Im inzwischen zweigeteilten Prozess um eine Serie von Corona-Scheinimpfungen durch einen Arzt (67) im Recklinghäuser Paulusviertel hat die Staatsanwaltschaft am Bochumer Landgericht drei Jahre und drei Monate Haft beantragt.
Anklägerin Dr. Nina Linnenbank übte scharfe Kritik am Vorgehen des Mediziners. Vor allem aber auch am Verhalten eines Verteidigers, der den Prozess als Showbühne missbrauche.
Unverbrauchte Chargen gefunden
Die Strafforderung gilt für die ersten 207 von ursprünglich 589 angeklagten Fällen. Die übrigen 382 Fälle sollen im parallel gegen den Arzt weiterlaufenden Prozess vor der 12. Strafkammer, in dem auch seine Ehefrau (56) aus Herten wegen Beihilfe mitangeklagt ist, aufgeklärt werden.
In 153 Fällen, so die Staatsanwaltschaft am Montag (19.6.), sei der Arzt allein deshalb zweifelsfrei des „Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse“ überführt, weil bei einer Durchsuchung seiner Praxis vollständige, unverbrauchte Chargen der Covid-19-Vakzine von Moderna und (Kinder-)Biontech aufgefunden worden seien. Und deren nummerisch zugehörige Chargenetiketten nachweislich bei Patientenimpfpässen eingeklebt und gestempelt gewesen seien. So habe der Arzt eine tatsächlich nicht vorgenommene Corona-Schutzimpfung als durchgeführt vorgetäuscht. Die restlichen 54 Fällen gehen vorwiegend auf belastende Zeugenangaben zurück.
Ausweise automatisiert falsch ausgestellt
Die Staatsanwaltschaft ist sogar sicher überzeugt, dass der Arzt, der vor seiner Festnahme im Mai 2022 bei Verwandten in Dortmund-Oespel lebte, aus eigener – impffeindlicher - Motivation heraus keinen einzigen seiner Patienten jemals gegen Covid-19 geimpft hat. Über ein Meldeportal sollen dem Robert-Koch-Institut (RKI) von dem Arzt bis Januar 2022 insgesamt 3.976 Corona-Schutzimpfungen gemeldet worden sein.
„Ausweise wurden in der Praxis automatisiert falsch ausgestellt“, so Staatsanwältin Nina Linnenbank.
In einigen Fällen, so die Staatsanwaltschaft, seien aber auch Patienten, die sich ursprünglich „echt“ gegen Covid-19 impfen lassen wollten, von dem Mediziner verängstigt worden. Dabei seien auch „Horrorszenarien“ eingesetzt worden. So habe der Arzt Impfwillige mit schockierenden Todesfällen verschreckt und behauptet, „er habe Leichen seziert von geimpften Personen, das wolle wirklich keiner sehen“.
Querdenker-Ideologien verbreitet
Der Arzt hatte zu Prozessbeginn unter Tränen ein Geständnis abgelegt, später auf Anraten eines neu hinzugezogenen Anwalts alles widerrufen. Selbst einer der Pflichtverteidiger bezeichnete den radikalen Strategiewechsel so: „Aus einer weißen Fahne ist eine Protest-Fahne geworden.“
Die Staatsanwältin warf dem bekennend impfkritischen Wahlverteidiger respektloses, rein auf Konflikte ausgelegtes Prozess-Verhalten gespickt mit zielgerichteten Falschbehauptungen vor, insbesondere aber das missbräuchliche Verbreiten von „Querdenker-Ideologien“. Was das dem Arzt am Ende bringen solle, sei ihr schleierhaft: „Ich sage: Gar nichts.“ Warum sich der Arzt nicht aus Überzeugung einfach generell gegen das Impfen entschieden habe, sei ebenso schleierhaft.
Nicht zuletzt dadurch, dass der Wahlverteidiger die Scheinimpfungen des Arztes als Nothilfe für persönlich, wirtschaftlich und existenziell unter „Impfdruck“ geratene Personen rechtfertige und ihm so im Patientenkreis Heldenstatus verleihe, müsse man sein Verhalten wohl als nicht standesgemäß bezeichnen. „Das Betreiben von Selbstjustiz lässt sich nicht legitimieren, indem man es als Menschlichkeit verharmlost“, hieß es.
Dass der Mediziner in U-Haft verbleiben soll, begründete die Staatsanwaltschaft auch mit verdichteten Hinweisen auf Fluchtanreize in Richtung Sansibar. Zwei Pflichtverteidiger beantragten eine deutliche mildere Strafe.
Der Wahlverteidiger soll planmäßig am 27. Juni seinen Schlussvortrag halten.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 20. Juni 2023.
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