 1950er-Jahre.
Das Cover (Ausschnitt) zum Buch zeigt, in welche Zeit die Reise geht. Jörg Thadeusz geht zurück ins Ruhrgebiet der 1950er-Jahre. © Kiepenheuer & Witsch

Jörg Thadeusz, der mittlerweile in Berlin lebt, würde sich wünschen, dass das Ruhrgebiet sich eine neue Identität sucht: „Da geht mir vor allen Dingen als jemand, der weggezogen ist, auf die Nerven, dass das ist, was immer noch so abgefeiert wird. Dabei ist das Ruhrgebiet eine Wissensregion.“ Mit all seinen Universitäten und Hochschulen sei das etwas viel Besseres, um darauf stolz zu sein. Diese Haltung kommt auch beim Lesen des Buches durch, dementsprechend sei das Buch „eine Liebeserklärung, aber ohne verschleierten Blick“.

Alkoholabhängigkeit, Diskriminierung und psychische Krankheiten, auch diese Dinge gehören zur Lebensrealität von Thadeusz Protagonist Edgar. Aber auch wenn er Lütgendortmund und die vermeintlich „gute alte Zeit“ der 1950er-Jahre unverblümt zeigt, abfällig wird er nicht: „Ich möchte das Ruhrgebiet nicht denunzieren und das wollte ich auch nie. Ich hoffe allerdings, dass das Buch vermittelt: Diese Generation – also meine Eltern- und meine Großelterngeneration – die Leute, die Deutschland wieder aufgebaut haben, sind schon sehr taffe, bemerkenswerte Menschen.“

Bövinghausen statt Frankreich

Nach Lütgendortmund kommt er auch heute noch gerne: „Das ist meine Heimat. Ich kenne mich da aus, ich gehöre da hin, das ist unhinterfragt.“ Für ihn kann Dortmund locker mit anderen Urlaubsregionen mithalten: „Vergangenen Sommer wollten meine Frau und ich in unseren Sommerurlaub nach Spanien fahren. Dann machen wir das immer, dass wir von Hamburg nach Andalusien fahren und auf dem Weg immer Stationen machen.“

In dem Jahr war eigentlich eine Station in Frankreich eingeplant. „Als wir in Dortmund ankamen, da war es so schön, dass wir gesagt haben: ‚Ach komm, wir fahren mal nicht nach Frankreich‘, da haben wir einfach vier Tage dran gehängt und sind in Bövinghausen geblieben. Es war herrlich.“

„Steinhammer“, Kiepenheuer & Witsch, 352 Seiten, ISBN: 978-3-462-00422-9

Am 21. April liest Jörg Thadeusz Castrop-Rauxel aus seinem Roman. Die Lesung findet bei der „Tegro Home Company“ an der Bockenfelder Str. 323 in 44577 Castrop-Rauxel statt. Die Veranstaltung startet um 19.30 Uhr, der Eintritt kostet 17 Euro.

Castrop-Rauxel hat einen prominenten Fan: Für Moderator Jörg Thadeusz ist Stadt wie Bel Air

Dortmunder zeigt illegal entsorgte „Corona-Abfälle“ an: EDG macht eine überraschende Entdeckung

Zwei Termine waren geplatzt: Traumhaus in Dortmund soll jetzt unter den Hammer kommen