Auch wenn Oliver Steinke fast nichts mehr vom 24. Januar 2022 weiß, den Tag wird er nie vergessen. „Es war verdammt kalt, und wir hatten gut zu tun.“ An mehr erinnert sich der Kfz-Mechaniker nicht. Nichts hat er mitbekommen von der Dramatik und dem Kampf um sein Leben.
Der heute 53-Jährige war vor dem Werkstatttor des Dortmunder Autohauses Ebbinghaus am Tierpark unterwegs, als er plötzlich bewusstlos zusammenbrach und gegen den metallenen Abfallkorb donnerte.
Markus Wichert, sein Kollege aus dem Ersatzteillager, hörte einen lauten Knall und sah nach, was los war. „Der Olli ist umgefallen“, rief er. Wichert war der Erste, der sich um ihn kümmerte. Arbeitskollegen riefen noch Kevin Rost hinzu, der bei der Freiwilligen Feuerwehr ist. Der stellte bei Steinke nur noch eine flache Atmung und einen minimalen Herzschlag fest.
„Braucht ihr Hilfe?“
Der Krankenwagen war schon unterwegs, aber die Situation wurde immer brenzliger. In dem Moment kam Ildiko Ujvari vorbei. Sie wollte ihren Opel Corsa zur Reparatur bringen. „Da sah ich mehrere Menschen in den blauen Arbeitsanzügen um jemanden herumstehen. Er lag in stabiler Seitenlage.“
Ildiko Ujvari erfasste die Situation sofort. „Braucht ihr Hilfe? Ich bin Krankenschwester“, rief sie. Und ohne nachzudenken, schob sie die Männer in den blauen Arbeitsanzügen beherzt zur Seite. „Ich habe gesehen, dass sich seine Haut verfärbt hat. Die Atmung hatte ausgesetzt, und er hatte keinen Puls mehr.“
„Wir müssen ihn umdrehen. Wer kann reanimieren?“, fragte sie. Kevin Rost war zur Stelle. „Er hat den Thorax gedrückt.“ Ildiko Ujvari postierte zwei Ebbingshaus-Mitarbeiter an der Straße, „damit keine Zeit vergeht, wenn der Rettungswagen kommt.“
45 Tage Intensivstation
Bis zum Eintreffen des Notarztes setzten sie die Herzdruckmassage fort. Das war die Rettung für Oliver Steinke. Der behandelnde Oberarzt hatte gegenüber Steinkes Ehefrau Anke betont, wie entscheidend die geleistete Ersthilfe für das Überleben und die weitere Genesung von Oliver Steinke gewesen sei.
Erleichtert sei sie gewesen, sagt Ildiko Ujvari, als der Rettungswagen mit Defibrillator kam. „Sie haben nahtlos übernommen. Das war der Cut für mich. Jetzt konnte ich nichts mehr machen, jetzt mussten die Profis übernehmen.“
45 Tage lang lag Oliver Steinke anschließend auf der Intensivstation im Klinikum Mitte, einen Großteil davon im Koma. Er hatte drei Stents gesetzt bekommen, aber es kam wiederholt zu Komplikationen. Nach der Genesung und einer fünfwöchigen Reha kam Oliver Steinke am 5. September zur Wiedereingliederung zurück in die Werkstatt. „Das war ungewohnt“, sagt er.
Trockener Humor
Sein Zusammenbruch hatte auch ein Nachspiel für seinen Kollegen Markus Wichert. „Die Bilder spielten sich wochenlang im Kopf ab. Ich musste von morgens bis abends daran denken, wie er da gelegen hat.“ Täglich habe er auf Nachrichten von ihm gewartet. Den Kontakt zwischen Arbeitskollegen und Familie hielt Serviceleiter Thomas Deilmann.

„Als Olli das erste Mal wieder vor mir stand, ist mir ein Stein vom Herzen gepurzelt“, sagt Wichert, „ich bin keine Memme, aber ich hatte zwei Tropfen Pipi in den Augen.“ Steinke, der seinen trockenen Humor ins zweite Leben hinübergerettet hat, quittierte das mit den Worten: „Ich habe mich auch gefreut, dich zu sehen.“

Auch Ildiko Ujvari, die im Klinikum Dortmund arbeitet, hat sich wiederholt nach dem Gesundheitszustand von Oliver Steinke erkundigt, später mit ihm mehrfach telefoniert und ihn zur Reha ermutigt. Als sie das nächste Mal mit ihrem giftgrünen Corsa zur Werkstatt kam, empfing er sie mit einem Blumenstrauß. „Ich war ganz gerührt“, sagt sie. Dankbarkeit von Patienten im Krankenhaus sei anders als so privat.
Ein Zeichen gesetzt
Diese mutige Soforthilfe und Anteilnahme hat Anke Steinke so beeindruckt, dass sie den Anstoß für die Auszeichnung gab, die am Donnerstag (19.10.) Markus Wichert, Kevin Rost und Ildiko Ujvari zuteil wurde. Sie erhielten eine öffentliche Belobigung von NRW-Ministerpräsident Henrik Wüst.
Dr. Andreas Hohlfeld von der Bezirksregierung Arnsberg überreichte die von Wüst unterschriebenen Urkunden im Beisein von Dortmunds Bürgermeisterin Barbara Brunsing. Kevin Rost, der inzwischen den Arbeitgeber gewechselt hat, war nicht anwesend.
„Ich freue mich, dass wir gesund diesen würdigen Akt begehen können“, sagte Hohlfeld. „Und ich mich erst“, erwiderte Oliver Steinke. Hohlfeld sprach von dem „herausragenden Verdienst“ der Ersthelfer: „Sie haben nicht nur das Leben eines Menschen gerettet. Sie haben auch ein Zeichen mit Vorbildcharakter gesetzt.“
Andere Menschen ermutigen
Es sei wichtig, öffentlich zu machen, dass es Menschen gebe, „die sich in vorbildlicher Weise für andere eingesetzt haben“, so Hohlfeld. „Das kann auch weitere Mitbürgerinnen und Mitbürger ermutigen, sich für andere Menschen einzusetzen.“

Alles sei besser, als nichts zu tun, unterstrich Bürgermeisterin Barbara Brunsing: „Nur wenn man nicht handelt, macht man etwas falsch.“
Giftgrünen Corsa im Blick
Sie würden es immer wieder tun, betonten Markus Wichert und Ildiko Ujvari: „Aber das sollte einmalig gewesen sein.“ Wichert ergänzte: „Das hätten wir nicht gebraucht.“ Und Oliver Steinke versprach: „Noch mal mache ich das nicht.“
Was er aber sicher tun wird: Wenn der giftgrüne Corsa seiner Lebensretterin mal wieder in die Werkstatt muss, wird er ein besonderes Auge darauf haben.
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