Die Nuralislam-Moschee in Dortmund am Tag des Vereinsverbots am 10. März 2022. © Felix Guth
Salafismus
Muslime in Dortmund nach Vereinsverbot: „Gewartet, dass es gestoppt wird“
Ein „Gewächshaus des Islamismus“, mitten in Dortmund: Ein radikal-salafistischer Kulturverein in der Dortmunder Nordstadt ist vom Innenministerium verboten worden. Was ist über Nuralislam bekannt?
Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) wählte deutliche Worte, um zu beschreiben, was sich aus seiner Sicht am 10. März in Dortmund abgespielt hat.
Von einem „Treiben, dem wir ein Ende gesetzt haben“, sprach er. Das Gebäude an der Goethestraße 8 in der Nordstadt bezeichnete Reul als „Gewächshaus des Islamismus“.
Er lieferte dafür eine Reihe von Begründungen. Ein bekannter Salafisten-Prediger sei mehrfach hierher eingeladen worden. Einzelne Besucher hätten sich bereits radikalisiert. Von der Dortmunder Nordstadt aus seien Ausreisen junger Männer in den bewaffneten Kampf in Syrien und im Irak organisiert worden.
Das NRW-Innenministerium gründet das Verbot von Nuralislam auf Erkenntnisse zu Verbindungen zum Netzwerk von Abu Walaa. Der radikale Prediger galt bis zu seiner Festnahme 2016 als führender Kopf des IS in Deutschland.
Darüber ergeben sich konkrete Verbindungen des Breitscheidplatz-Attentäters Anis Amri nach Dortmund. Eine zentrale Figur ist hier der ebenfalls inhaftierte und bereits zu langer Haft verurteilte Dortmunder Boban S..
NRW-Innenminister: „Unter Muslimen als ISIS-Moschee bekannt.“
„Unter Muslimen in Dortmund ist sie als ISIS-Moschee bekannt“, sagte Reul über das markante Gebäude.
Blick auf die von der Polizei versiegelte Eingangstür zur Moschee, die sich in einem Wohnhaus befindet. © Felix Guth
Wie konnte dieses ganz gewöhnliche Gebäude zum gefährlichen „Gewächshaus“ werden?
Zwischen grauen Nordstadt-Fassaden glitzert die der Hausnummer 8 in der Sonne. Auf der Hälfte der Hauswand sind helle, goldfarbene Platten mit kleinen pyramidenförmigen Spitzen zur Zierde platziert.
Am Tag des Verbots stehen zwei Männer vor dem Haus an der Goethestraße. Einer von ihnen trägt einen Gebetsteppich unter dem Arm. Sie klingeln, klopfen, schauen durch die Fenster, dann gehen sie wieder. Äußern möchten sie sich nicht.
Dass hier wenige Stunden vorher 150 Polizisten alle Räume durchsucht und Türen versiegelt haben, dass ihr Verein jetzt verboten ist, scheinen die Männer nicht mitbekommen zu haben.
Wenig später klingelt eine Person, betritt kurz darauf das Gebäude, in dem sich neben dem Gebetsraum auch Wohnungen befinden.
Eingangstür nur für Männer
Die Eingangstür ist mit einem zusätzlichen Hinweis gekennzeichnet. „Herren“ steht darauf. Ein Äquivalent mit „Damen“ ist nicht zu sehen. Der Eingang ist videoüberwacht.
Hinter einem Gittertor befinden sich eine Einfahrt und ein Hinterhof. Schuhe und Schlappen stehen auf einer Treppe aus Metall.
Mitglieder anderer muslimischer Gemeinden in Dortmund geben auf Anfrage dieser Redaktion an, zwar von der Existenz der Gemeinde an der Goethestraße gewusst zu haben, sie aber vor dem Verbot nicht näher gekannt zu haben.
Der Rat der Muslimischen Gemeinden Dortmunds (RMGD), betont, dass es nie Kontakt zwischen der Gemeinde und dem Rat gegeben habe.
Radikale Umtriebe waren ein offenes Geheimnis
Andere Dortmunder Muslime bestätigen die Worte des Innenministers. Dass es hier radikale Umtriebe gab, war ein offenes Geheimnis.
„Viele wussten, was hier passiert. Aber wir konnten nur zusehen und haben darauf gewartet, dass es gestoppt wird“, sagt ein Mitglied einer modern ausgerichteten muslimischen Gemeinde aus Dortmund. Er möchte aus Sorge vor möglichen Konsequenzen der radikalen Salafisten nicht mit seinem Namen erscheinen.
„Insider“ berichtet von vielen Gesprächen mit Gläubigen
Er bezeichnet sich selbst als „Insider“. Er kenne einige der Akteure aus dem erweiterten Umfeld der Moschee schon länger und bekomme in seiner Arbeit manches mit, was andere Gläubige von dort berichten.
So kämen unter anderem jüngere Menschen zu ihm, die angesprochen worden seien, sich bei Nuralislam zu engagieren. „Ich habe ihnen abgeraten.“ Zudem sorgen sich ältere Muslime zum Teil um ihre Söhne, die Kontakt zu dieser Gemeinde haben.
Bei Nuralislam handelt es sich einen Nachfolgeverein der ehemaligen Takwa-Moschee - das berichten mehrere Dortmunder Muslime übereinstimmend. Der Kulturverein soll an der Clausthaler Straße sehr konservative Auslegungen des Glaubens vermittelt, die gewaltsame Ideologie des IS aber abgelehnt haben.
„Die Gründer waren keine Radikalen. Aber sie fanden die normale Moschee nicht mehr streng genug“, sagt der Dortmunder Moslem.
Weitere Schritte der Radikalisierung
Auf diesem Boden sei weitere Radikalisierung gewachsen. Eine zentrale Rolle spiele dabei der Imam, Scheich Bekir Hashim Ali.
Der irakische Kurde verfüge über eine sehr anerkannte Ausbildung als Imam, die für viele Gläubige attraktiv sei.
2017 taucht die Gemeinde an der Goethestraße unter dem Namen „An-Nur-Moschee“ erstmals in Auflistungen Dortmunder Gebetsorte auf. Die Spuren der Takwa-Moschee verlieren sich etwa zur gleichen Zeit.
Bis zu dreistündige Predigten auf emotionale Art
Auf dem Youtube-Kanal von Nuralislam finden sich etliche ähnlich aufbereitete Videos. Sie zeigen Scheich Bekir Hashim Ali, der auf Hocharabisch Koran-Stellen vorträgt.
Die Predigten sind emotional, seine Stimme hebt sich oft bis in ein Schreien. „Das ist gerade für junge Leute, die einen intensiven Begriff von Religion suchen, sehr anziehend und entsprechend sehr gefährlich“, sagt der Dortmunder „Insider“.
Screenshot des Youtube-Auftritts des im März 2022 verbotenen muslimischen Kulturvereins Nuralislam. © Felix Guth
Es sei „voll“ in den bis zu dreistündigen Predigten des Scheichs. Nach allem, was er wisse, gebe es darin keine Aufrufe zur Gewalt.
Salafismus als Protestform junger Männer
Aber die Predigten seien Teil eines „Schemas“. Auf die religiöse Radikalisierung folge die politische. Nach wie vor bleiben insbesondere junge Männer anfällig für radikale Ideologien wie den politischen Salafismus. „Diese Jungs, die dafür empfänglich sind, fühlen sich von der Gesellschaft abgelehnt.“
Prof. Dr. Ahmet Toprak forscht als Sozialwissenschaftler zu den Themen Migration, Integration und auch zu Fragen des politischen Salafismus. © Achim Graf
Der Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Ahmet Toprak von der FH Dortmund hat in seiner Forschung ähnliche Erkenntnisse gewonnen. „Die Hinwendung zum Salafismus ist in erster Linie ein Protest und passiert nicht unbedingt aus der Auseinandersetzung mit der Religion.“
Deshalb könne man viele dieser Jugendlichen mit Argumenten und pädagogischen Mitteln noch erreichen. Präventionsprojekte wie „Wegweiser“ setzen hier an.
Bei Vereinen wie Nuralislam seien häufig „zwei Welten“ zu beobachten. „Da ist die Seite: Wie wir sein wollen, mit schöner Fassade, Internetauftritt und Bekenntnis zu Weltoffenheit, Menschenrechten und Frauenrechten“, so Toprak.
Und es gebe die Seite der Umsetzung. „Da sehen wir oft das Gegenteil.“
Salafismus als „gesamtstädtische Aufgabe“
Spätestens mit den Terroranschlägen in Paris 2015 war die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema Salafismus in der Stadt intensiv.
Im Sommer 2019 hatte der Stadtrat die Bekämpfung des politischen Salafismus noch zur „gesamtstädtischen Aufgabe für die Zukunft“ erklärt. Es gab Schulungen in vielen Bereichen der Verwaltung. Dann kam Corona.
Ahmet Toprak sagt: „Das Thema ist zwar etwas aus dem Blickwinkel der Öffentlichkeit heraus geraten. Aber das bedeutet nicht, dass salafistische Prediger die Hände in den Schoß legen.“
Adem Sönmez von der Evinger Selimiye Moscheegemeinde bestätigt diese Einschätzung.
„Ich habe das Gefühl, das Salafismus verstärkt wieder ein Thema ist. Wir müssen uns um unsere Mitglieder gut kümmern.“
Sönmez wünscht sich deshalb nicht nur vor dem Hintergrund des aktuellen Falls neue Gesprächsrunden mit der Stadt Dortmund. „Wir müssen uns klar machen, dass es solche Randgebiete gibt. Wahrscheinlich gibt es weitere, die wir nicht kennen.“
An der Goethestraße ist die Szenerie eine Woche nach dem Verbot äußerlich unverändert. Die Wohnungen im Haus wirken belebt. Die Schlappen stehen an der gleichen Stelle.
Der Verein hat auf eine Anfrage dieser Redaktion bis Redaktionsschluss dieses Artikels nicht geantwortet.
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