Jo Sontowski auf einem Bild von 2009 im Studio von Adolf Winkelmann. Dort hat er an der Gestaltung der Fliegenden Bilder auf dem U-Turm mitgewirkt. © Annette Hudemann
Nachruf
Jo Sontowski (†70): Der Mann, der die Unterschrift von Beuys fälschen durfte
Dortmund hat einen außergewöhnlichen Künstler verloren. Seinen Namen werden viele nicht kennen. Dafür haben umso mehr Menschen schon einmal ein Kunstwerk gesehen, an dem er mitgewirkt hat.
Dieser Nachruf beginnt mit einer Frage: Kennen Sie etwas, das Jo Sontowski erschaffen hat? Die Wahrscheinlichkeit dafür ist extrem hoch.
Das Nashorn vor dem Rathaus. Einen Teil der Fliegenden Bilder auf dem U-Turm. Die bekannte Illustration von Bruno Knusts Figur „Günna“. Das langjährige EDG-Maskottchen Edgar, das auf allen Müllwagen in Dortmund zu sehen war.
Falls Sie das alles übersehen haben, dann kennen Sie die Kulisse einer Kabelfernsehserie, das Cover einer Platte oder eines der riesengroßen Wandbilder an der Leibnizstraße im Dortmunder Norden.
Jo „Joson“ Sontowski ist am 4. August 2021 nach schwerer Krankheit im Alter von 70 Jahren gestorben.
Die letzten Stunden verbringt er in seinem Atelier
Die letzten Stunden verbringt Jo dort, wo er am liebsten war: in seinem Atelier. Zwar im Bett liegend, aber mitten in seiner Kunst. An seiner Seite seine Tochter Bernadette und seine Partnerin Wiebke Grevel.
An einem lebendigen Ort ist es still geworden: Blick in Jo Sontowskis Werkstatt. © Felix Guth
„Am Tag vorher war sein 70. Geburtstag, er konnte schon nicht mehr aufstehen. Es war ihm wichtig, dass er das mitbekommt“, sagt Wiebke Grevel. Auf der Straße spielen Musiker der Gruppe Pankultur auf Steeldrums, Freunde aus der Kunst- und Medienwelt der Stadt kommen zu Besuch, seine Tochter ist auch bei ihm. Zum letzten Mal.
„Er konnte so gehen, wie er gehen wollte“
Es war, so schildern es seine Lebensgefährtin und sein Sohn Lukas Sontowski, ein Abschied, der dem Leben von Jo Sontowski gerecht wurde. „Er konnte so gehen, wie er gehen wollte.“
Jo Sontowski bei einer Ausstellungseröffnung in Hörde 2016. © Fabian Paffendorf (Archiv)
Dieses Leben beginnt mit einer entbehrungsreichen Kindheit in Bayern und Hessen. Mit 16 verschlägt es Jo nach Dortmund. Malen und Zeichnen sind für ihn schon als Kind Verarbeitung von Erlebtem und Gesehenem. Als er erwachsen wird, entwickelt er das zu dem weiter, was er für den Rest seines Lebens machen wird.
In der Hausbesetzerszene beginnt er sich kreativ auszuleben
Der Suchende findet eine Gemeinschaft in der linken alternativen Szene der 70er-Jahre. Er findet eine Heimat dort, wo es eigentlich nicht erlaubt ist. In Wischlingen an der Wörthstraße, in einem der besetzten Häuser, die Ende der 70er-Jahre zum Streitobjekt in Dortmund werden.
Die Hausbesetzer müssen 1978 letztlich vor der Staatsmacht kapitulieren. Die Zeit prägt jedoch eine ganze Generation von Menschen aus Dortmund, die noch heute in Kunst, Musik, Politik oder Medien aktiv sind.
Jo Sontowski Ende der 70er-Jahre an der Wörthstraße. © Repro: Felix Guth
Der junge Jo bringt sich in Wischlingen auf seine Weise ein. Er verwandelt das verwitterte Haus in eine grün, gelb, rot und blau leuchtende Waldlandschaft.
Es ist der Anfang dessen, was heute Menschen mit Kunstexpertise dazu bewegt, Sontowski als den „Vater der Dortmunder Wandmalerei“ zu bezeichnen. Was in einer Stadt voller Graffiti und Murals eine Auszeichnung ist.
Siebdruck-Kurse für Punks
Er gibt Kunst-Seminare im Heidehof in Wischlingen. Punks und Hippies lernen bei ihm die Siebdrucktechnik, mit der sie ihre politischen Botschaften auf Plakate drucken können.
Eines Tages, der Abriss der besetzten Häuser ist gerade wieder einmal akut, telefoniert Jo Sontowski mit Joseph Beuys, dem damals gerade zum Superstar aufgestiegenen Düsseldorfer Kunst-Professor. In seiner Heimatstadt hatte Beuys ein besetztes Haus mit seinem Namen signiert und damit vor dem Abriss gerettet.
Würde das auch die Dortmunder Häuser vor dem Abriss bewahren können? Beuys unterstützt die Dortmunder Sache, hat aber keine Zeit selbst vorbeizukommen.
Also erlaubt er Sontowski, die Unterschrift zu fälschen.
Hinter dieser Unterschrift von Joseph Beuys auf einem Haus in Dortmund steckt eine besondere Geschichte. © Archiv Jo Sontowski
Mit Filzhut auf dem Kopf malt Sontowski also Beuys‘ Autogramm auf das Haus in Wischlingen. Letztlich vergebens, aber sinnbildlich für das unkonventionelle Denken, mit dem er durchs Leben geht.
Kunst aus dem „Underground“ wird plötzlich Mainstream
Er beschäftigt sich schon in den 70er-Jahren mit Comics, in dieser Zeit noch eine absolute Untergrund-Kunstform. Unter dem Namen Joson zeichnet er für die linke
Zeitschrift „Klüngelkerl“. „Wenn ihn etwas beschäftigt hat, dann musste er es in einem Comic ausdrücken“, sagt sein Sohn Lukas Sontowski.
Jo Sontwoskis Sohn Lukas und seine Lebensgefährtin Wiebke Grevel. © Felix Guth
Er bleibt politisch. Als die Grünen Anfang 1984 zum ersten Mal in Dortmund in den Stadtrat einziehen, gestaltet er die Wahlplakate.
Dinge wie Comics oder Graffiti-Art, gerade noch Underground, werden in den 80er-Jahren monetarisierbarer Mainstream. Sontowski widmet sich Werbedesign und Gestaltung, spezialisiert sich dabei auf große Flächen. An mehreren Stellen arbeitet er für die Stadt Dortmund, etwa beim Umbau der Stadt- und Landesbibliothek.
Vom kleinen Theater bis zur Serie im Privatfernsehen
Lukas Sontowski erinnert sich an viele Momente, „in denen mein Vater auf der Leiter steht und wir in irgendeiner großen Halle sind.“ Es war die Normalität für ihn und seine Schwester Bernadette, ebenso wie eine bunte Wohnung voller übrig gebliebener Requisiten aus Fernsehserien, für die Jo Sontowski mittlerweile tätig ist.
Jo Sontowski, wie ihn seine Familie und Freunde kannten: Kulissenbau für die TV-Sendung „Immer wieder sonntags“ in der Maschinenhalle von Zeche Zollern. © Annette Hudemann
Seine Bühnenbilder sind an vielen Stellen zu sehen, vom gemütlichen Theater Fletch Bizzel bis zum Millionenpublikum bei der RTL-Serie „Die Camper“. Sein Sohn erzählt, wenn der Alt-Alternative und große Star-Wars-Fan gefragt worden sei, wie er denn für das Privatfernsehen arbeiten könnte, habe er geantwortet: „Ab und zu muss man fürs Imperium arbeiten.“
Ums Geld sei es ihm nie gegangen. „Vieles war für ihn Ehrensache“, sagt seine Partnerin Wiebke Grevel.
Als sie und Jo sich auf einem Konzert der Band Extrabreit kennenlernen, bestimmt die Krankheit bereits den Rhythmus. „Es war trotzdem die beste Entscheidung meines Lebens. Unsere Liebe miteinander war sehr tief“, sagt Wiebke Grevel.
Nachricht an eine Freundin: „Alles um mich herum ist gut“
Die Dortmunder Journalistin Sabine Brandi hat in den Tagen der Trauer eine bewegende Nachricht von ihrem Freund Jo bei Facebook geteilt.
Sechs Wochen vor seinem Tod schreibt er nach einem gesundheitlichen Rückschlag: „In meinem kleinen Gärtchen sind die Erdbeeren schon rot und die Himbeeren versprechen eine reiche Ernte. Meine Frau ist so schön wie nie und die Liebe ist ganz wunderbar.“
Die Nachricht schließt mit den Worten: „Aber das Wichtigste, ich bin jenseits aller Angst. Ich hab und hatte ein schönes Leben und hab besonders die letzten zwei Jahre sehr genossen. Alles um mich herum ist gut.“
Im Atelier an der Schürener Straße ist es jetzt still. Doch dieser Raum lebt. Er ist voller Ideen eines Lebens, auf Leinwänden, in Ordnern, kleinen Kunstwerken überall. Dieses Leben ist nun zu Ende.
Am 2. Oktober (Samstag) werden viele Freunde von Jo Sontowski zu einer Gedenkfeier dort noch einmal zusammenkommen.
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