Ihr Einsatz steckt ihr auch drei Tage danach noch in den Knochen. „Ich habe überall Muskelkater“, sagt Jasmin Schröder. Doch es ist nicht nur das Körperliche. Die Gedanken der 24-Jährigen kreisen darum, was sie am Dienstagabend (5.12.) an der Wall-Kreuzung Kaiserstraße in Dortmunds City getan und erlebt hat. Für ein Gespräch mit unserem Reporter ist sie erneut dorthin gekommen.
Gegen 17.40 Uhr war es nahe einer Spielothek zu einer Attacke gekommen, bei der ein 34-jähriger Dortmunder so schwer verletzt wurde, dass er starb. Der Beschuldigte ist ein 19-Jähriger, der jetzt in Untersuchungshaft sitzt.
Von der Tat hatte Jasmin nichts mitbekommen. Die medizinische Fachangestellte, die in einer Praxis in der Nähe des Tatorts arbeitet, war nach Feierabend auf dem Weg zu ihrem Auto, um nach Brambauer zu fahren, wo sie lebt. Sie erzählt, dass sie am Wall nahe der Subway-Filiale gewesen sei, als ihr der 34-Jährige aufgefallen sei, der gebeugt über die Straße lief. „Dann ist er zusammengebrochen“, sagt Jasmin.
Sie zögerte nicht und eilte dem Mann zur Hilfe. Ihr fiel auf: „Alle Passanten haben geguckt, aber fast niemand ist stehengeblieben.“ Etwa zeitgleich mit ihr sei eine Ärztin angekommen, die ebenfalls privat unterwegs gewesen sei. Ein Radfahrer habe das Trio komplettiert, das fortan Erste Hilfe geleistet habe.
Zwei Außenstehende hätten sich nützlich gemacht, in dem sie Handschuhe besorgt und den Notruf gewählt hätten, erzählt Jasmin. „Es war alles voller Blut.“ Insofern seien die Handschuhe wichtig gewesen. „Um die Wunde zu finden, haben wir die Kleidung des Mannes zerschnitten.“
Eingeengte Helfer
Diese sei im Bereich des Schlüsselbeins gewesen, sagt Jasmin. Sie habe die Wunde abgedrückt, damit der Mann nicht noch mehr Blut verliert. Zudem habe sie den Puls des Opfers überprüft, den sie jedoch nicht habe ertasten können. „Wir haben dann mit der Reanimation begonnen.“
Jasmin hat zwei Jahre im Krankenhaus gearbeitet und eine Reanimations-Fortbildung absolviert. „Ich weiß, was ich mache“, betont sie. „Ich bin dann in einer Art Tunnel und rufe ab, was ich gelernt habe.“
Dennoch konnte sie nicht ausblenden, was sich um sie herum abgespielt habe. „Da standen plötzlich so viele Leute um uns herum, die nichts gemacht haben, außer Dinge hineinzurufen.“ Jasmin erinnert sich an Fragen wie: ‚Ist der schon tot?‘ Sie sagt: „Das Reinrufen hat die Sache erschwert.“

Außerdem hätten die Menschen so dicht gedrängt um das Opfer herumgestanden, dass die Helfer kaum Platz gehabt hätten. „Wir waren eingeengt.“ Keine der herumstehenden Personen habe Hilfe angeboten. Jasmin ist auch drei Tage später noch „schockiert über das Verhalten der Menschen“.
Opfer verlor viel Blut
Sie habe sich mit dem Radfahrer bei der Herzdruckmassage abgewechselt. Diese sei so anstrengend, dass man sie nur zwei Minuten am Stück durchführen könne. Von der Herzdruckmassage rührt auch Jasmins Muskelkater.
Sie schätzt, dass zwischen dem Zusammenbrechen des Opfers und dem Eintreffen des Rettungsdienstes etwa 15 Minuten vergingen. Ihr kam das „sehr lange“ vor. Und obwohl, sowohl sie als auch der Radfahrer den Rettungskräften mitgeteilt hätten, dass ihnen die Kraft ausgehe, habe es lange gedauert, bis sie bei der Reanimation abgelöst worden seien.
Die Ärztin habe sich um die Atemwege des Mannes gekümmert. Sie habe sogar mit der Intubation begonnen, als sie vom Rettungsdienst die dafür benötigten Instrumente erhalten habe. „Der Notarzt war da noch nicht da.“
Weil der 34-Jährige so viel Blut verloren habe und kein Puls mehr zu ertasten gewesen sei, hatte Jasmin damit gerechnet, dass der Mann nicht überleben würde. Laut Polizei und Staatsanwaltschaft starb er im Krankenhaus.
Seit dem Vorfall stellt sich Jasmin immer wieder dieselben Fragen: „Hätte man noch mehr tun können, um den Mann zu retten?“ oder „Hätte man etwas anders machen können?“ Die 24-Jährige gesteht: „Man fängt an, an sich selbst zu zweifeln.“
In der Situation selbst habe sie nur funktioniert. „Ich war voller Adrenalin.“ Dass da gerade jemand vor den eigenen Augen zu sterben droht, „realisiert man in dem Moment gar nicht“, sagt Jasmin.
Gespräche mit der Familie
Um das Erlebte zu verarbeiten, führte Jasmin Gespräche mit ihrem Freund und ihrer Familie. Auch auf der Arbeit habe sie das Thema angesprochen. „Alle haben gesagt, ich solle mir keinen Kopf machen.“
Jasmin ist sicher: Würde sie noch einmal in eine solche Situation kommen, würde sie wieder genauso handeln. „Nicht nur, weil das mein Beruf ist. Auch medizinische Fachangestellte sind in so einer Lage angespannt.“ Sondern, „weil ich wollen würde, dass mir auch geholfen wird, wenn ich in der Situation des Mannes wäre“.
Sie kann durchaus verstehen, dass Menschen Hemmungen haben, einer stark blutenden, fremden Person, die auf der Straße liegt, nahezukommen. „Aber jeder hat ein Handy und kann den Notruf wählen“, sagt die 24-Jährige, die sicherheitshalber betont: „Ich will mich nicht als Heldin aufspielen.“
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