
© Dieter Menne
Jedes Jahr bringen sich über 60 Dortmunder um – Hilfe bietet das Krisenzentrum in Hörde
Krisenzentrum in Hörde
Es sind überwiegend Männer, die sich das Leben nehmen. Seit 40 Jahren arbeitet das Krisenzentrum in Hörde gegen die hohe Zahl der Suizide an. 60.000 Menschen wurde so schon geholfen.
89 Jahre alt war der älteste Anrufer, den Johannes Ketteler in den vier Jahrzehnten Krisenzentrum am Hörer hatte. Der Leiter der Hilfseinrichtung an der Wellinghofer Straße in Hörde sah sich mit einem völlig vereinsamten, allein lebenden Mann konfrontiert, der sein Leben nur noch mit zunehmender Schwierigkeit geregelt bekam. Er konnte dem Senior helfen. Das Krisenzentrum ist mit allen möglichen sozialen Einrichtungen vor Ort vernetzt. In diesem Fall half dem 89-Jährigen tatsächlich der Umzug in ein Altenheim.
Mehr Männer kommen ins Krisenzentrum in Hörde
Aber jedes Jahr sterben dennoch über 60 Dortmunder durch die eigene Hand. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie nicht wussten, dass es in Dortmund eine Einrichtung gibt, die sehr zeitnah zur akuten Krise die höchste Verzweiflung abfedert, und die sich dann um weitere Hilfen kümmert. Es sind deutlich mehr Männer, die sich das Leben nehmen, das Verhältnis liegt bei zwei Dritteln zu einem Drittel. Diplom-Sozialpädagoge Ketteler sieht mehr und mehr Senioren über 65, die in eine Lebenskrise rutschen.
Zunehmend muss sich das achtköpfige Team auch um junge Frauen mit Migrationshintergrund kümmern. Sie unternähmen Suizidversuche als Hilferufe, sagt Ketteler. Oft verzweifelten diese Frauen aufgrund von Zwangsheirat oder kulturellen Konflikten zwischen den sehr unterschiedlichen Lebensarten in ihren Herkunftsländern und den westlichen Gesellschaften hier.
Viele Suizid-Versuche in Dortmund
Auf jeden vollendeten Suizid kämen noch weitere 10 bis 15 Suizidversuche, so Ketteler. Auf die Zahl der Toten in Dortmund hochgerechnet sind das zwischen 600 und 1000 Selbsttötungsversuche. Jahr für Jahr. „Krisen entstehen immer dann, wenn sich Menschen in einer Übergangsphase zu einer neuen Lebenssituation befinden und große Schwierigkeiten haben, sich dieser anzupassen“, sagt der Leiter des Zentrums.
Das könne der neue Beruf sein, der Rausschmiss aus dem Job oder der Eintritt in die Rente. Krisen entstünden aber vor allem durch familiäre Probleme, den Tod des Partners oder eines Kindes, durch Scheidung oder schwere Krankheit. „Die Isolation hat zugenommen in den letzten 40 Jahren“, sagt Johannes Keppeler. Zugenommen hätten aber auch die Krisenfälle vor dem Hintergrund einer zugespitzten psychischen Erkrankung.
Krisenzentrum konnte fast 60.000 Erwachsenen helfen
Das Krisenzentrum ist auch die richtige Adresse bei traumatischen Krisen und arbeitet dabei mit dem Opferschutz der Polizei zusammen. In 40 Jahren konnte fast 60.000 Erwachsenen in akuter Lebenskrise geholfen werden, das entspricht der Einwohnerzahl von drei Kleinstädten.
Die Anzahl Ratsuchender lag 2017 bei 1528 Menschen. Bis Ende Juli 2018 hatte das Zentrum schon mehr Anfragen als im Vergleichszeitraum 2017. Die persönliche Krisenhilfe erfolgt in über 50 Prozent aller Fälle innerhalb von drei Tagen, bei akuten Notlagen am gleichen Tag.
Hinweis der Redaktion:
Wir haben uns entschieden, im Normalfall nicht über Selbsttötungen zu berichten, außer sie erfahren durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Der Grund für unsere Zurückhaltung ist die hohe Nachahmerquote nach jeder Berichterstattung über Suizide. Wenn Sie sich selbst betroffen fühlen, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge (www.telefonseelsorge.de). Telefon: 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die schon in vielen Fällen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen konnten.
Ulrike Böhm-Heffels wurde 1956 in Dortmund geboren. Sie ist seit 1976 journalistisch für die Ruhr Nachrichten tätig. Zu ihren Schwerpunkten zählen gesundheitspolitische Berichterstattung, soziale Themen, aber auch gastronomische.